Am Späti in Britz - "Wenn die Krankheit nicht wäre"
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein arbeitsloser Installateur, der seine kranke Mutter pflegt.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Ich bin öfters hier am Späti, hier lernt man viele unterschiedliche Leute kennen, macht Spaß. 33 Jahre lebe ich schon hier, und der Kiez hat sich in der Zeit schon verändert. Sehr zum Nachteil, leider Gottes. Die Straße war mal ein Musterstück. Das war anders, ich kann das schwer beschreiben. Jetzt sind viele Polizeieinsätze hier, das war vorher nicht so.
Wenn ich meine Pflegemutter nicht hätte, wäre ich schon vor 15 Jahren weggezogen. Aber nun gut, so ist es jetzt.
Er, Glatze, Trainingsanzug, Hände in den Taschen, steht auf den Schuhspitzen wippend vorm Späti, trinkt Kaffee, bietet mir auch einen an.
Ich bin arbeitslos. Jetzt kümmere ich mich um meine Pflegemutter, davor habe ich mich um meinen Pflegevater gekümmert. Was andere Leute darüber denken, ist mir scheißegal. Es sind nicht alle Hartz-IV-Empfänger faul. Dieses Jahr lief bislang sehr schlecht, weil meine Pflegemutter eine Diagnose bekommen hat, die sehr schlimm ist. Ein Albtraum. Wir machen aber das Beste daraus und ich bete jeden Tag, dass es erstmal nicht schlimmer wird.
Ich wohne im selben Haus wie sie. Als ich damals vor 33 Jahren eingezogen bin, haben sie und ihr Mann sich meiner angenommen. Meine richtigen Eltern sind verstorben. Aber da kenne ich nichts, die sind jetzt wie meine Eltern. Sie war früher meine Chefin, ihr Mann mein Chef, als ich damals eine Ausbildung gemacht habe in ihrer Sanitätsfirma. Das war richtig klasse. Ich musste schon abliefern, das habe ich auch gemacht. Ich wurde damals auch übernommen, und wenn du übernommen wurdest, vom Lehrling zum Gesellen, das hatte schon was. Das hat man damals nicht einfach so gemacht, wissen Sie.
Er guckt auf die Straße, hin und wieder läuft jemand vorbei, den er beim Sprechen mit einem Kopfnicken beiläufig grüßt.
Damals war Krieg in Jugoslawien und ich hatte noch die jugoslawische Staatsbürgerschaft. Kurz vor meiner Gesellenprüfung habe ich einen Einberufungsbefehl bekommen. Ich sollte mich in Belgrad melden. Das war ein Albtraum für mich. Ich war kurz davor abgeschoben zu werden und dann habe ich meine Abschlussprüfung verkackt.
Damals war es ja so: Wenn du länger als sechs Monate aus der Bundesrepublik draußen warst, dann warst du weg. Ich hatte eine Aufenthaltserlaubnis. Jedes halbe Jahr habe ich aus Jugoslawien einen neuen Brief bekommen, das hat mir das Genick gebrochen. Dieses Hin und Her, damit ging es mir sehr schlecht. Die Abschlussprüfung habe ich deswegen mehrmals nicht geschafft. Ich habe trotzdem noch zehn Jahre als Installateur gearbeitet, hatte aber nie den Gesellenbrief in der Tasche. Das war schade.
Jetzt ist es so: Ich habe nur noch meine Pflegemutter. Wenn ich die verliere, dann wird es richtig schlimm, weil ich dann alleine bin. Mein größter Wunsch an den da oben wäre, dass sie nicht krank ist. Wenn die Krankheit nicht wäre... das ist einfach so.
Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24