Interview | Positive Psychologie - "Wir müssen positive Emotionen sehr viel bewusster herstellen"

So 05.01.25 | 10:24 Uhr
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Symbolbild: Eine Frau steht vor einem großen Spiegel und trägt einen gemütlichen Mantel und eine Mütze. (Quelle: dpa/Aleksei Isachenko)
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Audio: rbb24 Inforadio | 27.12.2024 | Interview mit Mailin Modrack | Bild: dpa/Aleksei Isachenko

Viele Menschen zieht die andauernde Sorge um die Weltlage runter - man würde gerne raus aus den negativen Gedanken. Wie das geht, und warum es auch wichtig ist, erklärt Mailin Modrack von der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie.

rbb: Frau Modrack, was ist positive Psychologie?

Mailin Modrack: Die positive Psychologie ist, ganz verknappt gesprochen, die Wissenschaft des gelingenden Lebens. Sie entstand in den 90er-Jahren in den USA. Ein Kollektiv aus Forscherinnen und Forschern hatte damals das dringende Bedürfnis, die klassische akademische Psychologie, die bis dahin sehr auf klinische Kontexte fokussiert war, zu erweitern um die Frage: Wie können wir das ausbauen, was positiv in Menschen angelegt ist - ihre Stärken, ihr Erleben von Sinn, ihr Gefühl dafür, was ihnen im Leben wertvoll und bedeutsam ist?

zur person

Viele Leute sind in diesen Zeiten nicht positiv gestimmt. Ein Journalist der "Süddeutschen Zeitung" hat das so formuliert: Frage man die Leute, wie es ihnen gehe, antworteten viele, privat sei alles okay, aber die Weltlage ziehe sie runter. Ist eine solche negative belastete Grundstimmung ein Fall für positive Psychologie?

Absolut. Gleichzeitig möchte ich an der Stelle dafür sensibilisieren, dass die positive Psychologie keine "Happyologie" oder kein Glücksdiktat ist. Sie möchte positive Stimuli dahingehend liefern, immer wieder auch bewusst auf das Gute und das Tragende im Leben zu blicken. Was Sie beschreiben, nennt die Psychologie die Zerstörung von Grundannahmen. Diese Erfahrung von: Hier ist etwas anders, weil ich mich plötzlich innerhalb Europas nicht mehr sicher fühlen kann. Oder: Hier ist etwas anders, weil ich gerade nicht mehr sicher sein kann, dass mein Arbeitskontext noch genug soziale Interaktion bietet, dass ich mich gut gebunden und gehalten fühle. Ich würde immer zunächst dieses Gefühl und diese Grundlage würdigen und anerkennen. Und ja, solche "Fälle" oder Situationen sind aber auch sehr dankbar dafür, sich mit positiver Psychologie zu beschäftigen.

Sollten solche Sorgen und Ängste nicht abgetan werden nach dem Motto: Reiß dich zusammen und lach doch mal wieder?

Richtig. Es gibt immer diesen Zweiklang: einerseits zu würdigen und anzuerkennen, was an schmerzhaften Erfahrungen da ist und was Menschen in negative Emotionalitäten bringt. Gleichzeitig aber immer wieder die Perspektive zu wagen auf das, was gerade an Stärkendem da ist, was Halt und Orientierung schenken kann in diesen gesellschaftlich und politisch sehr herausfordernden Zeiten.

Was könnte uns stärken, wenn man das Gefühl hat, es zieht mich alles runter, die Welt wird doch immer schlechter?

Die Psychologie arbeitet gerne mit Modellen - das ist der Versuch, komplexe Zusammenhänge möglichst "verdaulich" darzustellen. Eines der Modelle, das in der Wissenschaftsszene sehr gut kommuniziert ist, nennt sich "Perma-Modell" von Martin Seligman. "Perma" ist ein Akronym für fünf Buchstaben. Das "P" steht für positive Emotionen, das "E" für Engagement und Momente von Flow, also dem absoluten Aufgehen in einer Tätigkeit. Das "R" bezieht sich auf Relationships, eine gute Beziehungsgestaltung, und zwar im Sinne von Beziehungsqualität. Das "M" steht für Meaning, also Sinn im eigenen Tun und Erleben zu finden und das "A" für Achievement, die Frage nach Zielerreichung. All diese fünf Facetten machen uns Menschen zufrieden.

Wenn uns die Weltlage innerlich zu schaffen macht – und ich rede jetzt nicht von Menschen, die direkt von einer Krise betroffen sind – wie kann ich mich davon abkoppeln? Keine Nachrichten mehr gucken oder mich an einem bestimmten Punkt vom Negativen ab- und zum Positiven hinwenden?

Absolut. Und diese Gleichzeitigkeit aushalten: Ich entferne mich nicht aus meinem Alltagserleben, das eben auch mit negativen Nachrichten daherkommt. Aber ich ergänze es um eine positive Perspektive. Konkret kann man das etwa mit Reflexionsübungen tun. Da eignet sich der Bereich der positiven Emotionen besonders. Wir Menschen haben evolutionär bedingt eine Wahrnehmungsverzerrung zum Negativen hin. Unser Gehirn findet negative Informationen und Daten sehr viel spannender und attraktiver. Das ist erstmal gesund, auch wichtig.

Wieso?

Vor zwei Millionen Jahren hat es Menschen das Überleben gerettet, wenn sie im Wald auf ein Mammut trafen, und ihr Instinkt sagte ihnen, jetzt sollte ich schnell die Flucht ergreifen. Heute wissen wir, dass wir so etwas wie positive Phänomene oder Emotionen sehr viel bewusster herstellen müssen. Und dazu könnten sie sich zum Beispiel morgens, abends oder auch zu beiden Zeitpunkten sehr bewusst Reflexionsfragen stellen: Was habe ich heute Schönes erlebt? Was war eine gute Begegnung? Was schenkt mir gerade Energie? Was begeistert mich im positiven Sinne? Worauf freue ich mich? Das ist eine kleine und niederschwellige Möglichkeit, sich selbst in eine Phase von einem bewussten Innehalten zu manövrieren und zu merken: Es gibt genauso positive Momente innerhalb eines Tages oder innerhalb eines bestimmten Erlebnisses, wie es eben auch die Konfrontation mit dem Schweren und Negativen gibt.

Lange war in der Forschung nicht beantwortet, welche Kraft positive Emotionen haben.

Mailin Modrack, Psychologin

Gibt es Studien dazu, dass das funktioniert?

Tatsächlich ist gerade diese Frage nach positiven Emotionen einer der wirklich gut erforschten Bereiche innerhalb der positiven Psychologie. Federführend dabei ist etwa Barbara Fredrickson, Psychologin aus den USA. Sie hat sich die Frage gestellt: Welche gängigen positiven Emotionen kennen wir überhaupt? Dazu hat sie Menschen in unterschiedlichen Ländern und Regionen befragt, welche positiven Emotionen sie regelmäßig erleben und hat daraus Emotionen wie Dankbarkeit, Freude, aber auch Vergnügen oder Inspiration oder Stolz abgeleitet.

Und die andere Frage, die sie in ihrer Forschung in den Blick genommen hat, war: Warum sind positive Emotionen überhaupt hilfreich und nützlich? Wir wussten aus vielen Jahren Forschung, dass negative Emotionen eine protektive Komponente haben. Die schützen uns, sind überlebenssichernd, und lange war in der Forschung nicht beantwortet, welche Kraft hingegen positive Emotionen haben.

Welche Kraft haben sie denn?

Heute wissen wir, dass uns das regelmäßige Erleben dieser positiven Emotionen zum Beispiel kreativer macht, dass wir kognitiv flexibler werden. Aber auch, dass wir ein tieferes Beziehungserleben haben. Also alles hilfreiche und stabilisierende Effekte, gerade auch in den Momenten, in denen es in meinem Leben vielleicht instabil wird. Ganz generell leben wir mittlerweile in unheimlich beschleunigten, schnelllebigen Kontexten. Dieser Moment von: Ich nehme mir Zeit, setze innerlich die Pausentaste und überlege: Was war eigentlich ein Highlight der letzten Woche? Oder: Wo war die letzte wirklich schöne Begegnung mit einer Person? Das ist für viele extrem rar geworden.

Es kann sich auch als sehr präsent herstellen, fernzusehen, oder ich kann sehr präsent auf Social Media unterwegs sein.

Mailin Modrack, Psychologin

Ich höre bei Ihrer Antwort Elemente der Achtsamkeit heraus. Also nicht dieses alles nebenbei hektisch, machen, Fernsehen oder Radio hören und dabei noch auf dem Handy daddeln, sondern die Dinge mit Bedacht angehen - geht es darum?

Ich selbst ersetze den Achtsamkeitsbegriff, gerade weil er ein viel diskutierter Begriff ist, gerne mit dem Wort Präsenz. Das bringt für mich noch dezidierter auf den Punkt, worum es hier eigentlich geht. Es kann sich auch als sehr präsent herstellen, fernzusehen, oder ich kann sehr präsent auf Social Media unterwegs sein.

Da ist nichts Schlechtes dabei!

Absolut nicht. Die Frage ist nur, entscheide ich bewusst in diesem Moment: Ich schaue einen Film an oder bin ich in einem Autopiloten unterwegs, der eigentlich gar nichts mehr mit meiner bewussten Entscheidungsfindung zu tun hat. Das ist auch eine Thematik innerhalb der positiven Psychologie. Sich immer wieder bewusst zu machen, wofür entscheide ich mich gerade, was ist jetzt um mich?

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sylvia Tiegs, rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung. Das Fespräch können Sie im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.12.2024, 17:10 Uhr

 

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33 Kommentare

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  1. 33.

    Sehr guter Kommentar. Alles drin was wir im Leben so brauchen. Danke dafür.

  2. 31.

    Ja, weil es mit großer Wahrscheinlichkeit untersucht und ausgewertet wurde. Da hat jemand mit wissenschaftlichen Methoden eine Studie durchgeführt. Das ist anders als primatenhaftes Stammtischgelaber.

  3. 30.

    Ihr seid alle so schlau und habt mit allem absolut Recht! ;-)

  4. 29.

    Wer damals Arbeitslosehilfe bezog,, der hatte einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe zum 0Tarif ..
    Übrigens, Prozesskostenhilfe gibt es noch heute.

  5. 28.

    Sie haben Recht. Einfach auf Nachrichten verzichten. Z. Bsp. auf die, das am Silvestervormittag vor meinem Stamm-Rewe ein Mann, nachdem er im Supermarkt zwei Messer geklaut hatte, draußen auf zwei Männer einstach. Eine Passantin konnte ihn mit ihrem Pfefferspray davon abhalten, einen der Männner, der später notoperiert werden musste, totzustechen und weiteres Unheil anzurichten. Dieser Vorfall war in den landläufigen Medien nur eine Kurzmeldung, eine Fußnote könnte man sagen. Deswegen geht es mir sooooo viel besser - "Ironie off"

  6. 27.

    Diese Ansicht teile ich nicht. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, dass unsere freie Meinungsäußerung doch nicht immer so frei (gewünscht) ist

  7. 26.

    8/ Es ist bedauerlich dass es so ist. Was aber tun Sie denn nun konkret um die Situation zu verändern??? Der Psychologe wird es wohl nicht tun. Jammern hilft manchmal.

  8. 25.

    "Es gibt genauso positive Momente innerhalb eines Tages oder innerhalb eines bestimmten Erlebnisses, wie es eben auch die Konfrontation mit dem Schweren und Negativen gibt."

    und das ist jetzt akademisch?

  9. 24.

    Gibt ein ganz einfaches Mittel dagegen, einfach keine Nachrichten mehr konsumieren.
    Panik und Propaganda, das einzige was Medien noch können, völlig egal welcher Sender.
    Mein Leben ist seit dem um Welten besser und entspannter, lasst euch nichts mehr vorschreiben.

  10. 23.

    Viele Leute zieht nicht(nur) die Weltlage herunter, sondern noch mehr die politisch verursachte starke Verteuerung ihres Lebens. Gibt’s dafür auch positive Psychologie?

  11. 22.

    Des Menschen Umwelt ist nicht so schön positiv, wie sie mir gefällt... ständiges Schönreden geht meist an der Realität vorbei. Eigentlich sollte Psychologie die Realität eines Menschen seriös zur Sprache bringen. Religiöse Hoffnung und nicht psychologisierende Gefühlsduselei hilft dem Menschen mit Zuversicht der Realität zu begegnen!

  12. 21.

    Einem Land, in dem Bücher von Dieter Bohlen verkauft werden, kann es nicht wirklich schlecht gehen.

  13. 20.

    Die Lage auf unserem Planeten ist aber Ernst.
    Ich fände es produktiver die Probleme anzugehen, statt sich psychologisch die Lage schön zu reden.

    Traurig das viele junge Nachbarn nicht mal mehr auf irgendwas verzichten, geschweige denn nachhaltig sind.
    Sie glauben alles ist nur Fake. Klimawandel und so...

    Das wird ein böses Erwachen geben..

  14. 18.

    niemand hindert sie daran in solche Länder zu fahren und sich selbst ein Bild zu machen. Einen Besuch Russlands sollten sie dabei unbedingt in Erwägung ziehen ! !

  15. 17.

    Wir sind ein sattes Volk ... Die eigentliche Frage wäre „Zu satt?“

    P.S. „die positive Psychologie keine "Happyologie" ... ist“
    Ja was denn sonst? Gleich im nächsten Satz:
    „positive Stimuli dahingehend liefern, immer wieder auch bewusst auf das Gute und das Tragende im Leben zu blicken“
    Also doch...

  16. 16.

    Das eigene Glück besteht auch darin, nicht über andere schlecht zu reden und ihnen ihr gutes Leben zu gönnen. Diese Einstellung macht uns zu netten Zeitgenossen, die man gern um sich hat.

  17. 15.

    Derart viel Neid und Diffamierung hier zu lesen, da muss die junge und interessante Mutter und Frau wohl viel richtig gemacht haben in ihrem Leben, dass andere so neiderfüllt Negatives in sie hineininterpretieren.

    Das ist ein Armutszeugnis, aber nicht für die junge Frau.

  18. 14.

    Prozesskostenhilfe beantragt?
    Wenn es um Kindesunterhalt geht, ist klar, dass das Kind Anspruch auf Unterhalt hat. Der Elternteil, bei dem das Kind lebt, versorgt das Kind nunmal. Das ist für viele Unterhaltspflichtige ein leidiges Thema und genau das ist es auch für den Unterhaltsempfänger.
    Mir ist übrigens kein einziger mafiamäßiger Fall von Rechtsbeugung im deutschen Justizsystem bekannt. Falls das bei Ihnen so war, steht Ihnen der Weg in die nächste Instanz offen, vorausgesetzt Sie legten fristgerecht Rechtsmittel ein.

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