Am Späti in Buch - "Ist sowieso alles Lügenpresse, da hab‘ ich keinen Bock drauf"
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: Ein ehemaliger Kassierer, der inzwischen als Bestatter arbeitet.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Wer: Bestatter aus Niederschönhausen
Alter: 58
Uhrzeit: 14:04
Gekauft: Eine Packung Zigaretten und ein Kaffee
Woher: von der Arbeit
Wohin: zur Arbeit (Mittagspause)
Späti: ein Lotto-Toto-Laden in der Nähe des S-Bahnhofs Berlin-Buch
Er steht vorm Lotto-Toto-Laden, trinkt einen Kaffee und raucht eine Zigarette - Mittagspause. Zu Anfang des Gesprächs erwähnt er seinen Beruf – Bestatter – betont aber, dass der gar nicht so spannend sei, wie man denkt.
Die ganzen toten Menschen – damit muss man umgehen. Leider habe ich da jeden Tag mit zu tun. Naja, welcher Job macht denn heutzutage Spaß? Aber irgendeiner muss ja den Job machen und gut bezahlt ist er auch – also von daher…
Er antwortet eher einsilbig.
Den Job habe ich durch Beziehungen bekommen. Ansonsten kommt man da nicht mehr ran. Ich fahr für die Bestatter in ganz Berlin. Abholen, abholen, abholen. Hausabholung, Heimabholung, Abholung im Krankenhaus.
Am Anfang war das schon eine Überwindung. Habe den Mund schon voll gehabt, weil das vom Magen hochkam. Wenn du in die Kühlung guckst, wo die alle vor sich hingammeln, weil das heutzutage alles so lange dauert mit den Papieren. Das ist schon traurig. Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre dabei. Aber bis zur Rente muss ich ja noch ein bisschen was machen. Davor war ich bei Rewe als Kassierer – macht überhaupt keinen Spaß.
Ohne Geld läuft ja nichts, ne? Wenn man nichts macht, so wie die mit Bürgergeld, das ist doch keine Erfüllung. Wenn ich das bei Netto sehe, wie die da alle mit ihrem Bier sitzen und das bisschen Geld, was sie haben, versaufen. Da macht das Leben doch keinen Spaß, oder? Ich habe auch noch zwei Kinder, die brauchen auch noch was. Die sind 12 und 13. "Papa, ich brauch dies, Papa ich brauch das". Aber Papa macht.
Gerade bei verstorbenen Kindern ist der Job schon ein bisschen arg. Emotionsmäßig so ein bisschen …
Er wird still.
Wir lassen das einfach nicht ran an uns, solange das nicht die eigenen Kinder sind. Das ist zwar traurig, aber was soll man machen? Das Leben geht weiter. Ich habe jetzt einen ganz anderen Umgang mit dem Tod. Was mit einem danach passiert, ist auch alles nicht schön, wie man aus dem Krankenhaus entlassen wird, wenn noch die Apparate und Schläuche alle dran sind. Wir müssen die abholen. Das ist wie ein Stück Fleisch, was nichts mehr wert ist. Das macht keinen Spaß, wenn man das alles sieht.
Für mich heißt das: Nicht im Krankenhaus sterben. Zu Hause! Ganz in Ruhe einschlafen. Aber im Krankenhaus? Das muss man sich nicht antun. Na, was soll‘s? Das Leben geht weiter!
Ich bin nicht wählen gegangen. Warum soll ich denn wählen gehen? Ändern tut sich doch eh nichts, ist einfach mal so. Ob das nun die AfD ist oder die anderen alle. Nur immer versprechen und nichts halten, warum soll man da noch wählen gehen?
Ganz ehrlich? Ich war noch nie wählen. Noch nie! Muss ich nicht haben. Wenn sich was verändert, ist es gut. Und wenn nicht, dann bleibt das so. Wir haben da eh keinen Einfluss drauf. Waren sie wählen?
Auf die Antwort "Ja", lacht er amüsiert. Er zündet sich eine Zigarette an.
Ich kann nichts mehr drehen in meinem Alter. Mich wundert gar nichts mehr. Mir ist das alles egal, sollen sie halt machen. Jetzt wollen sie ja wieder ans Sozialgeld gehen, wie ich gehört habe. Da kürzen, hier kürzen. Die sollen mal bei sich kürzen, dann läuft das alles anders. Diäten zum Beispiel weg oder irgendwas. Die verdienen doch schon genug! Und immer die Kleinen müssen bluten. Deswegen gehe ich nicht wählen.
Auf die Frage, worüber in seinem Umfeld mal dringend berichtet werden müsste, zuckt er die Schultern.
Vielleicht ein bisschen mehr Wahrheit berichten. Wenn man die ganzen anderen Radiosender sieht, das wird denen doch vorgeschrieben, was sie bringen dürfen und was nicht. Das finde ich alles sehr kurios. Ich gucke kaum Fernsehen, weil ich nur unterwegs bin. Wenn ich mal gucke, dann Filme. Aber Nachrichten? Keinen Bock drauf. Ist sowieso alles Lügenpresse, da hab‘ ich keinen Bock drauf, mir so eine Scheiße anzuhören. Das bringt einen auch nicht weiter, wenn man sich das reinzwiebelt.
Er geht in den Laden.
Ich brauch noch was zu rauchen. Das ist das einzige Laster, was man noch hat. Keinen Alkohol, aber Zigaretten. Ein Laster muss man haben.
Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24
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