Interview | Positive Psychologie - "Wir müssen positive Emotionen sehr viel bewusster herstellen"
Viele Menschen zieht die andauernde Sorge um die Weltlage runter - man würde gerne raus aus den negativen Gedanken. Wie das geht, und warum es auch wichtig ist, erklärt Mailin Modrack von der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie.
rbb: Frau Modrack, was ist positive Psychologie?
Mailin Modrack: Die positive Psychologie ist, ganz verknappt gesprochen, die Wissenschaft des gelingenden Lebens. Sie entstand in den 90er-Jahren in den USA. Ein Kollektiv aus Forscherinnen und Forschern hatte damals das dringende Bedürfnis, die klassische akademische Psychologie, die bis dahin sehr auf klinische Kontexte fokussiert war, zu erweitern um die Frage: Wie können wir das ausbauen, was positiv in Menschen angelegt ist - ihre Stärken, ihr Erleben von Sinn, ihr Gefühl dafür, was ihnen im Leben wertvoll und bedeutsam ist?
Viele Leute sind in diesen Zeiten nicht positiv gestimmt. Ein Journalist der "Süddeutschen Zeitung" hat das so formuliert: Frage man die Leute, wie es ihnen gehe, antworteten viele, privat sei alles okay, aber die Weltlage ziehe sie runter. Ist eine solche negative belastete Grundstimmung ein Fall für positive Psychologie?
Absolut. Gleichzeitig möchte ich an der Stelle dafür sensibilisieren, dass die positive Psychologie keine "Happyologie" oder kein Glücksdiktat ist. Sie möchte positive Stimuli dahingehend liefern, immer wieder auch bewusst auf das Gute und das Tragende im Leben zu blicken. Was Sie beschreiben, nennt die Psychologie die Zerstörung von Grundannahmen. Diese Erfahrung von: Hier ist etwas anders, weil ich mich plötzlich innerhalb Europas nicht mehr sicher fühlen kann. Oder: Hier ist etwas anders, weil ich gerade nicht mehr sicher sein kann, dass mein Arbeitskontext noch genug soziale Interaktion bietet, dass ich mich gut gebunden und gehalten fühle. Ich würde immer zunächst dieses Gefühl und diese Grundlage würdigen und anerkennen. Und ja, solche "Fälle" oder Situationen sind aber auch sehr dankbar dafür, sich mit positiver Psychologie zu beschäftigen.
Sollten solche Sorgen und Ängste nicht abgetan werden nach dem Motto: Reiß dich zusammen und lach doch mal wieder?
Richtig. Es gibt immer diesen Zweiklang: einerseits zu würdigen und anzuerkennen, was an schmerzhaften Erfahrungen da ist und was Menschen in negative Emotionalitäten bringt. Gleichzeitig aber immer wieder die Perspektive zu wagen auf das, was gerade an Stärkendem da ist, was Halt und Orientierung schenken kann in diesen gesellschaftlich und politisch sehr herausfordernden Zeiten.
Was könnte uns stärken, wenn man das Gefühl hat, es zieht mich alles runter, die Welt wird doch immer schlechter?
Die Psychologie arbeitet gerne mit Modellen - das ist der Versuch, komplexe Zusammenhänge möglichst "verdaulich" darzustellen. Eines der Modelle, das in der Wissenschaftsszene sehr gut kommuniziert ist, nennt sich "Perma-Modell" von Martin Seligman. "Perma" ist ein Akronym für fünf Buchstaben. Das "P" steht für positive Emotionen, das "E" für Engagement und Momente von Flow, also dem absoluten Aufgehen in einer Tätigkeit. Das "R" bezieht sich auf Relationships, eine gute Beziehungsgestaltung, und zwar im Sinne von Beziehungsqualität. Das "M" steht für Meaning, also Sinn im eigenen Tun und Erleben zu finden und das "A" für Achievement, die Frage nach Zielerreichung. All diese fünf Facetten machen uns Menschen zufrieden.
Wenn uns die Weltlage innerlich zu schaffen macht – und ich rede jetzt nicht von Menschen, die direkt von einer Krise betroffen sind – wie kann ich mich davon abkoppeln? Keine Nachrichten mehr gucken oder mich an einem bestimmten Punkt vom Negativen ab- und zum Positiven hinwenden?
Absolut. Und diese Gleichzeitigkeit aushalten: Ich entferne mich nicht aus meinem Alltagserleben, das eben auch mit negativen Nachrichten daherkommt. Aber ich ergänze es um eine positive Perspektive. Konkret kann man das etwa mit Reflexionsübungen tun. Da eignet sich der Bereich der positiven Emotionen besonders. Wir Menschen haben evolutionär bedingt eine Wahrnehmungsverzerrung zum Negativen hin. Unser Gehirn findet negative Informationen und Daten sehr viel spannender und attraktiver. Das ist erstmal gesund, auch wichtig.
Wieso?
Vor zwei Millionen Jahren hat es Menschen das Überleben gerettet, wenn sie im Wald auf ein Mammut trafen, und ihr Instinkt sagte ihnen, jetzt sollte ich schnell die Flucht ergreifen. Heute wissen wir, dass wir so etwas wie positive Phänomene oder Emotionen sehr viel bewusster herstellen müssen. Und dazu könnten sie sich zum Beispiel morgens, abends oder auch zu beiden Zeitpunkten sehr bewusst Reflexionsfragen stellen: Was habe ich heute Schönes erlebt? Was war eine gute Begegnung? Was schenkt mir gerade Energie? Was begeistert mich im positiven Sinne? Worauf freue ich mich? Das ist eine kleine und niederschwellige Möglichkeit, sich selbst in eine Phase von einem bewussten Innehalten zu manövrieren und zu merken: Es gibt genauso positive Momente innerhalb eines Tages oder innerhalb eines bestimmten Erlebnisses, wie es eben auch die Konfrontation mit dem Schweren und Negativen gibt.
Gibt es Studien dazu, dass das funktioniert?
Tatsächlich ist gerade diese Frage nach positiven Emotionen einer der wirklich gut erforschten Bereiche innerhalb der positiven Psychologie. Federführend dabei ist etwa Barbara Fredrickson, Psychologin aus den USA. Sie hat sich die Frage gestellt: Welche gängigen positiven Emotionen kennen wir überhaupt? Dazu hat sie Menschen in unterschiedlichen Ländern und Regionen befragt, welche positiven Emotionen sie regelmäßig erleben und hat daraus Emotionen wie Dankbarkeit, Freude, aber auch Vergnügen oder Inspiration oder Stolz abgeleitet.
Und die andere Frage, die sie in ihrer Forschung in den Blick genommen hat, war: Warum sind positive Emotionen überhaupt hilfreich und nützlich? Wir wussten aus vielen Jahren Forschung, dass negative Emotionen eine protektive Komponente haben. Die schützen uns, sind überlebenssichernd, und lange war in der Forschung nicht beantwortet, welche Kraft hingegen positive Emotionen haben.
Welche Kraft haben sie denn?
Heute wissen wir, dass uns das regelmäßige Erleben dieser positiven Emotionen zum Beispiel kreativer macht, dass wir kognitiv flexibler werden. Aber auch, dass wir ein tieferes Beziehungserleben haben. Also alles hilfreiche und stabilisierende Effekte, gerade auch in den Momenten, in denen es in meinem Leben vielleicht instabil wird. Ganz generell leben wir mittlerweile in unheimlich beschleunigten, schnelllebigen Kontexten. Dieser Moment von: Ich nehme mir Zeit, setze innerlich die Pausentaste und überlege: Was war eigentlich ein Highlight der letzten Woche? Oder: Wo war die letzte wirklich schöne Begegnung mit einer Person? Das ist für viele extrem rar geworden.
Ich höre bei Ihrer Antwort Elemente der Achtsamkeit heraus. Also nicht dieses alles nebenbei hektisch, machen, Fernsehen oder Radio hören und dabei noch auf dem Handy daddeln, sondern die Dinge mit Bedacht angehen - geht es darum?
Ich selbst ersetze den Achtsamkeitsbegriff, gerade weil er ein viel diskutierter Begriff ist, gerne mit dem Wort Präsenz. Das bringt für mich noch dezidierter auf den Punkt, worum es hier eigentlich geht. Es kann sich auch als sehr präsent herstellen, fernzusehen, oder ich kann sehr präsent auf Social Media unterwegs sein.
Da ist nichts Schlechtes dabei!
Absolut nicht. Die Frage ist nur, entscheide ich bewusst in diesem Moment: Ich schaue einen Film an oder bin ich in einem Autopiloten unterwegs, der eigentlich gar nichts mehr mit meiner bewussten Entscheidungsfindung zu tun hat. Das ist auch eine Thematik innerhalb der positiven Psychologie. Sich immer wieder bewusst zu machen, wofür entscheide ich mich gerade, was ist jetzt um mich?
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Tiegs, rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung. Das Fespräch können Sie im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.12.2024, 17:10 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 06.01.2025 um 14:18 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.