Am Späti in Britz - "Wenn wir unseren Mietpreis sagen, staunen immer alle, wie niedrig der ist"
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Autorin, die von einer weiten Reise zurück ist und versucht, sich wieder an das trubelige Berlin zu gewöhnen.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Ich war in diesem Jahr mit meiner Familie sieben Monate auf Reisen, wir sind ums Mittelmeer herumgereist. Ziemlich komische Welterfahrung, wie viel Müll überall ist, wie heiß es ist, was so los ist. Seit September sind wir wieder zurück. Ich habe jetzt zwei Schulkinder und seitdem ist Vollchaos, Berlin finde ich übelst anstrengend. Bevor das erste Kind eingeschult wurde, haben wir auch schon eine lange Reise gemacht, bevor das zweite eingeschult wurde jetzt wieder. Das älteste Kind wurde während der Reise fernbeschult. Da war ich die Lehrerin, das ging ganz gut.
Sie hat eigentlich schon ihr Rad aufgeschlossen, nimmt sich jetzt aber doch einen Moment Zeit für ein Gespräch, ist sofort offen und freundlich.
Ich bin gebürtige Brandenburgerin. Ich finde es richtig heftig, was in Brandenburg politisch abgeht mit dem Rechtsruck und der AfD. Als wir auf der Reise waren, hatten wir einen großen Abstand dazu. Wir haben immer Tagesschau geguckt jeden Tag, aber da war der Abstand größer. Italienische Nazis haben wir auch gesehen, aber die hatten irgendwie weniger mit uns zu tun.
Ich probiere momentan, Schriftstellerin zu sein. Ich schreibe gerade an einem Text zu den 90ern. Ich bin gerade bei Plattenbau im Osten, DDR, Nachwende, Punks und Nazis angekommen. Da schmerzt es mich zu sehen, wie im Kulturbetrieb gerade gekürzt wird. Das verteilt viele Päckchen auch auf mein Umfeld. Gerade für die Girls mit Kindern ist es besonders schwer. Viele sind alleinerziehend und kurz vorm Burn Out. Das finde ich besorgniserregend, weil ich nicht weiß, wo die wieder Energie herholen wollen, weil die Urlaube dafür oft einfach nicht reichen.
Ich habe relativ schnell festgestellt, dass Reisen nicht Urlaub ist. Ich hatte gehofft, dass mir diese Zeit Erholung bringt. Als ich losgefahren bin, war ich ziemlich erschöpft. Ich hatte vorher noch schnell mein drittes Studium abgeschlossen und nebenher gearbeitet. Und dann dachte ich, als wir losgefahren sind: Ach, jetzt mal hier schön am Strand bisschen Meeresschildkröten kieken. Aber so ist es nicht gewesen. Ich finde Reisen schon auch anstrengend. Immer wenn wir Ländergrenzen passiert haben, brauchte es eine Neuorientierung: Was ist jetzt hier los, welche Sprache wird gesprochen, wie kommen wir klar mit den Leuten?
Wir sind eine nicht sehr leise Familie, nicht immer harmonisch. Aber auf der Reise haben wir Langsamkeit gelernt. Und die haben wir hier auch noch relativ lange halten können. Viele haben bemerkt: Ihr kocht ja so langsam und ihr lauft ja immer so langsam durch die Gegend. Das war ziemlich cool.
Beim Reden spielt sie hin und wieder mit dem Ansatz ihrer Wollmütze, knalllila Haare werden darunter sichtbar.
Jetzt wieder ins wuselige Berlin mit all den 1.000 Anforderungen eintauchen. Der hohe Krankenstand an der Schule zum Beispiel - dafür kann niemand etwas, ich bin da sehr wohlwollend. Aber wir bekommen jeden Tag fünf bis zehn Nachrichten von der Schule oder vom Hort. Von dieser Essenslieferungsgeschichte war auch unsere Schule betroffen. Da haben alle dann völlig am Rad gedreht und ich habe mir gedacht: Sachen ruckeln sich zurecht, wir leben halt im Kapitalismus. So starke Anspruchshaltungen, wie die von anderen Eltern, sind mir fremd, die habe ich nicht.
Ich wohne jetzt schon fast 20 Jahre in Berlin. Seit fast zehn Jahren da in diesem Haus.
Sie zeigt auf ein Eckhaus hinter sich.
Wir suchen im Moment wieder zwei neue Mitbewohner. Wenn wir unseren Mietpreis sagen, staunen immer alle, wie niedrig der ist. Wir kämpfen um jeden Cent, ziehen immer gegen die Mietspiegelanpassung vor Gericht. Wir zahlen vielleicht die Hälfte im Vergleich zu allen anderen WGs.
Ich habe letztens nochmal mit Leuten gesprochen, die meinten, dass sich hier im Kiez so viel verändert, so viele neue Leute kommen, zum Beispiel neue coole WGs. Wir sind auch eine coole WG. Also auch Teil des Problems. Oder des Prozesses. Ich finde aber eigentlich gar nicht, dass sich so viel verändert hat. Manchmal wechselt ein Imbiss oder der Gemüsehändler ist jetzt ein anderer, aber sonst? Also aufwertungsmäßig passiert hier relativ wenig, aber sobald man ein bisschen näher zur Hermannstraße kommt, ändert sich das.
Sie trägt einen schwarzen Leinenbeutel mit der Aufschrift "Acht Eimer Hühnerherzen", einer Punkband, wie man sich ergooglen kann.
Ich bin eine große Punk Rockerin. Gerne erste Reihe beim Konzert, gerne in so ganz kleinen Läden. Demnächst stehen ein paar Konzerte an und ich freue mich sehr. Auch weil ja ziemlich viele Läden geschlossen haben oder von der Schließung bedroht sind. Ich gehe im Dezember zu "Düsenjäger" in den Schokoladen. Und da merke ich, dass ich relativ konservativ in meinem Wunsch bin, dass sich die alten Läden halten, wo ich mir noch ein Bier leisten kann. Sterni 1,50 Euro – das ermöglicht Leuten einfach, einen runden Abend zu haben.
Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24