"Unnatural Encounters" im Silent Green - Das Unsichtbare sichtbar machen
Technik und Natur werden oft als Gegensätze betrachtet. Nicht so in der Ausstellung "Unnatural Encounters". Im Rahmen der Transmediale geht es hier um die Frage: Wie können Technologie und Kunst unsere Verbindung zur Natur stärken? Von Marie Kaiser
Wer die Ausstellung im Silent Green in Berlin sehen will, muss erst einmal einen Wasserfall durchqueren. Doch nass wird hier zum Glück niemand. Der große Wasserfall, der den Eingang zur Ausstellung "Unnatural Encounters" bildet, besteht nur aus Licht und Klang. "Cascade" heißt diese Klangskulptur des spanischen Künstlers Marc Vilanova. Zum Rauschen echter Wasserfälle bewegen sich zarte lichtstreuende Glasfasern rhythmisch so, als würde es sich um Wasser handeln, das von der Decke rieselt. Für die Ton-Aufnahmen der Wasserfälle ist Marc Vilanova bis nach Kanada gereist zu den Niagarafällen.
Auch die Natur schützen, die für uns unsichtbar bleibt
"Diese Wasserfälle erzeugen Töne, die bis zu 400 Kilometer entfernt von der Quelle noch wahrgenommen werden können - als Infraschall. Das sind sehr tiefe Töne, die wir Menschen nicht hören können. Für einige Vögel ist dieser Infraschall jedoch ganz wichtig, um sich orientieren und navigieren zu können", erklärt Marc Vilanova im Interview mit rbb|24. Das Problem sei allerdings, dass die Vögel permanent durch vom Menschen erzeugten künstlichen Infraschall vom richtigen Weg abgebracht würden. Sei es durch Flugzeuge oder durch Windräder.
Viele Menschen fahren zu den Niagara-Fällen, um die Wassermassen und das gewaltige Rauschen zu bewundern. Marc Vilanova will mit seiner Arbeit zeigen, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist und die Sinne dafür schärfen, wie andere Spezies diesen Wasserfall wahrnehmen - nicht als kontemplatives Spektakel, sondern als überlebenswichtige Orientierung: "Ich will mit der Arbeit zeigen, dass wir auch den Teil der Natur schützen und bewahren müssen, der für uns Menschen unsichtbar ist."
Können wir durch Technik anders und besser mit der Natur kommunizieren?
Das sichtbar machen, was sonst im Verborgenen bleibt, darum geht es in vielen der insgesamt elf Arbeiten, die jetzt in der 1.600 Quadratmeter großen unterirdischen Betonhalle des ehemaligen Krematoriums zu sehen sind. In der Halle, in der früher Särge gelagert wurden, gehen die Künstler:innen ganz ähnlichen Fragen auf sehr unterschiedliche Weise nach, sagt Linda Winkler, die die Ausstellung mit kuratiert hat. "Sie setzen sich mit den fundamentalen Herausforderungen unserer Zeit auseinander: Nachhaltigkeit, sozio-ökologische, Gerechtigkeit, aber auch den technologischen Wandel", so Winkler. "Und sie versuchen Antworten zu finden auf Fragen wie: Gibt es alternative Formen des Zusammenlebens mit anderen nicht-menschlichen Organismen? Können wir mit Hilfe von technologischen Mitteln anders und besser mit der Natur kommunizieren?"
Willkommen zum Kompost-Tasting
Dieser Anspruch, dass es zu einer Begegnung zwischen der Mensch und seiner Umwelt kommt, steckt auch im Titel der Ausstellung "Unnatural Encounters" (Unnatürliche Begegnungen). Wer sich traut, kann auf einer großen Leinwand Regenwürmern dabei zuschauen, wie sie Essensreste zu Kompost verarbeiten und "Kompost als Superfood" entdecken. Auf einem kleinen Tisch steht alles parat zum Komposttasting: Gläser mit Erde und kleine Löffel.
In der Videoinstallation "Nature makes no noise" des kroatischen Künstlers Davor Sanvincenti können Tiere in einem portugiesischem Naturpark durch eine solarbetriebene Wildkamera in schwarz-weiß beobachtet werden. Ein Mikrokosmos, der sich Menschen in freier Wildbahn normalerweise nicht offenbaren würden. Noch wichtiger als das Bild sind aber die den Menschen sonst verborgenen Geräusche dieser Natur, die der Künstler mit einer "Klangfalle" aufgenommen hat.
Blumen als Gesicht des Universums
Überwältigend wird es in der Arbeit "Face of Universe" vom japanischen Künstler Tatsuru Arai. Eine riesige Leinwand hängt von der Decke und reicht bis auf den Boden. Zu sehen sind Bilder von prächtigen bunten Blumen - bearbeitet mit Künstlicher Intelligenz mal im Stil des Impressionismus, mal im Stil des japanischen Malers Hokusai. Die Bilder in die einzelnen Bildpunkte und scheinen sich zu verselbstständigen. Sie geraten durcheinander und scheinen wie Wassertropfen herabzuregnen. "Für mich repräsentieren diese Blumen das Gesicht des Universums", erklärt Tatsuru Arai. "Denn lange bevor wir Menschen auf der Erde lebten, gehörte die Erde den Pflanzen. Ich will daran erinnern, dass wir mit ihnen friedlich zusammenleben sollten, dass wir voneinander abhängig sind."
Ob beim Verkosten von Kompost, vermeintlichen Naturerlebnissen mit Virtual Reality-Brille oder beim Lauschen von Musik, die mit Hilfe von Flechten komponiert wurde - in dieser Ausstellung sind jede Menge ungewöhnliche Begegnungen mit der Natur möglich, die noch lange nachklingen.
Sendung: Radio3, 09.01.2025, 16:10 Uhr