Straßenmusiker bei Union - Die One-Man-Show von Köpenick
Wenn bei den Eisernen abgepfiffen wird, geht es für ihn los: Straßenmusiker Robert Bernier begleitet die Fans des 1. FC Union mit seinen Songs auf dem Heimweg. Sein Repertoire reicht von Udo Jürgens bis zu den Stones. Eine Reportage von Gunnar Leue.
Rund um viele Bundesligaspiele hat sich jenseits von DFL- oder Vereinsvorgaben ein wuseliges Spieltagsbusiness entwickelt. Auch an der Alten Försterei in Köpenick. Erst recht, wenn die Sonne so vorfrühsommerlich scheint wie zuletzt zum Spiel des 1. FC Union Berlin gegen Tabellenführer Leverkusen.
Flaschensammler streifen mit großen Tüten durch das Gewimmel der Fans, die gern Bier trinkend im Anmarsch sind. Andere Kleinstgewerbler verteilen Flyer oder bieten selbstgestricktes Union-Merchandising feil. Dazwischen hört man zuweilen Musiktöne. Zwei alte Männer, sie nennen sich "Die Stadtmeister", stehen neben dem Gehweg, auf dem sich der Fanstrom vom S-Bahnhof zum Stadion bewegt. Sie intonieren auf Klampfe und Trompete Union-Affines, in Dauerschleife. Klingt schräg, aber schön. Jedenfalls für die Unioner, die einige Münzen für sie übrig haben.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Nach dem Spiel sind "Die Stadtmeister" verschwunden. Dafür empfängt jetzt Robert Bernier die Rückkehrer aus dem Stadion mit Gitarrenklängen. Für ihn gilt, in Anlehnung an die legendären Worte von Spruchweltmeister Sepp Herberger: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Wenn das Spiel im Stadion vorüber ist, beginnt seine Zeit. So auch nach der Union-Partie gegen Bayer. Die Köpenicker haben 0:1 verloren, was den Gesichtern der Fans auf dem Waldweg Richtung S-Bahnhof nicht anzusehen ist.
Es wird geredet, gescherzt und aufgehorcht, als kurz vor der Fankneipe "Abseitsfalle" Roberts Gesang an ihr Ohr dringt. Der Sänger steht neben dem breiten Trampelpfad, über den der rot-weiße Pulk der diesmal Geschlagenen zieht. Robert hat einen echten Open-Air-Auftrittsort, allerdings ohne echtes Flair. Hinter ihm entfaltet sich die eine kleine Einöde, weil der Bahndamm durch Bauarbeiten hässlich kahl rasiert aussieht. Vor ihm steht ein Mikrofon, daneben liegt seine offene Gitarrentasche, gefüllt mit etlichen Münzen, daneben eine kleine Lautsprecherbox.
"Prost auf Heidenheim!"
Manche Fans werfen nur einen Blick auf den Sänger, der in Jeans und T-Shirt auftritt, ohne Union-Mütze oder sonstiges Rot-Weiß-Textil. Andere ziehen achtlos vorbei, viele freuen sich. Vor allem, als er Nina Hagens "Eisern Union" als Akustikversion spielt. Etliche Fans stimmen ein, schwenken dazu die Arme. Ein paar werfen Geld in die Gitarrentasche. Das Spielergebnis ist schnell vergessen.
Robert ist der Stimmungsaufheller oder der Gute-Laune-Verstärker, je nach Spielausgang. Die Setlist bleibt dieselbe. Der Musiker tauscht die Songs nicht groß aus. Irgendwie passen sie halt immer. Robert singt das berühmte Lied der Toten Hosen, das von ihnen selbst gar nicht mehr gespielt wird: "Wir würden nie zum FC Bayern München gehen". Zwei Männer reichen ihm einen Kümmerling. Robert stößt mit ihnen an: "Prost auf Heidenheim!" Denn die haben gerade sensationell den großen FC Bayern München besiegt.
"Diese eine Liebe wird nie zu Ende geh'n"
Das Potpourri der guten Laune enthält aber auch Klassiker der Weltrockmusik, die mit Fußball gar nichts zu tun hat. "Paint It Black" von den Rolling Stones, "Alles nur geklaut" von den Prinzen und ganz viel Ärzte. Westerland. "Diese eine Liebe wird nie zu Ende geh'n", dazu eine kleine Textänderung: Union, Union. Die Ärzte aus Westberlin, ohne sie geht auch in Köpenick nichts. "Hipp Hipp Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar". Ist es bei Union eigentlich gerade nicht, denn man kommt aus dem Abstiegskampf nicht wirklich raus, aber das scheint die Lust an der Aftershowparty nicht zu trüben. Die Stimmung kann allemal besser sein als die Lage.
Und dafür sorgt unter anderem Robert, gern auch mit einer Prise Ostrock: Karats "Über sieben Brücken" und "Alt wie eine Baum" von den Puhdys. Man glaubt gar nicht, wie viele junge Menschen textsicher mitsingen können. Eine Stunde nach Spielende ist die erste Welle an Fans durch. Einige sind bei der One-Man-Show am Wegesrand hängengeblieben. Manche scheinen den Straßenmusiker auch von der Warschauer Straße zu kennen, seinem angestammten Revier.
Der Glückstag
Von dort kam er das erste Mal nach Köpenick rüber am 14. Mai 2022. Ein Glückstag, für ihn und für Union. Es war das letzte Saisonspiel, und die Eisernen schafften durch einen Sieg gegen Bochum erstmals die Qualifikation für die Europa League. Rund ums Stadion herrschte Ausnahmezustand, und als die ersten Fans zum S-Bahnhof zogen, stand dort Robert in der Bahnhofshalle und spielte seine Lieder, die er auch immer auf der Warschauer singt. Die Ärzte, Udo Jürgens, Oasis, The Proclaimers.
Seinen Zuhörern erzählte er, dass er mal spontan hergekommen sei. Was er dann erlebte, war wie ein kleines Märchen. Immer mehr Union-Fans, ordentlich angeschickert und im Glücksrausch, sangen mit und tanzten, tanzten, tanzten. In seinem Gitarrenkoffer häuften sich die Münzen wie im Märchen vom Goldesel. Daneben standen Bereitschaftspolizisten und beäugten verständnisvoll die tanzende Menge, die stetig anschwoll. "Ich hätte wohl schon früher mal herkommen sollen", stellte Robert fest.
In der neuen Saison kam er nun öfters. Auch im Winter, wenn früh die Dunkelheit einbrach. Dann stand er auf dem düsteren Waldweg unter einer Laterne und die anhaltenden Fans aus dem Stadion leuchteten mit dem Handylicht, während sie sangen. "Inzwischen bin ich regelmäßig hier, weil es mir total gefällt", sagt der 37-Jährige, der aus der Prignitz stammt und in Potsdam wohnt.
Mittlerweile lebt er von seinen Auftritten als Musiker auf Hochzeiten, Firmenfeiern, Rentner-, Kinder- oder Stadtfesten. Mit der Straßenmusik begann er vor zehn Jahren, regelmäßig hat er vor den Spielen der Eisbären vor der Arena am Ostbahnhof seine Klampfe rausgeholt. Er selbst ist nicht so der Stadiongänger, guckt Fußball eher im Fernsehen.
Generell sympathisiere er mit Vereinen, die aus wenig viel gemacht hätten, sagt er. So wie Freiburg, früher Werder Bremen - oder eben: Union. "Das mit Union ist schon eine tolle Geschichte. Ich weiß die Leute da noch mehr zu schätzen, seit ich öfter dort spiele." Er habe mit ihnen noch nie Ärger erlebt. Es gäbe ja oft andere Klischees, aber die würden sich nie bestätigen, das sei auf der Warschauer genauso. "Es gibt viele schräge Vögel. Aber die sind fast alle gut drauf und im Herzen gut."
Köpenick oder Charlottenburg: Hauptsache Berlin
Im Stadion An der Alten Försterei sei er übrigens noch nie gewesen. Er müsse sich eben immer entscheiden, ob er Musik machen gehe oder ins Stadion zu einem Fußballspiel. Das kollidiere halt zeitlich miteinander. Zu seinem Auftrittskonzept gehört, dass er gern Musikwünsche auf Zuruf erfüllt. Dadurch käme es zur großen Bandbreite von Schlager bis Metal, alles was man auf der Gitarre eben irgendwie hinkriege. Inzwischen hat Robert gewisse Erfahrungen über die Besonderheiten des Fußballstadionpublikums.
"Ob Union gewinnt oder verliert scheint fast egal, die Fans tanzen trotzdem und geben Geld. Nach einer Niederlage wollen die Fans vielleicht etwas schneller nach Hause, bei einem Sieg haben sie noch etwas mehr Lust, auf ein Bier zu bleiben. Die ersten Zehntausend wollen meist relativ schnell nach Hause, die letzten Tausend bleiben länger und wollen noch trinken und quatschen."
Ein Bundesliga-Spiel in Köpenick, und so ähnlich ist es vermutlich in Charlottenburg, ist einfach ein sozialer Treffpunkt. Da wollen die Fans mit Freunden quatschen und feiern oder auch mal frusten. So oder so, insgesamt scheint sich das Musizieren für ihn zu lohnen. Vor allem aber macht es ihm wahnsinnig Spaß, weil sein Publikum so "wertschätzend und bodenständig" ist. Es ist sogar schon passiert, dass er direkt im Wald für eine Party gebucht wurde. "Da hat mich ein Union-Fan zu seiner Firmenfeier an dem Abend mitgenommen." Das war im Februar nach dem Wolfsburg-Spiel, als die Stimmung wegen des 1:0-Sieges ohnehin top war.
Eigenes Union-Lied in Planung
Um sie noch mehr zu heben, will Robert sein Repertoire noch etwas ausbauen. Er überlegt, selbst ein Lied für Union zu schreiben. "Deshalb teste ich auch viele Songs aus, wie sie ankommen." Am besten gingen Schlager. "Bei vielen Stadionhymnen wissen gerade die jungen Fans nicht, woher die Musik kommt. So wie beim Smokie-Song 'Stumblin in', auf dessen Melodie sie eines der jüngsten Union-Lieder singen."
Ob Smokie oder Ärzte, Hauptsache Stimmung. Nach dem Bayer-Spiel war sie jedenfalls wieder anhaltend gut. Auch Sabrina, eine junge Frau aus Falkensee, die seit Jahren mal wieder hier im Stadion war, zeigt sich begeistert vom kleinen Waldrand-Gig. "Es ist irgendwie total familiär, echt spitze." Bis gegen 20 Uhr, da ist das Spiel bereits zweieinhalb Stunden zu Ende, dauert Roberts Auftritt. Es lohnt. "Nach hinten raus werden die Enten fett", sagt er. Ganze Gruppen, quasi der harte Kern, wollten nicht nach Hause gehen. Als es dunkel wurde, musste Robert aber doch verkünden: Jetzt ist Schluss.
EM-Finale fest eingeplant
Wenngleich ihm die Wuhlheide besonders gefällt, ist er nicht nur dort anzutreffen. Auch vorm Olympiastadion in Charlottenburg hat er schon gesungen. Natürlich nicht "Eisern Union", sondern seine Straßenmusiker-Standards. Ärzte, Oasis, Beatsteaks. Lokale Fußballhymnen inklusive. Als er letztes Jahr nach der Partie Hertha gegen Bremen vor einer Traube siegestrunkener Werder-Fans spielte, kam ein kleiner Junge in Blau-Weiß und sang "Nur nach Hause", die Hertha-Hymne von Frank Zander. "Und alle Bremen-Fans sangen mit", sagt Robert, "das war schon irre."
Wenn am 14. Juli im Olympiastadion das EM-Finale stattfindet, will er ebenfalls vor Ort sein. "Am liebsten würde ich eine Stadiontour zu allen deutschen EM-Orten machen. Mal sehen." Die passenden Songs hätte er jedenfalls im Programm: "Sweet Caroline", auch "You'll Never Walk Alone" und, wenn die Deutschen viele Tore schießen und weit kommen, Peter Schillings "Major Tom". Nicht zu vergessen: "Griechischer Wein". Denn, egal wer aus welchem Grund was zu feiern hat, der Udo-Jürgens-Klassiker geht immer.