Benjamin Kunath, Lokführer und Künstler - "Es war nie ein Traumberuf, aber es macht Spaß und hat sich verselbstständigt"
Der Berliner Künstler Benjamin Kunath lebt nicht nur vom Zeichnen, sondern fährt auch Trams und U-Bahnen. Inzwischen macht er eine Ausbildung zum Lokführer bei der Deutschen Bahn. Wie diese beiden Berufe sich ergänzen, erzählt er im Interview.
rbb: Herr Kunath, wie ist es dazu gekommen, dass Sie nicht nur Künstler, sondern auch noch Lokführer sind?
Benjamin Kunath: Ich habe Kunst studiert und irgendwann bin ich über die Regelstudienzeit gekommen. Als das Bafög alle war, musste ich nach einem Job suchen, um das Studium zu finanzieren. Zu dieser Zeit hat die Leipziger Straßenbahn studentische Teilzeitkräfte gesucht.
Es war nie ein Traumberuf, aber die Möglichkeit war da. Und ich habe gemerkt, dass es mir sehr viel Spaß macht. Und dann hat es sich so ein bisschen verselbstständigt.
Ihre Tätigkeit hat irgendwann Einzug in Ihre Zeichnungen gefunden. Wie würden Sie die umschreiben?
Es sind fast alles A4-Zeichnungen in Schwarz-Weiß mit Feder in Tusche auf Papier. Diese Zeichnungen beschäftigen sich mit der Perspektive aus der Fahrerkabine heraus, mit Gedankenspielen und Beobachtungen, die man während der Fahrt macht - von Menschen, Tieren und der Natur. Es gibt Serien, die sich zum Beispiel mit den Fahrplänen auseinandersetzen. Auch wenn es nur irgendeine Kleinigkeit ist, kann das zu einer Zeichnung führen.
Wie überträgt sich das, was Sie beim Fahren erleben, aufs Papier?
Ich mache Notizen und Stichpunkte, wenn sich die Zeit ergibt, von Sachen, die mir passiert sind und die ich spannend finde. Es gibt dann einen Stapel mit Notizen, wo ich mir etwas rausgreife. Aus dieser Erinnerung baut sich die Zeichnung Stück für Stück auf. Manchmal ist es nur ein Stichwort, wie zum Beispiel ein überfahrenes Würstchen am Bahnhof. Es gibt keine Vorzeichnung oder Bleistiftzeichnung. Je nachdem, wie komplex der Gedanke ist, umso mehr entwickelt sich die Zeichnung.
Sie sind 2020 nach Berlin gezogen und haben sich zum U-Bahnfahrer umschulen lassen. Haben sich Ihre Zeichnungen verändert?
Es war der Versuch zu gucken, was passiert mit den Zeichnungen, wenn sich das Verkehrsmittel, die Stadt, sowie auch die Perspektive auf die Stadt ändern. Das hat auf jeden Fall die Zeichnungen stark verändert, würde ich sagen.
Monotonie hat eine große Rolle gespielt. Das war bei der Straßenbahn nie ein großes Thema, es war immer viel abwechslungsreicher. Bei der U-Bahn ist der Blick mehr ins Detail gewandert. Ich bin hauptsächlich U3 gefahren, die meiner Meinung nach die schönste ist. Aber trotzdem fährst du den ganzen Tag hin und her und es verändert sich nicht so viel. Dadurch wandert der Blick auf Kleinigkeiten, die entlang der Strecke passieren.
Warum ist die U3 die schönste Linie?
Sie fährt viel draußen, durch Kreuzberg und Zehlendorf. Man sieht Bäume und ein bisschen Natur. Das fand ich immer eine gute Mischung.
In einer Zeichnung geht es um einen Blickkontakt, den Sie mit einem Fuchs hatten.
Ja, das war in Krumme Lanke. Da gab es immer viele Füchse und man konnte beobachten, wann sie Jungen bekommen haben. Das war immer sehr, sehr schön.
Sie machen derzeit eine Ausbildung zum Lokführer im Fernverkehr bei der Deutschen Bahn. Haben Sie das schon in Zeichnungen verarbeitet?
Bis jetzt gibt es noch keine Zeichnungen. Jetzt konzentriere ich mich darauf, die Prüfungen zu schaffen. Das ist sehr umfangreich und schwierig. Es geht erstmal darum, die Regeln zu lernen und so zu verinnerlichen, dass man das auch mit einem gewissen Automatismus machen kann. Wenn das dann passiert ist, kann man seine Gedanken anders kreisen lassen, als wenn man sich darauf konzentrieren muss, was ich wie, wann und wo mache.
Was ist das für ein Gefühl, wenn man sich so schnell fortbewegt? Das scheint eine ganz andere Welt zu sein, wo man vielleicht nicht mehr so viele Details wahrnehmen kann.
Ja, es ist sehr besonders. Aber man fährt ja nicht die ganze Zeit mit 280 durchs Land, sondern auch mal langsamer. Es gibt schon Situationen, wo sich der Blick schärfen kann. Bei den hohen Geschwindigkeiten wird der Blick auf jeden Fall grober.
Bei der U-Bahn konnte man aufzeichnen, wo kleine Vögel wie wo fliegen und sitzen. Beim Fernverkehr geht der Blick eher auf Greifvögel. Es geht einfach um größere Sachen. Der Blick ändert sich auf jeden Fall. Das ist sehr spannend. Aber was das mit den Zeichnungen macht, wird sich in den nächsten Jahre zeigen. Es wird viel um den Raum zwischen den Städten gehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mit Benjamin Kunath sprach Annette Kufner für rbb24 Inforadio. Das Interview ist eine Wiederholung vom Dezember 2024. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.01.2024, 17:10 Uhr