rbb|24 exklusiv - Konkrete Belästigungsvorwürfe gegen Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar

Di 31.12.24 | 21:30 Uhr | Von Viktoria Kleber, Ute Schuhmacher und Thorsten Gabriel
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Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen). Bild: dts Nachrichtenagentur
dts Nachrichtenagentur
Video: rbb24 Abendschau | 31.12.2024 | V. Kleber / U. Schuhmacher / T. Gabriel | Studiogast: Viktoria Kleber | Bild: dts Nachrichtenagentur

Bislang blieben die Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar unkonkret. Doch jetzt haben Frauen aus der Partei mit dem rbb gesprochen. Gelbhaar weist deren Vorwürfe als Verleumdung zurück. Von V. Kleber, U. Schuhmacher u. T. Gabriel

Für die einen ist es eine handfeste Intrige, die sich da bei den Berliner Grünen abspielt. Ein Machtkampf um ein Bundestagsmandat. Für andere war die Wahlversammlung der Partei am 14. Dezember, auf der über die Listenplätze für die Bundestagswahl abgestimmt wurde, der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

An diesem Tag erklärte der Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar schriftlich seinen Rückzug von der Kandidatur um den aussichtsreichen Listenplatz 2. Wenige Tage zuvor waren Vorwürfe gegen den 48-jährigen laut geworden. Von "Belästigungen" war die Rede.

Intrige im Kampf um sicheren Listenplatz?

Gelbhaar gab eine schriftliche Erklärung ab und zog zurück – nicht, weil er damit Schuld eingestehen wollte, sondern unter Verweis auf die Ombudsstelle der Bundespartei, die sich um Vermittlung kümmern soll. An seiner Stelle wurde der Neuköllner Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch gewählt – mit dem es ansonsten zu einer Kampfkandidatur gekommen wäre. Audretsch ist Wahlkampfmanager des grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck.

Folgt man denen in der Partei, die hinter vorgehaltener Hand eine Intrige wittern, wurden die Vorwürfe gegen Gelbhaar deshalb kurz vor der Wahlversammlung laut, damit sich Audretsch seines Listenplatzes sicher sein konnte. Andere argumentieren dagegen: Audretsch hätte sich ohnehin durchgesetzt, er habe die Mehrheit der Delegierten auf seiner Seite gehabt.

"Die Vorwürfe sind verleumderisch und ausnahmslos unwahr"

Bislang blieben die Belästigungsvorwürfe gegen Stefan Gelbhaar öffentlich unkonkret. Doch jetzt haben sich betroffene Frauen aus der Partei gegenüber rbb|24 zu erkennen gegeben. Sie berichteten uns über eigene Erlebnisse und vermittelten Berichte weiterer Personen, die sich anonym an die Ombudsstelle der Partei gewandt haben. Diejenigen, die sich rbb|24 gegenüber äußerten, gaben zu ihren Schilderungen eidesstattliche Versicherungen ab.

Stefan Gelbhaar, selbst Jurist und Strafverteidiger, lässt sich mittlerweile durch einen Anwalt vertreten. Über ihn ließ der Bundestagsabgeordnete alle Vorwürfe zurückweisen, mit denen ihn rbb|24 konfrontierte. Sie seien "verleumderisch und ausnahmslos unwahr" und "verfolgen ersichtlich alleine den Zweck, mich politisch und parteiintern im laufenden Wahlkampf auszuschalten".

Stefan Gelbhaar selbst hat die Anfrage von rbb|24, in der wir ihn um Stellungnahme zu konkreten Vorwürfen gebeten hatten, mittlerweile auf seiner Webseite veröffentlicht. Dort schreibt er dazu: "Die Vorwürfe sind gelogen."

Warnungen an junge Parteimitglieder

Den Schilderungen zweier Frauen zufolge, die sich dem rbb gegenüber geäußert haben, gibt es in manchen Kreisen der Berliner Grünen schon seit mehr als fünf Jahren Warnungen vor Stefan Gelbhaar, gerichtet an junge Frauen. Eine berichtet, dass sie nach ihrem Parteieintritt bei einer Mitgliederversammlung einen dringenden Rat erhielt. "Ein Parteimitglied hat zu mir gesagt: Pass mal auf, dass du am Ende mit Stefan nicht allein bist."

Die Frau, die nach eigenem Bekunden bei Parteieintritt vor Gelbhaar gewarnt wurde, hatte zunächst ein gutes Verhältnis zu ihm, wie sie sagt. Doch das habe sich vor einigen Monaten geändert. Da sei sie mit ihm bei einer Veranstaltung gewesen. Am Rande hätte Gelbhaar ihr gesagt, dass er sie unbedingt einmal küssen wolle. "Ich habe ihn direkt gefragt, was das soll und dass ich das nicht lustig fände und ihm auch nochmal vermittelt, dass ich in einer Beziehung bin", so die Frau gegenüber rbb|24.

"Stefan meinte, mir würde sowieso niemand glauben"

Gelbhaar hätte gelacht und es als Scherz abgetan. "Dann kam er blitzschnell auf mich zu, hielt meinen Kopf mit beiden Händen fest, presste seine Lippen auf meine. Ich konnte mich nicht bewegen und versuchte nur, ihn von mir wegzudrücken. Nach einigen Sekunden ließ er dann wieder von mir ab." Sie sei völlig schockiert gewesen, erzählt sie. "Er hat nur gelacht und gesagt, ich müsste mal mein Gesicht sehen."

Sie sei dann gegangen, hätte ihn aber eine Woche später auf die Situation angesprochen. "Stefan meinte, mir würde sowieso niemand glauben, falls ich das jemandem erzählen würde." Sie habe die Geschichte jetzt bei der Ombudsstelle der Grünen gemeldet, sagt sie.

Gelbhaars Anwalt teilt dazu mit, der Vorwurf sei erfunden. Sein Mandant sei an dem betreffenden Tag erst bei seiner Familie gewesen, später bei einer Veranstaltung und am Abend wieder zu Hause. Außerdem beklagt er, die ihm von uns vorgelegte Beschreibung, Gelbhaar habe den Kopf der Frau mit beiden Händen festgehalten und seine Lippen auf die der Frau gepresst, sei "vollkommen unkonkret".

Der Anwalt fragt: "Soll es zu einem Kuss, also einer Berührung der Lippen gekommen sein oder soll n̶u̶r̶der Kopf der Betroffenen berührt worden sein, so als ob ein Kuss beabsichtigt gewesen sei?" Das gestrichene Wort "nur" im Zitat findet sich wörtlich so im Schreiben des Anwalts.

Frauen meldeten sich nach Parteiveranstaltung bei der Ombudsstelle

Es sei eine von mindestens zehn Meldungen an die Ombudsstelle der Grünen auf Bundesebene, heißt es aus Parteikreisen. Gelbhaar selbst spricht auf seiner Webseite von zwölf "Meldungen von Betroffenen" und sechs weiteren "Meldungen von Nichtbetroffenen", die bei der Ombudsstelle eingegangen seien. Unklar sei, "ob sich verschiedene Meldungen auch auf ein Ereignis beziehen (können), oder jeweils einem Ereignis eine Meldung zuzuordnen ist."

Gemeldet haben sich die Frauen dort, nachdem bei einer parteiinternen Veranstaltung Mitte Dezember Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar öffentlich angesprochen wurden. Dort wurden sie aufgefordert, etwaige Vorfälle der Ombudsstelle zu melden, anstatt sie auf der Versammlung zu diskutieren.

In einem anderen bei der Ombudsstelle aktenkundigen Fall beschreibt eine weitere Person ein Ereignis aus dem vergangenen Jahr. Die anonyme Mail mit detaillierten Schilderungen an die Ombudsstelle liegt rbb|24 vor. Die Frau berichtet darin von Berührungen auf dem Nachhauseweg von einer Parteiveranstaltung durch Gelbhaar gegen ihren Willen. Auch diesen Vorwurf bezeichnet der Anwalt Gelbhaars als "erfunden". Er weist außerdem darauf hin, dass es nicht nur eine, sondern mehrere Parteiveranstaltungen an dem betreffenden Tag gab, an denen sein Mandant teilgenommen habe.

Nicht das erste Ombudsverfahren gegen Gelbhaar

Es sind nicht die ersten Ombudsverfahren gegen Stefan Gelbhaar. Eine junge Frau wandte sich vor ungefähr einem Jahr bereits an die Ombudsstelle der Landespartei, berichtet sie rbb|24. Bei ihrem Parteieintritt mehrere Jahre zuvor war sie noch keine 20 Jahre alt. Gelbhaar sei ihr auf Social Media gefolgt. "Er likte Stories, schrieb mir regelmäßig Nachrichten, auch nach Mitternacht. Darunter viele Kommentare zu meinem Aussehen", so das Grünen-Mitglied.

Bei weiteren Begegnungen im Rahmen der Parteiarbeit hätte Gelbhaar sie zunächst am Arm gestreichelt und dann am unteren Rücken angefasst. "Einmal hat er mich eingeladen mit ihm alleine in eine Wohnung zu gehen", erzählt die junge Frau. Sie habe dies abgelehnt und sei ihm fortan aus dem Weg gegangen.

Dass die Frau sich erst 2023 an die Ombudsstelle wandte, erklärt sie dem rbb gegenüber so: "Ich dachte damals, er findet mich einfach gut. Erst als mir andere von ähnlichen Erfahrungen berichtet haben, habe ich verstanden, dass das ein systematisches Vorgehen ist. Dann dachte ich, ich muss etwas machen." Das Verfahren vor der Ombudsstelle ist mittlerweile abgeschlossen. Als Ergebnis wurde der Frau mitgeteilt, dass Gelbhaar versprochen habe, in Zukunft mehr auf sein Verhalten zu achten.

Gelbhaar macht weiteres Ombudsverfahren öffentlich

Auch diesen Vorwurf bezeichnet der Anwalt von Gelbhaar als erfunden: "Ein unaufgefordertes oder gar unerwünschtes Streicheln an Arm und Rücken einer Person sowie eine Einladung, mit dieser Person alleine in eine Wohnung zu gehen, hat nicht stattgefunden." Er fragt außerdem nach, ob sich bei den Schilderungen um einen "Vorwurf gegenüber der Ombudsstelle aus 2021" handelt. In diesem Verfahren sei es ausschließlich um den schriftlichen Austausch gegangen, keinesfalls um körperliche Berührungen oder eine Einladung in eine Wohnung.

Damit bestätigt Gelbhaars Anwalt ein weiteres, früheres Ombudsverfahren auf Landesebene, dass es nach rbb-Recherchen ebenfalls gab. Stefan Gelbhaar selbst listet auf seiner Webseite noch ein weiteres Ombudsverfahren auf. Dabei geht es um einen Vorwurf aus dem Jahr 2009, der erst 15 Jahre später der Ombudsstelle der Berliner Grünen gemeldet worden sei.

Es liegen keine Strafanzeigen vor

Bereits zwei Tage vor Weihnachten hatte sich Gelbhaar in einer Rundmail an die Pankower Grünen-Mitglieder gewandt. Es tue ihm leid, dass Menschen sich bei ihm unwohl gefühlt hätten. "Sollte ich Grenzen verletzt haben, werde ich hoffentlich die Gelegenheit erhalten, mich dafür zu entschuldigen. Ich werde mich aktiv damit auseinandersetzen und sicherstellen, künftig achtsamer mit den Gefühlen anderer umzugehen." Gleichzeitig betont er in dem Schreiben, dass keine Strafanzeigen gegen ihn vorlägen. Und er kündigte an, gegen "absurde Falschbehauptungen" juristisch vorzugehen.

In der Tat erstattete keine der Personen, die bislang Vorwürfe erhoben, Anzeige gegen Gelbhaar. Darauf angesprochen, verwiesen die Frauen, mit denen rbb|24 sprach, darauf, dass sie sich mit Blick auf ihre eigene Karriere davor gescheut hätten, sich durch eine Strafanzeige gegenüber Gelbhaar zu erkennen zu geben. Sie erinnern daran, dass er in der Partei gut vernetzt sei.

Gelbhaar will weiter für den Bundestag kandidieren

Außerdem gilt er für die Berliner Grünen als strategisch wichtige Person, weil er seinen Wahlkreis in Pankow zuletzt direkt gewann. Für diesen Direktwahlkreis ist Stefan Gelbhaar auch weiterhin nominiert – noch. Denn kurz vor Weihnachten verschickte der Pankower Grünen-Kreisverband eine Einladung zu einer weiteren Wahlversammlung.

Am 8. Januar soll dort erneut ein Direktkandidat aufgestellt werden. Stefan Gelbhaar hat rbb|24 bestätigt, dass er an einer Kandidatur festhalten will.

Sendung: rbb24 Abendschau, 31.12.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Viktoria Kleber, Ute Schuhmacher und Thorsten Gabriel

5 Kommentare

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  1. 5.

    Bin bestimmt kein Fan von den Grünen, aber das kommt mir irgendwie komisch vor.
    Sorry.
    [...] "Stefan meinte, mir würde sowieso niemand glauben, falls ich das jemandem erzählen würde."
    Das klingt so konstruiert.
    Mich haben auch schon Kollegen in den Arm genommen und geknuddelt. Na und? Bin erwachsen, kann mich wehren, wenns mir nicht passt. Bisher wars immer liebevoll gemeint. Und wenn einer bis nachts nervige Nachrichten schickt - blockieren.
    Ist aber auch alles kompliziert geworden heutzutage.

  2. 4.

    Okay, mein Versehen, aber für die Argumentation und als Beispiel jetzt nicht entscheidend.

    (in diesem Zusammenhang)
    @ Beitrag 2, mensch Mayer:

    ich habe ja ganz bewusst von "Bandbreite" gesprochen, die folglich von knapp über Null bis beinahe zum Hundertprozentigen reicht. Dass Stefan Gelbhaars Verhalten dabei gleich Null wäre, würde er vermutlich nicht einmal selbst behaupten. Es geht dabei eher um eine umgangskulturelle Dimension als um etwas Strafrechtliches.

  3. 2.

    Es steht doch noch gar nicht fest, ob Gelbhaar was verbotenes gemacht hat oder ob es sich nur um eine grüne Metoo-Aktion handelt. Wenn was dran ist,hat erdie Folgen zu tragen-aber nicht vorher.

  4. 1.

    Gleich der Person und gleich der Partei scheint es sich um eine Denkhaltung zu handeln, die das "zugelegte schöne Geschlecht" im Sinne eigener Ziele verwendet. Bei Präsidenten des italienischen Fußballverbandes wurde dies fotografisch dokumentiert, als der vor laufenden Kameras die Spielführerin der italienischen Frauennationalmannschaft gegen deren Willen auf den Mund küsste. Das Ausmaß solcher "Verwendung" von Frauen und ihrer "Indienstnahme" für eigene Zwecke dürfte die ganze Bandbreite aufweisen - unabhängig davon, wie es sich in diesem Fall konkret verhalten hat.

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