Berlin und Brandenburg - Das waren die Sportmomente des Jahres
Das Sport-Jahr 2024 hätte kaum abwechslungsreicher sein können. Auch aus regionaler Sicht: Tiefe Trauer, Euphorie in der Lausitz, Oranje in Berlin und olympischer Wahnsinn in Paris. Die Redaktion listet ihre Momente des Jahres auf.
Der Tod von Kay Bernstein und ein überwältigendes "Trauerspiel" - Anton Fahl
Mitten in der Berliner Winter-Tristesse, am 16. Januar 2024, stirbt Hertha-Präsident Kay Bernstein. Im Alter von 43 Jahren. Völlig aus dem Nichts. Die Alte Dame stürzt in tiefe Trauer, doch der Fußballzirkus kennt keine Gnade. Es muss weitergehen. Denn nur fünf Tage später, am 21. Januar, sieht der Spielplan den Rückrunden-Auftakt gegen Fortuna Düsseldorf vor. Unter derart tragischen Umständen: ein wirklich egales Fußballspiel. Vielmehr: ein überwältigendes "Trauerspiel", bei dem der Sport komplett in den Hintergrund rückt.
Besonders im Gedächtnis bleiben: Ein würdevoller Fanmarsch. Unzählige Schals und Kerzen am Einlass. Ein Stadionsprecher, der die richtigen Worte findet und den Herthanern aus der Seele spricht. Eine erdrückend stille Schweigeminute - und eine letzte Fackel in der Ostkurve. Für Kay.
Die DFL-Proteste im Olympiastadion - Marc Schwitzky
Der Februar 2024 war im Fußball der Monat der Tennisbälle, Schokotaler und ferngesteuerten Autos. Deutschlands Fußballfans wehrten sich durch gezielte Protestaktionen gegen einen drohenen Investoreneinstieg in die Deutsche Fußball-Liga (DFL). Sie befürchteten eine noch radikalere kapitalistische Spirale, die ihren Fußball noch schneller verschlingen würde. Zu unausgegoren und undemokratisch verlief der Investoren-Prozess, als dass wirklich alle Interessen hätten berücksichtigt werden können.
Und so gingen die Fußball-Fans auf die Barrikaden - am radikalsten am 3. Februar im Berliner Olympiastadion. Hertha BSC empfing den Hamburger SV. Nach Abpfiff ging es jedoch nicht um das Sportliche, sondern um die unzähligen Tennisbälle, die Herthas Fans aus der Ostkurve aufs Feld geworfen und das Spiel so für eine halbe Stunde unterbrochen hatten.
Eine neue Eskalationsstufe, die für eine breite nationale Aufmerksamkeit und Debatte sorgte - eben genau das, was Protest bewirken soll. Das Thema war mit jener Aktion nicht mehr wegzubekommen, in mittlerweile allen Stadien kam es zu Protestaktionen, der Druck auf die DFL und Vereine wuchs rapide an - und führte letztendlich dazu, dass der Investorendeal platzte.
Selbstverständlich nerven Proteste. Aber das müssen sie eben auch. Sie gehören zu einer gesunden Demokratie und können eben doch etwas bewirken - Herthas Fans hatten hier einen gehörigen Anteil daran.
Spargel und ein Cottbuser Aufstieg im zweiten Anlauf - Johannes Mohren
Am späten Nachmittag des 12. Mai gibt es für mich im Cottbuser Spreeauenpark sechs Stangen Beelitzer Spargel mit Kartoffeln - und dazu: eine ordentliche Portion Ernüchterung. Mit 19.286 Fans habe ich kurz zuvor im pickepackevollen Leag Energie Stadion das Spiel von Energie Cottbus gegen den FSV Luckenwalde verfolgt. Nicht beruflich als Sportjournalist, sondern ganz privat als Fußballbegeisterter. Der Plan: Den Tag erleben, an dem die Lausitzer nach vier Jahren Regionalliga in den Profifußball zurückkehren.
Nur daraus wird nichts. Die Konkurrenz spielt zwar mit (Greifswald geht bei Altglienicke unter), doch für Cottbus läuft es an diesem vorletzten Spieltag gar nicht rund. Nach 65 Minuten führt Luckenwalde mit 3:0. Die aufgeladene Vorfreude der Fans im RE2, die beeindruckende Choreo, der meisterliche Support - all das verliert sich in Ungläubigkeit. Die Aufholjagd kommt zwar, endet aber beim 3:3 tief in der Nachspielzeit. Der Aufstieg? Mindestens verschoben. Also gibt es nach Abpfiff statt der erhofften Party auf dem Altmarkt Beelitzer Spargel im Park.
Und das soll mein Sportmoment des Jahres sein? Ja, irgendwie schon. Denn es ist wie so oft im Fußball (und ich weiß als Gladbach-Fan wirklich, wovon ich rede): Nur wer Rückschläge erlebt, kennt das Gefühl der echten Ekstase bei Siegen. Und so packen mich auch - nun nicht vor Ort, sondern im rbb-Livestream - die Bilder der Folgewoche. Als tausende Cottbus-Fans in den Jahn-Sportpark pilgern, ein 2:0-Erfolg bei Hertha II den Aufstieg im zweiten Anlauf wahr werden lässt - und wilde Feierszenen auf dem Platz und später in Cottbus folgen. Gegenwind ausgehalten, am Ende gemeinsam triumphiert: Das passt zu diesem Verein. Nachzusehen ist das alles übrigens in der - nach wie vor großartigen - Doku meines Kollegen Torsten Michels.
"Naar links! Naar rechts! Döpdödö!" - Lynn Kraemer
Wochenenddienste sind als Sportreporterin unvermeidbar. Im Sommer, wenn sich das Berliner Wetter von seiner besten Seite zeigt, nerven sie auch gerne mal. Umzingelt von drei Ventilatoren schwitzen wir dann vor den Rechnern. Die lockende Sonne, die zwischen den Wolken hervorkommt, wird von den Jalousien ausgeblendet. Was sie Anfang Juli nicht ausblenden können, ist das "Naar links! Naar rechts! Döpdödö!", das von der anderen Straßenseite ertönt.
Die niederländischen Fußballfans haben den Hammarskjördplatz in Beschlag genommen und stimmen sich aufs EM-Spiel gegen die Türkei im Olympiastadion ein. Da jetzt mithüpfen! Zwei Stunden halten wir durch. Beim Fanmarsch werden wir schwach. Mit dem Aufzug geht’s in den 14. Stock des Fernsehzentrums. Perfekte Sicht auf den Theo und die orangene Masse, die von der Heerstraße zum Stadion strömt.
Angelina Köhler, eine viertplatzierte Siegerin - Ilja Behnisch
21 Hundertstel fehlten Angelina Köhler von der SG Neukölln im olympischen Finale von Paris über die 100 Meter Schmetterling. 21 Hundertstel. Ein Wimpernschlag, im wahrsten Sinne des Wortes. 21 Hundertstel, und die Weltmeisterin von 2024 wäre Olympia-Dritte von 2024 geworden. 21 Hundertstel. Auf die Chinesin Zhang Yufei vor ihr, die mit schwersten Doping-Anschuldigungen ins Wasser gegangen war.
Als sie amtlich waren, die 21 Hundertstel, gefühlt eine Ewigkeit nach Angelina Köhlers Anschlag, kamen die Tränen. "Es hat natürlich immer einen miesen Beigeschmack, solche Geschichten. Aber erstmal gehört die Medaille ihr und da gibt es nichts auszusetzen", sagte sie dann. Und bewies, dass man auch als Viertplatzierte eine Siegerin sein kann.
Olympisches Gold für Deutschlands 3x3-Basketballerinnen - Lukas Witte
Große Erfolge im Sport bleiben meist dann besonders in Erinnerung, wenn man eigentlich nicht mit ihnen gerechnet hätte. Und für große Überraschungen war der deutsche Basketball zuletzt ja immer mal gut, was mich als Fan dieser Sportart besonders freut.
Und so werde ich wohl auch die historische Goldmedaille der 3x3-Basketballerinnen in Paris nicht so schnell vergessen. Die zuvor wohl noch relativ unbekannte Sportart und noch viel mehr die überragende Leistung von Svenja Brunckhorst und Co. begeisterten in diesem Sommer aber längst nicht nur Basketball-Fans und Sportjournalisten.
Zumindest beim Herzschlagfinale gegen Spanien hielt es rund um mich herum niemanden mehr auf dem Sitz. Und der Gedanke an das große Comeback und den - glücklicherweise - vergebenen letzten Wurf der Spanierinnen vor den Augen ihres Königs Felipe (und unseres Basketball-Königs Dirk Nowitzki) zaubert mir noch heute immer wieder ein Lächeln ins Gesicht.
Der Marathon besucht die Stadt - Shea Westhoff
Einmal im Jahr gibt es für meine Familie einen festen Termin, das ist der Berlin-Marathon. Diesmal am Hermannplatz, der im Jahr 2024 zu keinem Moment so schön war, wie unter der sanften Septembersonne, in verkehrsberuhigtem Zustand. In diesem Jahr erlangte der Marathon wegen seiner 50. Jubiläumsausgabe und einem Rekord von 58.000 Teilnehmern eine besonders herausgehobene Bedeutung.
Die meisten Sportevents muss man als Zuschauer in einer Halle oder einem Stadion aufsuchen (und dafür Eintritt zahlen). Aber der Marathon besucht die Stadt. Und die dankte es erneut mit mehr als Hunderttausend Zuschauern, die die 42,195 Kilometer lange Strecke säumten. Hier ein Plausch, da ein Schnack, Kaffee und Croissant in der Hand. Dann bis zum nächsten Jahr!
Die Hertha-MV, verrückter als jeder Netflix-Plot - Antonia Hennigs
Es heißt nicht ohne Grund: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Ein Blick in die Nachrichten-Portale unseres Vertrauens bestätigt erschreckend oft, dass reale Geschehnisse verrückter sind als jeder Netflix-Plot. Frei nach dem Motto: Kann man sich nicht ausdenken.
Was der Berliner Sportkosmos damit zu tun hat? Am 17. November hielt Hertha BSC seine Mitgliederversammlung ab. Jeder Sitcom-Autor, der von brennenden 50-Euro-Scheinen auf der Bühne, Beweisstück Badehose und vergriffenen Würstchen geschrieben hätte, wäre wohl mit dem Argument "zu unrealistisch" abgeschmettert worden.
Konnte ja keiner ahnen, dass zehn Stunden Mitgliederversammlung der Stoff ist, aus dem Comedy-Gold gemacht wird. Für mich war dieser Tag der etwas andere Sportmoment des Jahres - Unterhaltungswert 10/10. Und am Ende des Tages hatte Hertha auch noch einen neuen (alten) Präsidenten. Ende gut, alles gut.