Am Späti im Wedding - "Das wäre der Horror für jeden Menschen"
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Familienvater, der sich für den Leopoldplatz einsetzt.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Er wirkt zunächst skeptisch, spricht leise, vorsichtig und mit geneigtem Kopf. Der Berlinerische Dialekt ist kaum zu überhören. Oft schiebt er seinen Sätzen ein “wa?” nach. Unter dem Arm hält er einen Sixpack Bier.
2024 war so wie 2023 – es ging hoch und runter. Highlights waren meine Fahrradtouren.
Er lacht.
Zur Ostsee, nach Polen, Schleswig-Holstein und ein paar nach Brandenburg, wa?
Ich wünsche mir, dass sich nächstes Jahr eine Menge beruhigt. Politisch, weltweit, aber natürlich auch in unserem Mikrokosmos hier im Wedding oder auch auf der Bundesebene. Europaweit. Es ist schon alles ein bisschen bedrohlich gerade.
Wäre schön, wenn die Menschheit wieder dahinkommen würde, sich ein bisschen einiger zu werden. Dass die Menschen auf dem Planeten im Vordergrund stehen und nicht die Nationen und die Wirtschaft. Was die Neuwahl angeht - ich glaube, zurzeit werden viele eine Entscheidung treffen, die den Rechtspopulismus ein bisschen in seine Schranken weist. Aber ich glaube, die Menschen sind damit dann auch nicht zufrieden. Das wird eine reine Wahl fürs Gewissen sein, glaube ich.
Die grundlegenden Probleme sind so oder so nicht von heute auf morgen umsetzbar, nicht in einem Jahr und auch nicht in einer Legislaturperiode von vier Jahren. Wenn viel in Bildung gesteckt wird, dann, glaub ich, können wir vielleicht in zwei Legislaturperioden auch wieder ein bisschen mehr Hoffnung sehen. Gerade hier in Deutschland. Ich hoffe, dass dann vielleicht die jungen Menschen doch nicht so naiv sind und die AfD wählen.
Er dreht sich eine Zigarette.
Ich wohne seit 22 Jahren im Kiez. Bin ein Stadtkind, in Berlin geboren.
Es wird schon lange gesagt, die Gentrifizierung kommt, aber das war ein schleichender Prozess und die Leute haben gar nicht gemerkt, dass sie eigentlich schon drin waren. Ich bin noch einer der Begünstigten, weil ich einen alten Mietvertrag habe. Nichtsdestotrotz steigen auch da die Mieten und natürlich kommt eine andere Klientel dadurch in den Wedding.
Aber ich glaube, der Wedding hat sich nicht so doll verändert. Wenn, dann haben sich alle Menschen gleichzeitig verändert, so dass es keinem auffällt. Der Wedding kann eben immer noch hui und pfui sein und die Situation haben wir natürlich am Leopoldplatz auch schon immer gehabt.
Was mich hier hält? Die Freundschaften, der Mikrokosmos Wedding natürlich. Insofern habe ich hier auch ein Interesse daran, dass es ein vernünftiges Miteinander gibt auf den Straßen. Ich beteilige mich in der Bürgerinitiative "Wir am Leo" - wir setzen uns für viele Belange ein. Gegründet haben wir uns, weil der Drogenkonsum hier am Leopoldplatz überhandgenommen hat. Wir wollten aber auch nicht, dass mit der Keule agiert wird und es dadurch wieder nur eine Verdrängung zum nächsten Platz gibt. So ist es jetzt nach Jahren irgendwie doch passiert.
Dafür wäre es toll, wenn wir hier eine Veränderung hätten. Aber so wie es gerade mit unserem Berliner Senat aussieht, wird die wohl nicht kommen. Alle Sozialprojekte in Berlin sind bis auf’s Derbste gestrichen worden. Insofern hoffen wir, dass wir jetzt keine Fentanyl-Überschwemmung hier im Wedding bekommen. Dann hätten wir vermutlich eine Situation wie in Amerika - das geht schneller als man denkt. Was ich so höre, ist das auf dem Vormarsch.
Wir sind ja auch im engen Kontakt mit der Polizei und unterhalten uns mit unseren einschlägigen Drogenkonsumenten hier am Leo. Fentanyl wird ihnen oft angeboten. Wenn das Geld nicht da ist, dann nehmen sie das Preiswertere. Sie haben so einen hohen Druck. Das wäre der Horror für jeden Menschen. Das wollen wir hier nicht haben.
Wir sind gerade dabei, aus der Initiative einen Verein zu machen. Wir suchen nach Leuten, die mitmachen. Von den Kürzungen im Sozialbereich sind wir nicht so hart betroffen, denn unsere Projekte sind nicht so kostenintensiv. Jeden ersten Sonntag im Monat machen wir hier sauber.
Wir wurden da ein bisschen vom Bezirksamt Wedding unterstützt, indem wir Mülleimer oder Tüten spendiert bekommen haben. Wenn das nicht wäre, würden wir das eben irgendwie selber tragen. Ein Projekt hatten wir hier, um den Kinderspielplatz mit Bannern zu bekleiden, um eine kleine Sichtbarriere zum Kinderspielplatz zu haben.
Er deutet Richtung Spielplatz. Dahinter ist im Dunkeln eine Gruppe von Männern zu erahnen. Ab und zu schallt ein Ruf herüber.
Wir brauchen unbedingt Fixer-Stuben, wir brauchen mehr Sozialarbeiter, wir brauchen mehr Streetworker. Letztendlich sollte da das große Geld hinfließen. Stattdessen kriegen die alle immer nur kurze Zeitverträge. Dann sagt der nächste Senat, wir haben kein Geld dafür, dann werden diese Sachen wieder eingestampft. Alles was man aufgebaut hat, geht kaputt und muss später wieder aufgebaut werden.
Gleichzeitig hat das Land Berlin keine Liegenschaften mehr. Das heißt, wir werden auch leider keine Fixer-Stube bekommen. Die in Richtung U-Bahnhof Rehberge ist im Endeffekt für viele Menschen hier viel zu weit weg. Das ist natürlich schade, besonders für die drogenabhängigen Frauen – die begeben sich nämlich in eine recht hohe Gefahr, wenn sie hier konsumieren, weil sie eben auch belästigt werden.
Meine Motivation? Jeder engagiert sich da, wo er kann und wie er Zeit findet. Mein Privatleben, meine Tochter darf darunter nicht leiden. Beziehungsweise: Natürlich kann man auch die Kinder einbinden und sie an viele Dinge heranführen, was eigentlich die Aufgabe anderer Institutionen wäre. Aber auch da kann man den jungen Menschen beibringen, dass wir etwas machen können, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, und und und. Insofern machen hier auch viele Kinder immer mit – aber mein Privatleben muss natürlich auch noch da sein.
Ein Mann kommt vorbei und fragt uns nach Geld, wir kramen in unseren Taschen und geben ihm einige Münzen. Er bedankt sich freundlich und geht weiter.
Ihn zum Beispiel kenne ich gut. Seine Mutter kommt fast jeden Tag vorbei und bringt ihm frische Kleidung. Das sind halt einfach alles Menschen.
Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24