Am Späti in Weißensee - "Ich finde es gefährlich, Israelkritik mit Antisemitismus gleichzusetzen"

So 15.12.24 | 17:30 Uhr
Grafik: Ein Bündel Bananen.(Quelle:rbb)
Bild: rbb

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter:innen sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Student, der den Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit dem Nahost-Konflikt kritisiert.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Wer: Student der visuellen Kommunikation in Weißensee
Alter: 29 Jahre
Uhrzeit: 10:45 Uhr
Gekauft: eine Packung Kaugummis und Bananen
Woher: von seiner Freundin in Britz
Wohin: in die Werkstatt an der Hochschule
Späti: ein Späti in einer Seitenstraße in Berlin-Weißensee, zwei Bänke laden zum Verweilen ein.

 

Ich arbeite heute an meiner Zeichnung, die dann gedruckt wird. Lithographie. Das ist eine recht alte Drucktechnik – Steindruck. Ich bin schon etwas länger an der Uni und bevor ich bald den Abschluss mache, wollte ich unbedingt noch die Werkstätten austesten. Das ist also eine der ersten Drucktechniken, die ich ausprobieren will.

Ich wohne in Schöneberg, aber hab bis letzten Dezember hier um die Ecke gewohnt. Ich bin seit 2015 in Berlin.

Er grinst freundlich. Beim Sprechen hält er stets den Augenkontakt. Er trägt eine Baskenmütze.

Das letzte Jahr war ambivalent. Weltpolitisch ist alles ein bisschen angsteinflößend und beunruhigend. Persönlich gehe ich ganz gut aus dem Jahr, aber im größeren Ganzen bin ich etwas besorgt, wie sich die Dinge entwickeln. Lokal, national und global. Diverse Sachen. In Berlin geht, glaub ich, einiges den Bach runter, seitdem die CDU regiert – kürzlich erst die Sache mit den großen Kürzungen im Kunst- und Kulturbereich. Ganze Programme werden gestrichen für Leute mit Behinderungen.

Und dann auch gewisse Tendenzen zur – ja im Grunde – Zensur gewisser Menschen, die gewisse Äußerungen tätigen.

Er zögert kurz.

Ich weiß, dass der Begriff in Deutschland kontrovers ist – aber in Bezug auf den Genozid in Gaza.

Dass kritische Stimmen - auch aufgrund der neuen Resolution, die eine falsche Definition von Antisemitismus als Leitlinie nimmt – und auch viele jüdische Aktivistinnen zensiert werden und Förderungen gestrichen werden. Kürzlich hat eine Person einen Architekturpreis nicht gewonnen, weil sie einen Boykottaufruf unterschrieben hat. Ich finde es ziemlich verrückt, wie Deutschland auf einmal meint, es hätte die Hoheitsdefinition von Antisemitismus. Das Absurde ist, dass es auch jüdischen Menschen vorgeworfen wird. Ich finde es gefährlich, Kritik am Staat Israel gleichzusetzen mit Antisemitismus.

Ich arbeite als Illustrator im Musik- und Eventbereich, da hat das jetzt keinen direkten Zusammenhang. Andererseits bewege ich mich ein bisschen in der Bubble von einem queeren Kunstkollektiv, das eher international aufgestellt ist.

Er lässt sich Zeit beim Sprechen. Es wirkt, als wolle er unbedingt die richtigen Worte wählen.

Da ist der Großteil der Menschen schon eher kritisch dem Ganzen gegenüber, hat also eine pro-palästinensische Meinung und schaut da wesentlich kritischer drauf, was in Deutschland passiert und welche Stimmen vor allem auch in den öffentlichen Medien gestärkt werden.

Klar, ich kann auch verstehen, dass Deutschland da natürlich in einer komplizierten Situation ist aufgrund historischer Gegebenheiten. Aber neulich erst das Pressestatement der Regierung bezüglich des Haftbefehls gegen Netanjahu – das find ich sehr brisant, weil das eigentlich fast ein Kipppunkt ist.

Da hat Deutschland einfach keinen Deutungsspielraum. Das wurde so entschieden und der Haftbefehl wurde ausgesprochen. Deutschland kann sich das nicht einfach zurechtlegen und sagen: "hier machen wir das jetzt nicht", wo das internationale Recht in anderen Kontexten doch so hochgehalten wurde. Wenn das jetzt bricht, dann kann es schon schwerwiegende Folgen für die globale Politik haben.

Das Beunruhigende ist - und das herrscht eigentlich schon seit 9/11 - die zunehmende Islamophobie. Die ganze deutsche und europäische Gesellschaft ist zunehmend xenophob und rassistisch, und klar - der Araber ist das neue Feindbild. Da findet eine gewisse Entmenschlichung statt und das tritt hier immer deutlicher zu Tage. In der Springer-Presse und in der breiten deutschen Masse gibt es da ziemlich üble Darstellungen.

Man muss sich wieder näherkommen, gerade auch wie man darüber spricht und sich begegnet. Da braucht es, glaube ich, mehr Mitgefühl. Auf die aktuellen Gegebenheiten bezogen, hoffe ich, dass das mehr Menschen sehen. Es darf auch nicht zu schwarz und weiß sein, dass jetzt auf einmal alle sagen "Wir verdammen Israel". Aber es wäre einfach mal ein Minimum zu sehen, dass das richtig übel und scheiße ist, was da abgeht. Und wie viele Menschen dabei umkommen. Und das geht einfach weiter und weiter und weiter. Und jetzt der Libanon - da geht es weiter.

Es ist immer dieselbe Chose - von wegen "wir müssen den Terror vernichten". Aber das geht ja, glaube ich, gar nicht.

Am Anfang des Gespräch erwähnt er einen gewissen Weltschmerz, auf den wir nun noch einmal zu sprechen kommen.

Ich will mehr Aktivismus in meinem Leben, dass ich zu mindestens lokal zu Veranstaltungen gehe und mich mit Leuten umgebe, die was machen und dass ich mich jetzt nicht komplett am Handy im Weltschmerz suhle. Ich glaube, so etwas hilft, um zumindest ein bisschen Selbstwirksamkeit zu erleben. Auf dem lokalen Level kann man ja zumindest ein bisschen was machen. Auf Demos gehen, Vereinen beitreten oder Organisationen – das wäre für mich jetzt aber eher Zukunftsmusik.

Informiert bleiben, Dialoge führen, sich nicht immer weiter polarisieren, entfernen und streiten. Sich mehr in der Mitte treffen. Sich nicht direkt canceln aufgrund gewisser Ansichten.

Wir kommen wieder auf die Förderungen im Kulturbereich zu sprechen, die er zu Beginn erwähnte.

Mich persönlich trifft es bisher nicht, weil ich in einer privilegierten Position bin. Brauche ich nicht zu beschönigen. Ich habe ein Auffangnetz durch Freunde und Familie. Ich kenne indirekt oder direkt Personen, die wesentlich mehr auf Förderungen angewiesen sind. Das, was ich jetzt kreativ mache, ist eben schon eher eine Dienstleistung - Illustration, Grafik.

Ich verdiene damit ganz okay Geld. Es gibt andere Kunstformen, die sind wesentlich mehr auf Förderung angewiesen - Installation, Performance und solche Sachen. Wenn Berlin weiter Förderung streicht, geht einiges in der Stadt verloren. Auch für viele internationale Leute ist Berlin deswegen so attraktiv.

Was nächtes Jahr ansteht? Mein 30. Geburtstag.

Er lacht.

Das sehe ich aber nicht so dramatisch. Viele meiner Freunde sind schon Mitte, Ende Dreißig. Ich beschäftige mich jetzt nicht die ganze Zeit damit, dass ich aus den Zwanzigern rausgehe. Ich freue mich auf die Dreißiger - ich glaube, da stehen spannende Sachen bevor.

Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24

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