Vereinswesen - Kegelsport in der Krise: In den Gassen Berlins
Geht es deutscher als Kegeln? Kaum. Aber die Vereine haben mit schwindenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Über eine Tradition und die Frage, ob sie sich neu erfinden muss. Von Shea Westhoff
Wer beim Kegeln an Bierdunst und Schunkelstimmung in Kellerräumen von Gaststätten denkt, muss sich im Berliner Kegelsportzentrum erst einmal sortieren. Im fahlen Neonlicht der imposanten Halle in Köpenick sind an einem Dienstagabend neun oder zehn Kegler am Werk.
Was man sieht: Männer mit schweißnassem Haar, konzentrierte Blicke. Was man hört: dumpfes Aufsetzen der Kugeln, knurrendes Kreisen über die Kunststoffbahnen, den klappernden Kegelschlag.
Hier, bei der Trainingseinheit des SV Kleeblatt, deutet zunächst wenig darauf hin, dass die urige Präzisions-Sportart vor gewaltigen Herausforderungen steht.
Kegel-Nachwuchs wird weniger
Insgesamt 16 Bahnen erstrecken sich über die größte Kegelanlage im Ostteil Berlins. Eine Gaststätte ist zwar auch hier angegliedert – die als Fankneipe des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union Berlin bekannt gewordene Abseitsfalle. Doch Bar und Kegelhalle sind als getrennte Bereiche zu betrachten, eine Bewirtung in der Sporthalle findet nicht statt.
Vereinspräsident Dieter Hebestreit – fester Händedruck, prüfender Blick, gewinnendes Lächeln – empfängt zum Gespräch am Rande der Übungen: "Wir sind erstmals in der Existenz unseres Vereins weniger als 200 Mitglieder", sagt er. 192, um genau zu sein. Nachwuchs zu gewinnen, das sei beim Kegeln grundsätzlich "ein großes Problem".
Sein SV Kleeblatt hat sich auf das sogenannte Classic-Kegeln spezialisiert. Im Gegensatz zu "Bohle" und "Schere" rollt die Kugel auf einer weitläufigen, 1,50 Meter breiten Bahn, hat also deutlich mehr Platz. Dadurch sind außer harten, geraden Würfen auch Bogenwürfe möglich.
In seiner Disziplin ist der Klub erfolgreich, vor wenigen Jahren gelang sogar der Aufstieg in die 1. Liga. Zu stark waren dort allerdings Konkurrenten wie Serienmeister Rot-Weiss Zerbst oder der SKK Reindorf, sodass die Berliner nun wieder in der 2. Bundesliga Ost gegen Teams wie Blau-Weiß Loburg und Lok Elsterwerda spielen.
Vereinsnamen, die nach Provinz und veralteter Industrie klingen. Wären es Basketball- oder Football-Teams, sie würden sich bei ihren Vereinsnamen wahrscheinlich immerhin den Anstrich von Moderne geben: "Ball Smashers" oder "Pin Crashers", vielleicht etwas in diese Richtung.
Aber das würde nicht recht passen zum traditions- und formalitätsfixierten Kegelsport, für den sich schon Luther und Goethe begeistert haben sollen. Passt der Kegelsport überhaupt noch in unsere Zeit?
Zeitaufwändige Vereinsliebe
Martin Asmus ist Teamkapitän des SV Kleeblatt. Der gebürtige Brandenburger schätzt den Zusammenhalt. "Diese Vereinsmeierei ist ja heute immer so ein bisschen negativ behaftet. Ich finde, das ist eine schöne Sache", sagt er. Nach den Wettkämpfen gehe das Team zusammen essen, zu Geburtstagen seien sowieso alle eingeladen. Für das Vereinsleben habe er sich bewusst entschieden, sagt der sportbegeisterte Lehrer, der auch Volleyball spielt und Rennrad fährt. "Ich war auch im Unisport aktiv, aber da hat mir das Gemeinschaftsgefühl gefehlt."
So eine Vereinstreue ist natürlich auch zeitaufwändig, vor allem an Spieltagen. "Der Samstag ist komplett für das Kegeln ausgeplant", sagt Asmus. Und es sind einige Samstage. "Das sind 18 Spieltage, plus Pokalwettkämpfe, plus Einzelmeisterschaften."
Kegler werden weniger
Mit dieser Hingabe für den Verein scheint Asmus im Kegelsport zunehmend eine Ausnahme darzustellen. Die Anzahl der Klubkegler nimmt jedenfalls stetig ab. Führte der Deutsche Kegler- und Bowlingbund (DKB) vor zehn Jahren noch knapp 85.000 Mitglieder, sind es mittlerweile nur noch rund 59.000.
Fraglich allerdings, in welchen Anteilen genau sich der Rückgang auf das Kegeln und in welchen auf das Bowling bezieht. Der für beide Sportarten zuständige Verband hat auf Nachfrage keine getrennten Zahlen parat.
In Berlin fällt der Rückgang ähnlich drastisch aus, Jahr für Jahr werden es weniger Vereinskegler und -bowler. Gab es davon vor zehn Jahren 3.000, sind es heute nur noch rund 2.500, davon betreiben 557 Mitglieder den Bowling-Sport. In der Millionenmetropole Berlin klingen solche Zahlen marginal.
Vereinssport boomt - eigentlich
Schon klar: Das Kegeln (wie auch das Bowling) ist für viele ein Gelegenheitsspiel, man trifft sich zum Geburtstag oder zur Firmenfeier in einer Gaststätte, um in Feierlaune einige Kugeln zu schmettern. Solche Event-Kegler erfasst die Statistik nicht.
Aber so oder so erscheint der Nachwuchsschwund im Kegelsport außergewöhnlich. Denn eigentlich boomt der Vereinssport. Der Landessportbund Berlin, also der Dachverband des gesamten organisierten Sports in der Hauptstadt, gewann zwischen 2014 und 2024 sagenhafte 170.000 Mitglieder hinzu. Richtig: Berlin hat Bock auf organisierten Sport. Solange es nicht um den Präzisionssport mit den neun Kegeln geht.
In Ostberlin dürfte auch die Wende indirekt zu einer Schwächung des organisierten Kegelsports geführt haben. Zahlreiche Kegler waren in Betriebssportgemeinschaften (BSG) organisiert. Durch die Abwicklung staatlicher Betriebe entfiel deren finanzielle und organisatorische Unterstützung. Anzunehmen ist, dass einige vormals als BSG organisierten Kegelgemeinschaften danach nicht in eingetragene Vereine übergingen, sondern sich einfach auflösten.
Gaststättensterben wirkt sich aufs Kegeln aus
Sicherlich auch Teil des Problems: Die Bahnen werden immer weniger. Unter anderem durch das Gaststättensterben, wie Michael Hohlfeld, Pressevertreter des DKB, am Telefon sagt. "Auch große Sportanlagen sind weniger geworden, konnten nicht gehalten werden." Wie sehr sich das zahlenmäßig auswirkt, ist schwierig nachzuvollziehen. Denn ein gesammeltes Verzeichnis der vorhandenen Profi- wie Freizeitkegelbahnen führt der Verband nicht.
Vereine und Verband versuchen, durch Schnuppertage und Schulkooperationen die Begeisterung fürs Kegeln zu entfachen. Schüler haben Spaß an solchen Kegel-Events, das wird in Gesprächen mit Verbands- und Vereinsvertretern deutlich. Doch die wenigsten scheinen danach auch für die Vereine gewonnen zu werden.
Freizeit-Kegeln in Kreuzberg immer beliebter
Eine schwindende Kegelbegeisterung kann Markus Ossevorth allerdings nicht beobachten, im Gegenteil. Der 55 Jahre alte Unternehmer ist Inhaber der Kreuzberger Kneipe Tante Lisbeth, in deren Keller sich eine Kegelbahn befindet. Die Nachfrage sei "exorbitant", sagt er. "Ich denke, dass du drei, vier Monate im Voraus buchen musst."
Ossevorth steht vor der holzvertäfelten Wand des Kegelkellers, welcher – branchenüblich bei Berliner Szenekneipen – in abgedimmtem Schummerlicht beleuchtet ist. Um Ossevorth herum stehen gepolsterte Sitzmöbel, vor ihm erstrecken sich zwei Bahnen aus Buchenholz, hier und da etwas abgeblättert. Kegel-Idylle in Kreuzberg.
Vor etwa 15 Jahren stand die damalige Gaststätte samt Kegelbahn zum Verkauf, Ossevorth und sein Geschäftspartner waren neugierig. "Wir haben die Kegelbahn gesehen und gesagt: 'Wow, das gibt es ja gar nicht. Ist das geil.' Es hat sich einfach gut angefühlt."
Ossevorth stammt aus dem Emsland. "Katholische Ecke", sagt er über die dünn besiedelte Region nahe der niederländischen Grenze. Damals als Punk sei er "sofort gebrandmarkt" gewesen. 1989, kurz vor dem Mauerfall, ergriff er die Flucht nach Berlin, wo er mittlerweile insgesamt drei Bars betreibt. Das konservative Emsland war für jemanden wie Ossevorth nicht der richtige Ort.
Doch ans Kegeln erinnert er sich gern. "Das waren kulturelle Abende, würde ich fast sagen, wo die Leute sich getroffen haben, gegeneinander gekegelt haben und schöne Abende hatten." Er hält kurz inne. "Ich erinnere mich, dass es total aufregend war, die schwere Kugel in die Hand zu nehmen und Pins hinten zu werfen. Es war ein prägendes Element in meinem Leben und meiner Kindheit, das Kegeln. Es gehörte einfach dazu."
Kegeln am Rande des Techno-Festivals
Und es gehört für Ossevorth nach wie vor dazu. Er ist Mitgründer und Organisator des Technofestivals "Nation of Gondwana", zu dem jedes Jahr an einer Waldlichtung in Grünefeld (Havelland) zirka 10.000 Raver pilgern.
Ein Höhepunkt findet bereits vor der eigentlichen Veranstaltung statt, wenn sich das Mitarbeiter-Team des Festivals gegen die ortsansässige Freiwillige Feuerwehr auf einer Freiluft-Bahn ein Kegelduell liefert. "Die Leute aus Grünefeld sind verdammt gute Kegler", sagt Ossevorth anerkennend. In 20 Jahren hätten er und sein Team nur einmal gewonnen. Jedes Jahr kommen die Grünefelder zum Rückspiel in die Kreuzberger Kneipe.
Techno, Freiwillige Feuerwehr, Kiezkneipe, Kegeln. All das geht offenbar sehr gut zusammen. Gleichzeitig klagen die Vereine über Nachwuchsprobleme. Immerhin: Um die Zukunft des Kegelsports muss man sich wohl keine Sorgen machen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.01.2024, 16:45 Uhr