20 Jahre "Laib und Seele" - "Der Großteil der Menschen ist dankbar"
Seit 20 Jahren verteilt die Inititave "Laib und Seele" Lebensmittel an Bedürftige in Berlin. Carola Thumm-Söhle ist seit Anfang an dabei. Wie sich die Arbeit der Ehrenamtlichen verändert hat, erzählt sie im Interview.
"Laib und Seele" ist eine gemeinsame Aktion von Kirchengemeinden, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg und der Berliner Tafel. In den über die Stadt verteilten 49 Ausgabestellen arbeiten rund 1.600 Ehrenamtliche und geben wöchentlich Lebensmittel an derzeit bis zu 75.000 bedürftige Menschen aus. Die Kirchen stellen dafür die Räumlichkeiten bereit.
Am 3. Januar 2005 öffneten die ersten drei "Laib und Seele"-Ausgabestellen. Carola Thumm-Söhle engagiert sich nahezu von Beginn an - seit dem 19. Januar 2005 - bei "Laib und Seele" und leitet die Ausgabestelle in der Martin-Luther-Genezareth Kirchengemeinde in Berlin-Neukölln.
rbb: Frau Thumm-Söhle, was war Ihr Impuls, bei der Berliner Tafel mitzumachen?
Carola Thumm-Söhle: Ich habe beim Bürgeramt meinen Personalsweis abgeholt und einen Flyer gesehen, dass die Berliner Tafel Kirchengemeinden sucht, die sich vorstellen könnten, an einer Ausgabestelle mitzumachen. Ich bin mit dem Flyer zum Pfarrer, weil das zum Profil der Gemeinde passen könnte und ich mittwochs Zeit hätte. Er hatte es mit dem Gemeindekirchenrat besprochen und drei Tage später sagte er zu mir: Du hast den Job.
War das so, wie Sie sich das vorgestellt haben? Oder ist die Realität doch schwieriger und rauer?
Anfangs hatte ich überhaupt keine Vorstellung, wie so eine Ausgabestelle funktioniert. Es war nur klar: Wir verteilen Lebensmittel an Menschen, die wenig Geld haben und die Gemeinde stellt die Räume zur Verfügung. Die Lebensmittel werden von der Berliner Tafel wöchentlich geliefert.
War die Situation vor 20 Jahren, als Sie angefangen haben, anders?
Wir haben mit 50 Kunden oder Abholern, je nachdem wie man sie bezeichnet, begonnen. Mittlerweile sind wir wieder bei 130 Haushalten, der Peak war 2015 bei 300 Haushalten pro Woche.
Es ist immer wieder zu hören, dass der Bedarf größer wird, aber die Läden geben nicht unbedingt mehr. Stimmt das so?
Ja, das stimmt so. Nach 2015 hatte sich die Situation wieder ein bisschen geebnet. Der Bedarf war zwar hoch, aber nicht zu hoch, so dass man es gut handeln konnte - auch mit den Waren, die man gespendet bekommen hat. Dann kam der Lockdown. Da war die Situation eine ganz andere, die muss man so ein bisschen ausblenden. Nach Corona sind einige Menschen wieder gekommen, die vorher auch schon bedürftig waren, plus die ukrainischen Familien. Auf diese Menschenmengen waren wir einfach nicht vorbereitet gewesen. Parallel dazu hatte der Einzelhandel seine Bestellsysteme verfeinert, weshalb wir auch weniger Ware bekommen.
Wie funktioniert die Ausgabe der Lebensmittel?
Jede Ausgabestelle hat ihr eigenes Setting, wie die Kunden bedient werden. Wir machen das nach dem Alphabet, von A bis Z. Es gibt im Schaukasten der Gemeinde und bei mir an der Anmeldung einen Kalender und die Buchstaben, die wöchentlich rotieren. Wenn ich also diese Woche Mittwoch mit A anfange, fange ich nächste Woche mit B an, die Woche darauf mit C. Wer zu seiner Buchstabengruppe nicht da ist, der muss warten, bis es wieder von vorne beginnt.
Es gibt Menschen, die sicherlich dankbar sind, wenn sie etwas umsonst bekommen. Hat sich trotzdem die Anspruchshaltung verändert?
Es ist eine Mischung von beiden. Ich würde sagen, dass der Großteil der Menschen dankbar ist, dass wir uns morgens ab 8 Uhr hinstellen und die Lebensmittel durchsortieren. Alles, was wir gespendet bekommen, kann man nicht eins zu eins weitergeben, sondern es muss vorsortiert werden - gerade im Obst- und Gemüsebereich.
Die Menschen, die nicht dankbar sind, werden vielleicht ihre Gründe dafür haben, die wir aber nicht kennen und auch nicht kennen wollen. Die sind vielleicht auch undankbar. Was heißt undankbar? Denen passt nicht das Setting oder die Ware. Das ist dann schwierig. Aber es kann auch mal in Aggressivität uns gegenüber umschlagen.
Wie gehen Sie mit Aggressivität um?
Tief durchatmen. Es ist schwierig. Man muss halt lernen, die Ruhe zu bewahren, wie das in jedem Konflikt im Leben sein sollte. Wenn sich der Konflikt hochschaukelt, dann haben wir auch schon mal die Polizei gerufen. Uns sind Lebensmitteltüten auch schon vor die Füße geschüttet worden. Dann ist es auch schon mal laut geworden. Das ist aber nicht die Regel, sondern wir versuchen, das System zu erklären, dass sie warten müssen, dass wir nur das verteilt bekommen, was wir gespendet bekommen. Das ist aber nicht unbedingt immer das, was der Mensch in der Situation braucht.
Geben Sie sich im Team untereinander auch Kraft? Das macht ja sicher auch was mit Ihnen, wenn Sie beschimpft werden.
Meistens werden die Verteiler beschimpft. Wenn ich etwas mitkriege oder aktiv gerufen werde, versuche ich, den Menschen zu beruhigen und zu sagen, es gibt halt heute nur zwei Äpfel und keine fünf wie die Woche davor, und dass wir es nicht ändern können.
Aber es gibt sicherlich auch schöne Momente?
Ja, die gibt es sehr oft. Weil, wie gesagt, es gibt schon viele Menschen, die dankbar sind. Wir haben Lebensmittel, die wir verteilen können, die nicht auf den Müll fliegen. Wir sind ein tolles Team. Ich habe fast 32 Mitarbeiter, die ihr Bestes geben, Woche für Woche und die auch aufeinander achten. Eine ukrainische Familie bringt uns alle vier oder sechs Wochen selbst gebackenen Kuchen mit. Die haben selber wenig Geld. Das finde ich sehr rührend.
Brauchen Sie noch Unterstützung oder haben Sie genug, die mit Ihnen arbeiten?
Es ist ein ehrenamtlich betriebener Einzelhandel, wo wir schwerkörperliche Arbeit zu leisten. Die meisten unserer Mitarbeiter sind zwischen 65 und 70 plus. Was fehlt sind Männer, die regelmäßig kommen, uns beim Sortieren und beim Schleppen der Kisten, sowie bei den Aufräumarbeiten am Nachmittag helfen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mit Carola Thumm-Söhle sprach Ingo Hoppe für rbb 88,8. Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das Interview kann im Audio-Player nachgehört werden.
Sendung: rbb88,8, 03.01.2025, 18:10 Uhr
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