Interview | Fünf Jahre Corona - "Wir hatten keine Lastwagenkolonnen mit Leichensäcken wie in Bergamo"

Do 02.01.25 | 18:01 Uhr
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Eine Intensivfachpflegerin betreut auf der Intensivstation des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe einen Covid-19-Patienten. (Quelle: Picture Alliance/Christoph Soeder)
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Audio: rbb24 Inforadio | 02.01.2025 | Helena Daehler | Bild: Picture Alliance/Christoph Soeder

Vor fünf Jahren begann die Corona-Pandemie - die Kliniken in Berlin mussten unter enormen Zeitdruck ein Verteilsystem für Patienten entwickeln. Vernetzung war wichtig, sagt Martin Kreis, Vorstandsmitglied der Krankenversorgung der Charité.

Zur Person

Archivbild:Martin Kreis am 30.12.2022.(Quelle:picture alliance/AA/A.Hosbas)
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Prof. Dr. med. Martin E. Kreis war zu Beginn der Pandemie Leiter der Chirurgischen Klinik am Campus Benjamin Franklin der Charité und übernahm die Koordination der Aktivitäten am Campus zur Vorbereitung auf die Corona-Pandemie. Während der Pandemie kümmerte er sich übergreifend um den Standort. Seit 2021 ist er Vorstandsmitglied der Krankenversorgung der Charité Berlin.

rbb|24: Herr Kreis was geschah in den Kliniken, als die Auswirkungen von COVID-19 bekannt wurden?

Martin Kreis: Es herrschte zunächst eine große Unsicherheit. Die Bilder aus Bergamo in Italien, wo das Gesundheitssystem überfordert war, waren allgegenwärtig. Ähnliche Szenarien spielten sich später in Frankreich und England ab. In Deutschland gab es große Sorgen unter den medizinischen Fachkräften, ob wir der Welle standhalten oder ebenfalls eine Überforderung und Unterversorgung erleben würden.

Mit welchen Problemen waren Sie an Ihrem Klinikstandort konfrontiert?

Es gab große Sorgen, dass sich Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte infizieren könnten. In Bergamo waren Kolleginnen und Kollegen gestorben, weil sie sich bei der Behandlung infiziert hatten. Diese Szenarien betrafen uns auch persönlich stark. Wir diskutierten intensiv, wie wir uns selbst schützen und gleichzeitig die Patienten optimal behandeln können.

Hatten Sie den Eindruck, man war gut auf die Pandemie vorbereitet?

Durch die Beobachtungen im europäischen Ausland waren wir etwas besser vorbereitet als andere Länder. Dieser zeitliche Vorsprung war ein Vorteil. Innerhalb der Einrichtungen rüsteten wir uns auf, diskutierten über die Beschaffung von Masken und Material. Frühzeitig begann ein Austausch mit der Politik, die uns erstens um Rat fragte und mit der wir zweitens klären mussten, wie wir uns aufstellen konnten. Diese Gespräche führten zu Interaktionen und Vernetzungen.

Wie war die Kommunikation zwischen den Kliniken im Januar 2020?

Vor der Pandemie gab es bereits telefonischen Austausch zwischen Kliniken, insbesondere zwischen den Intensivstationen, wenn es um Patientenübernahmen ging. Üblicherweise wurden Verlegungen in eine größere Klinik telefonisch abgesprochen, wenn die Kolleginnen und Kollegen vor Ort an Behandlungsgrenzen kamen. Vor der Pandemie kam es jedoch eher selten vor, dass sich Ärzte aus unterschiedlichen Krankenhäusern bei der Behandlung der Patienten gegenseitig beraten haben.

Wie schnell hat sich die Zusammenarbeit mit anderen Kliniken und der Senatsverwaltung ergeben?

Die Zusammenarbeit erfolgte auf verschiedenen Ebenen. Innerhalb der Charité richteten wir innerhalb weniger Tage einen sogenannten Pandemie-Stab ein, der sich anfangs täglich online über alle Standorte hinweg zusammenschaltete, um die drängenden Themen zu besprechen. Zunächst wurden die aktuellen Patientenzahlen sowie die Kapazitäten besprochen, gefolgt von spezifischen Themen aus den einzelnen Kliniken. Ähnlich organisierte die Senatsverwaltung wöchentliche Online-Treffen der Berliner Kliniken, um die aktuelle Situation zu diskutieren und Strategien zur besseren Vorbereitung zu entwickeln. Zudem wurde das SAVE-Netzwerk [Anmerkung der Redaktion: Sicherstellung der akuten intensivmedizinischen Versorgung im Laufe der Epidemie] ins Leben gerufen, um den Austausch unter den intensivmedizinischen Fachkräften zu fördern, da diese die schwersten Fälle behandelten.

Wie funktioniert das SAVE-Netzwerk?

SAVE wird von erfahrenen Oberärzten der Charité gesteuert und hat mehrere Funktionen. Es gibt eine Einteilung der Intensivstationen in Berliner Krankenhäusern in drei Stufen, um sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten entsprechend ihrer Bedarfe zugeordnet werden. Die Idee war, die schwersten Fälle, die beispielsweise eine ECMO [Anmerkung der Redaktion: extracorporale Membranoxygenierung; "künstliche Lunge"] benötigten, in die Charité zu verlegen, um deren Kapazität nicht mit weniger schweren Fällen zu belegen, die auch in anderen Häusern versorgt werden konnten. Die Charité hält besonders viele ECMOs vor. Unterstützt wurde die Zusammenarbeit durch Visitenroboter, die in mehreren Kliniken vor Ort waren. Diese ermöglichten es Spezialisten von anderen Standorten, Patienten via Kamera zu begutachten und direkt mit dem Team am Bett zu diskutieren, ob eine Verlegung in ein besser ausgestattetes Zentrum nötig oder eine Optimierung der Therapie vor Ort möglich war.

Konnte man das SAVE-Modell während der RSV-Welle (Respiratorische Synzytial-Virus) 2022 im Detail wieder abrufen?

Die RSV-Welle betraf vor allem Kinder, das war eine andere Situation. Es gibt deutlich weniger Kinderkliniken und Kinderintensivbetten in Berlin als für die Erwachsenenmedizin. Wir versuchten, mit den vorhandenen Mitteln eine Koordinationsfunktion seitens der Charité zu übernehmen und standen in Kontakt mit den anderen Intensivstationen. Da es weniger Kinderintensivstationen gibt, war dies übersichtlicher. Im Prinzip haben wir versucht, die Kommunikationsmechanismen, die wir während der Corona-Pandemie mit SAVE gelernt hatten, wieder anzuwenden.

Falls uns eine neue Pandemie droht - könnte man SAVE dafür erneut anwenden?

Wir wissen, wie es geht. Das SAVE-Modell könnte meines Erachtens jederzeit wieder eingesetzt werden, wenn eine vergleichbare Pandemie auftritt. Diejenigen, die es damals erlebt haben, bewerteten es durchweg positiv. Allerdings bedarf es einer Finanzierung und Zusammenarbeit. Wenn wir bestimmte Schwerpunkte und Koordinierungen übernehmen, müssen uns andere an anderen Stellen entlasten. Dieses effektive Vorgehen hat den Berliner Kliniken während der Pandemie wesentlich geholfen.

Sie sprechen von einem künftigen möglichen Einsatz bei einer "vergleichbaren Pandemie" - doch wie ist es bei einer ganz anderen Krankheit?

Dann wissen wir zumindest, wie die Kommunikationsstrukturen und Abläufe bei einem Krisenfall im Gesundheitswesen funktionieren und könnten diese entsprechend anpassen. Wir haben durch SAVE gelernt, dass gewisse Vorbereitungen notwendig sind. Ich möchte daran erinnern: Wir hatten keine Lastwagenkolonnen mit Leichensäcken wie in Bergamo vor unseren Kliniken oder Krankenwagenschlangen, die ihre Patienten nicht mehr unterbringen konnten, wie es in London der Fall war. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies auch darauf zurückzuführen ist, dass wir uns über alle Kliniken hinweg hervorragend aufgestellt und vernetzt haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Helena Daehler

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.01.2024, 07:45 Uhr

55 Kommentare

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  1. 55.

    Danke, meine Kinder haben die Pandemie auch gut überstanden, es kommt halt auf jeden selbst an wie man mit Krisen umgeht.

    Ein sehr naher Angehöriger hat sich leider nie wieder ganz von der Ansteckung erholt und ist letztendlich an den Spätfolgen verstorben weil so ein ganz Schlauer, pardon Schwurbler meinte Corona wäre nur so eine Art Grippe.

  2. 54.

    Lassen sie uns an ihrer Wahrheit teilhaben? Also manche sprechen für das Volk aber wenn sie schon für die ganze Menschheit sprechen macht mich das neugierig.

  3. 53.

    Wir die Menschen kennen die Wahrheit.

  4. 52.

    Um Sie hier zu korrigieren. Unter attenuierten Viren versteht man auch den natürlichen Prozess von Erregern sich unter Anpassung mit den Generationen abzuschwächen. Im Labor wird diese natürliche Eigenschaft gezielt bei der Impfstoffentwicklung genutzt. Das Passagieren ist dabei eine gängige Methode. Das Virus hat in der Regel kein "Interesse" den Wirt zu töten. Je abgeschwächter das Virus in seiner Symptomatik ist, desto erfolgreicher ist es.
    Daher ist jede neue Grippewelle mit vielen Opfern vermutlich eine Mutation. Bei Sars Cov 2 war das sehr gut zu beobachten, Hier war das ungewöhnliche die Mutation im S-Protein, welches normalerweise als "Schlüsse"l sehr stabil ist. Daher auch die Vermutung das es sich hier um ein Ergebnis einer "gain of function" Forschung handelte.

  5. 50.

    Nee, weil das populistische Grütze ist, meine Kinder haben überlebt und wir sollten insgesamt tatsächlich dankbar sein und konstruktiv denken. Wir alle hätten sterben können, doch dank der guten Krisenbewältigung haben meine Kinder und ich auch alles gut überstanden. Darüber sind wir glücklich, meine Kinder leben. Das nennt man Resilienz, das Gute als gut anzusehen und konstruktiv damit umgehen können. Danke zu sagen und demütig zu sein. Demütig vor dem Leben allgemein.

    Wissen Sie, wie gut es tut, offen und ehrlich dankbar sein zu können, anstatt ewig nörgelnd nach Schlechtem zu suchen? Herz und Leber bleiben dauerhaft gesund.

  6. 49.

    Ach herrje! Da schließt wieder einer von sich auf andere... Wenn hier einer überfordert ist, selbst mit dem verstehenden Lesen, dann offensichtlich Sie

  7. 48.

    Lt. Statista liegt Schweden genau 1 Platz über Deutschland und deutlich unter Belgien, Frankreich, England ….
    Schweden hat eine Sache nicht geschafft, wie auch alle anderen Länder….die vulnerablen zu schützen.
    Das was bereut wurde war das man sich nicht mehr auf diese Gruppe konzentriert hat.
    Und sie müssen sich mit den schwedischen Gesetze beschäftigen um den Sonderweg zu verstehen, vieles was hier gemacht wurde war in Schweden überhaupt nicht zulässig.

  8. 47.

    "Natürlich handelte es sich bei "Bergamo" um medianweirksame Bilder."

    Nein. Es starben massenweise - vor allem ältere - Menschen. Tatsächlich. Massenweise.
    Und nicht vor allem "medienwirksam"

    War die Folge eines herunter und in Schutt und Asche gewirtschafteten Gesundheitssystems / Krankenhausbewirtschaftung, die aus ihrer Not eine fatale Triage begann: In den Altenheimen, Pflege- und Senioreneinrichtungen würden die tagesaktuell weniger schweren Fälle wenigstens eine Grundversorgung haben. Die man als Krankenhaus nicht leisten konnte.
    Man hatte Infektionshotspots ausgerechnet in einer der gefährdetsten Bevölkerungsgruppen /Alterskohorte geschaffen. In denen besonders schnelle und dramatische Verläufe der Infektion stattfinden.

    Die Mischung aus..."Nachlässigkeit"...Grippeviren /Wellen mit "Schnupfen /Erkältung" verwechseln und durchökonomisierter Gesundheitsversorgung /Infrastruktur auf Spitz-Knopf genäht, sieht Versorgung während solcher Infektionswellen nicht vor.

  9. 46.

    "Jedem Biologen unter den Virologen war klar das (...)"
    Nein. War nicht "jedem Biologen klar" Konnte nicht. Unter "attentuieren" verstehen Biologen, die medizinisch Sachkundige nicht den kontextfreien Begriff "abschwächen" - keinen sozusagen "natürlichen" Prozess, indem sich ein Erreger ohne zutun des Menschen abschwächt. Es handelt sich um einen aktiven Eingriff in die Virulenz, die Potenz des Erregers, z.B um ihn dann als den Schwächeren Anreger gegenüber des körpereigenen Immunsystems in Form von Impfstoffen einzusetzen.
    Dazu muss man die Erreger kennen. Das ist seit mindestens 40 Jahren das jährlich wiederkehrende Problem mit Grippeviren: Die Impfkampagne kann nur eine Wette auf die dominanten Virentypen machen. Falsch liegen, oder auf einen besonders virulenten Typ treffen.
    In der Sache kundige Fachwelt weiss seit einem halben Jahrhundert, Grippewellen verantworten höchste Todesraten weltweit. Werden aber im Zusammenhang nicht als solche erkannt/ begriffen.

  10. 45.

    Schweden ist damals lockerer mit dem Thema Corona umgegangen und hat es später bitter bereut, weil sehr, sehr viele alte Menschen verstorben sind. Es wurde damals drastischer ausgedrückt, aber darauf verzichte ich hier.

  11. 43.

    Tja, andere hätten lieber GELEBT, Kinder zum Beispiel. Durften sie aber nicht. Zumindest hier nicht. Diese unverhältnismäßige Härte ist sogar mehrfach bewiesen worden. Kümmert aber niemanden.

  12. 42.

    Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, heißt es doch. Nicht alle (und Länder) haben versagt, diese Personen wurden aber geächtet und das werde ich niemals vergessen. Genauso wenig, wie man Kinder und Jugendliche drangsaliert hat. Die Zeit ist unwiederbringlich weg, völlig sinnlos.

  13. 40.

    Die Viren sind ca 100 Nanometer groß und die Poren ca 600nm, aber die Viren sitzen auf Tröpfchen die 2000-5000nm groß sind. Ein Fussball hat einen Durchmesser von ca. 22cm, also selbst wenn Sie von den reinen Viren ohne Tröpfchen ausgehen wäre Ihr Tor ca. 1,20m mal 1,20 aber mehrlagig versetzt. https://www.doccheck.com/de/detail/articles/41164-die-masken-sind-tot-lang-leben-die-masken
    Die Beschaffung von Masken war sehr wichtig und das zeichnete sich früh ab. Ich habe schon im Januar und Anfang Februar 2020 im Baumarkt FFP2 Masken für die Familie gekauft und damit auch die Großeltern mitbestückt , weil es dann so teuer wurde nur noch vereinzelt im Sommer je nach Notwendigkeit nachgekauft. Ein jüngeres Familienmitglieder hat für alle einen Stoffmundschutz genäht. Im Oktober 2020 wurde es dann doch nötig nochmal 60 FFP2 Masken für 0.87 Euro bei Rabovsky nachzukaufen und dann irgendwann gabs die FFP2 Masken ja auch im Drogeriemarkt. Also alles machbar auch mit kleinerem Budget.

  14. 37.

    Nö. Die Rede war von einer Maskenpflicht IM FREIEN! Haben Sie es jetzt verstanden?

  15. 36.

    Die Regierung hat sich Hilfe bei Virologen geholt, z..B. bei Drosten. Und Lauterbach hat keine Ahnung von Virologie? Sie wissen mehr darüber? Na dann klären Sie uns mal auf.

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