Haushaltskrise in Berlin - Nach der Sparrunde ist vor der Sparrunde
2024 war haushaltspolitisch ein Jahr im Ausnahmezustand. Noch nie musste ein Senat so viel in so kurzer Zeit zusammenstreichen. Trotz der Milliarden-Kürzungen bleiben die finanziellen Risiken im neuen Jahr allerdings beträchtlich. Von Jan Menzel
- 2025 muss der Berliner Senat ein Haushaltsloch von drei Milliarden Euro stopfen
- Einsparungen trafen alle Bereiche - vor allem Kultur und ÖPNV
- Kritik an unkonkreten Plänen wie z.B. "alternativen Finanzierungsmodellen"
- Es soll Pläne geben für die Erklärung einer Haushalts-Notlage
Den ersten Testballon hatte Kai Wegner in der Sommerpause aufsteigen lassen. Als der Regierende Bürgermeister die Debatte um einen Baustopp an der prestigeträchtigen Komischen Oper ausdrücklich nicht beendet, war das ein klarer Fingerzeig: Beim Sparen wird es keine Tabus geben. So gesehen hat Schwarz-Rot nach monatelangen internen Beratungen im Koalitions-Kämmerlein Wort gehalten.
Nicht nur die Sanierung der Komischen Oper ist fürs erste ausgebremst. Auch das 29-Euro-Ticket wird, kaum eingeführt, schon wieder zum Auslaufmodell. Zuschüsse an Theater werden radikal gestutzt. Bei Hochschulen, Krankenhäusern, Radwegen, der Digitalisierung der Verwaltung und sogar der Sozialarbeit setzt die Koalition den Rotstift mal mehr und mal weniger hart an. "Ich habe immer darauf hingewiesen: Es wird nicht gelingen, einzelne Bereiche auszunehmen", verteidigte sich Finanzsenator Stefen Evers (CDU).
SPD gegen Kürzungen "mit dem Rasenmäher"
Hinter Berlin lagen da bereits monatelange, zermürbende Spekulationen, wo der Sparhammer am Ende zuschlagen würde. Denn anders als bei regulären Haushaltsberatungen, die in großer Ausführlichkeit im Abgeordnetenhaus und in den Ausschüssen öffentlich geführt werden, hat diesen Kürzungsfahrplan eine ganz kleine Runde um den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, SPD-Fraktionschef Raed Saleh und ihre engsten Vertrauten festgelegt.
Saleh hatte dabei schon frühzeitig die Parole ausgegeben, Kürzungen "nach der Methode Rasenmäher" werde es mit ihm nicht geben. Mit Rasenmäher ist gemeint, dass jeder Einzeletat, egal ob der für Verkehr oder für Justiz, um den gleichen prozentualen Betrag rasiert wird. Genau das hatte Finanzsenator Evers in einem Rundschreiben zu Jahresanfang vorgeschlagen, als er seine Senatskollegen aufforderte, in ihren Etats für das laufende Jahr 5,9 Prozent zu kürzen.
Dagegen liefen insbesondere Senatorinnen der SPD Sturm. Innensenatorin Iris Spranger ging sogar so weit, zu behaupten, dass Streifenwagen der Polizei zur Monatsmitte stehen bleiben müssten, weil das Geld für Sprit fehlen würde. Am Ende war es wohl weniger die Kraft dieses Arguments als vielmehr Regierungschef Kai Wegner, der Sprangers Etat vor massiven Kürzungen bewahrte. Die Innere Sicherheit ist dem Regierenden Bürgermeister bekanntlich besonders wichtig.
Schwarz-Rot schließt das erste Haushaltsloch
Zum Glück für Wegner und Spranger "fanden" die Haushaltsexperten der Koalition beim Durchforsten der Einzeletats massenweise stille Reserven, Polster und millionenschwere Positionen, bei denen absehbar war, dass sie gar nicht ausgegeben werden. Dazu gehören etwa Personalmittel für Stellen, die wegen mangelnder Bewerber nicht besetzt werden können.
Im Ergebnis kratzte die Koalition auf diese Art einen satten Milliarden-Betrag zusammen. Übrig blieben noch Einsparvorgaben von zwei Prozent für jede Senatsverwaltung. Die konnte auch Sprangers Innenverwaltung liefern. Das Haushaltsloch im laufenden Jahr 2024 in Höhe von 1,75 Milliarden Euro war damit gestopft.
Rückblickend war diese erste Sparrunde im Frühsommer aber bestenfalls eine Aufwärmübung. Für 2025 taxierten die Haushaltspolitiker der Koalition das Loch im Haushalt auf rund drei Milliarden Euro. Damit war klar: Es geht ans Eigemachte. Ungünstige Steuerschätzungen und der Zensus, der Berlins Einnahmen noch einmal um hunderte Millionen Euro nach unten korrigierte, verschärften die Haushaltsnot, zumal eine Hintertür jäh zugeschlagen worden war.
Klima-Sondervermögen kommt nicht
Denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sondervermögen des Bundes dämmerte auch den schwarz-roten Koalitionären, dass ihr opulentes Klima-Sondervermögen ein Traum bleiben würde. Bis zu zehn Milliarden Euro wollten CDU und SPD in diesem Extra-Topf neben dem regulären Landeshaushalt parken, um Investitionen in Wärmewende, alternative Energien und Klimaschutz zu finanzieren. Das hätte den Landeshaushalt in Größenordnungen entlasten können.
So aber hieß es: Weiter kürzen. Alle Senatsverwaltungen mussten neue Sparlisten zusammenstellen, die als Arbeitsgrundlage dienen sollten. Dieses Mal lautete die Vorgabe: Zehn Prozent weniger. Behandelt wurden diese Listen wie geheime Kommandosachen und die Koalition hangelte sich mit Fristverlängerungen und Sitzungen von Arbeitsgruppen und Spitzenrunden über den Sommer bis zum Herbst, ohne dass ein Konsolidierungskonzept auf den Tisch gelegt wurde.
Buchungsstopp für Klassenfahren
Dafür verhängte Finanzsenator Stefan Evers im Herbst einen Ausgabestopp für das kommende Jahr. Offenbar hätten noch nicht alle Verwaltungen und Behörden den Ernst der Lage erkannt, hieß es dazu aus der Koalition. So würden ungeachtet des Spardrucks munter weiter Verträge unterzeichnet, die unweigerlich zu Ausgaben in der Zukunft führten. Prominentes Beispiel: die Klassenfahrten. Hier war das Budget, aus dem die Fahrtkosten für Lehrkräfte beglichen werden, immer wieder kräftig überzogen worden.
Der Koalition saß derweil ihr selbst gesteckter Zeitplan im Nacken: Noch bis zum Jahresende sollten die Einsparungen unter Dach und Fach sein, hatten CDU und SPD sich gegenseitig in die Hand versprochen. An einem Wochenende im November war es dann so weit. Erste Zahlen sickerten durch. Einsparlisten machten im politischen Berlin die Runde. Schnell stand fest: Eingespart wird überall, aber besonders hart trifft es den Verkehrs- und Umweltsektor sowie die Kultur.
Kultur und Verkehr als Verlierer
Rund 130 Millionen Euro musste allein Kultursenator Joe Chialo zur Sanierung des Landeshaushalts beisteuern. Die Kürzungen machten auch vor den großen Theatern und Orchestern nicht halt. Intendanten warnten, ihre Häuser würden unweigerlich in die Pleite rutschen. Chialo wirkte dabei wie jemand, der nicht nur überrascht, sondern auch heillos damit überfordert ist, Lösungen zu finden, ohne der Kulturszene den Garaus zu machen.
Aber auch bei den Leistungen der S-Bahn und der BVG sowie Investitionen für den ÖPNV strich die Koalition mehr als 200 Millionen Euro zusammen. Die Hochschulen haben die Auflage, mit mehr als 100 Millionen Euro weniger als ursprünglich zugesagt auszukommen. Auch bei den Bäderbetrieben, bei Grünanlagen, bei Programmen für die Wirtschaft und der Digitalisierung setzte Schwarz-Rot den Rotstift an. Die gesamte Kürzungsliste bringt es auf eng bedruckte 17 Seiten.
Um die Einnahmeseite ein bisschen aufzubessern, zapfte die Koalition 30 Millionen Euro bei den Wasserbetrieben ab. Noch einmal gut 60 Millionen Euro sollen Erhöhungen der Vergnügungssteuer, der City Tax und der Zweitwohnungssteuer in die Landeskasse spülen. Eine Anhebung der Anwohnerparkgebühren, wie von der SPD gefordert, verhinderte die CDU-Fraktion. Damit bleibt es beim Dumpingpreis von 10,20 Euro im Jahr für die Vignette, während gleichzeitig der Preis für das Sozialticket um 10 Euro im Monat steigt.
Koalition korrigiert Kürzungen
Nach heftiger Kritik auch der eigenen Fachpolitiker legte die Koalition noch einmal Hand an und korrigierte die Kürzungsliste. Bei vielen Theatern wurden die Sparauflagen abgemildert. Auch bei der Jugendhilfe besserte die Koalition nach. Vor allem aber bekamen die freien Träger die Zusage, dass sie ihren Beschäftigten 2025 Tariferhöhungen zahlen können. Dabei geht es immerhin um fast 50 Millionen Euro, die zunächst gestrichen worden waren.
Diese Änderungen hatten jedoch den Preis, dass es weniger Geld für den Unterhalt von Parks geben wird. Dem Technikmuseum wurde der Zuschuss für ein neues Empfangsgebäude gestrichen. Besonders bluten mussten Programme zum Kita- und Sportplatzausbau und für den Ausbau von Räumen für Künstler:innen.
Doch die Koalitionäre kämpften auch mit ganz praktischen Widrigkeiten. Wie weit der Weg vom Kürzungsbeschluss auf dem Papier bis zur realen Einsparung ist, zeigte sich beim 29-Euro-Ticket. Weder der Regierende Bürgermeister, noch Finanzsenator Evers, Wirtschaftssenatorin Giffey, die beiden Fraktionsvorsitzenden Dirk Stettner (CDU) und Raed Saleh (SPD) oder die beiden Parteichefs der SPD konnten auf ihrer Pressekonferenz zu siebt genau sagen, wie und wann das Ticket ausläuft.
"Böses Erwachen" in 2025
Am Ende kommt ein Ausstiegs-Modell heraus, das den Landeshaushalt zunächst sogar mehr Geld kosten wird. Für die Opposition ist das Wirr-Warr um das Ticket nurmehr ein Vorzeichen, dass im neuen Jahr noch mehr Chaos und bittere Wahrheiten drohen. Der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion Sebastian Schlüsselburg prophezeit: "Das böse Erwachen kommt im Haushaltsvollzug."
Schlüsselburg weist auf einen Kniff der Koalition hin, der sich nach abstrakter Haushaltstechnik anhört, aber konkret auswirkt. So sind die Haushaltstitel, in denen gespart werden soll, gar nicht gekürzt, sondern nur gesperrt worden.
Davor warnt auch André Schulze, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen. Träger im Bildungs- und Kultur-Bereich wüssten vielfach noch immer nicht, mit welchen Zuwendungen sie rechnen können. Ihnen seien zum Teil Gelder nur für das erste Vierteljahr bewilligt worden, obwohl Personalkosten oder längerfristige Mietverträge weiterlaufen. "Die Unsicherheit, die uns seit einem Jahr in Atem hält, geht genauso weiter", resümiert Schulze.
Landesunternehmen sollen Haushalt entlasten
Eine riesige Unsicherheit schlummert zudem in den von der Koalition angekündigten "alternativen Finanzierungsmodellen". Sie sollen eine Art Wundertüte sein, um den Landeshaushalt um bis zu eine Milliarde Euro zu entlasten. Sowohl die Beschaffung neuer Elektro-Busse als auch das neue Herzzentrum für die Charité und eine 154-Millionen-Euro-Finanzspritze für den Krankenhauskonzern Vivantes will die Koalition "alternativ" finanzieren.
Konkrete Konzepte dafür liegen aber noch nicht auf dem Tisch. Klar ist nur, dass es sich um neue Kredite handeln soll, die nicht über den Landeshaushalt sondern über Landesunternehmen laufen. Für AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker ein finanzpolitischer Albtraum: "Weitere Schulden von Landesunternehmen bleiben Schulden der Steuerzahler."
Erklärt der Senat die Notlage?
Doch auch wenn die Finanzierungsinstrumente angewendet und alle Sparbeschlüsse umgesetzt werden können, ist absehbar: Das Geld wird nicht reichen. Im Senat sind daher die Planungen für die Erklärung einer Notlage weit gediehen. Damit sollen Kredite ermöglicht werden, um die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aufzubringen. Dabei geht es um einen Betrag von bis zu einer Milliarde Euro, die Schuldenbremsen-konform aufgenommen werden können.
Die oppositionellen Grünen und Linken haben signalisiert, dass sie den Senat bei seiner Notlagen-Erklärung unterstützen werden. Auch weil Haushaltspolitiker wie der Linke Sebastian Schlüsselburg damit rechnen, dass es 2026 finanziell kaum besser aussehen wird. Dazu passt, dass der Regierende Bürgermeister und sein Finanzsenator jüngst von weiteren zwei Milliarden Kürzungen für 2026 gesprochen hatten. Ob es so kommt, ist aber nicht ausgemacht. Bekanntlich wählt Berlin 2026 ein neues Abgeordnetenhaus.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.12.2024, 8:00 Uhr