EM-Bilanz - So lief die Europameisterschaft für Berlin und Brandenburg
Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland neigt sich dem Ende zu - mit dem Finale steht aber noch ein Höhepunkt aus. Doch wie lief das Turnier für Berlin und Brandenburg - sportlich, wirtschaftlich, für die Fans? Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.
"Ich wünsche mir ein 'Die Welt zu Gast bei Freunden 2.0'", hoffte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner vor dem Beginn der Europameisterschaft in Deutschland. "Wir können Großveranstaltungen. Berlin ist eine Sportmetropole, nicht nur national, auch international. Die Berlinerinnen und Berliner sind gute Gastgeber", so der CDU-Politiker.
Der Finaltipp Wegners: Deutschland gegen England. Naja, er lag zumindest teilweise richtig. Ob Wegner auch ein gutes Gespür dafür hatte, was die Kompetenz der deutschen Hauptstadt bei Großveranstaltungen angeht, wird hier beantwortet.
Fünf Spiele fanden bislang in Berlin statt - das größte steht noch aus
Vor dem Finale am Sonntag war das Berliner Olympiastadion Spielstätte von insgesamt fünf EM-Partien – drei in der Gruppenphase, ein Achtelfinale und ein Viertelfinale. Finalteilnehmer Spanien trug sein erstes Turnierspiel in Berlin aus und sollte bereits eine Kostprobe für den weiteren EM-Auftritt abgeben. "La Furia Roja" schlug Gruppengegner Kroatien deutlich mit 3:0 – ein perfekter Turnierstart. In den zwei weiteren Gruppenspielen präsentierte sich jeweils Deutschlands Nachbar Österreich der Hauptstadt. Die erste Begegnung mit Polen gewann das Team von Trainer Ralf Rangnick furios mit 3:1, das zweite Spiel gegen die Niederlande nicht weniger beeindruckend mit 3:2.
Das erste K.O.-Spiel in Berlin war das Achtelfinale zwischen der Schweiz und Italien, das die Eidgenossen überraschend souverän mit 2:0 für sich entschieden. Der vorläufige Höhepunkt für das Olympiastadion war allerdings wenige Tage später das Viertelfinale zwischen der Türkei und der Niederlande. Zwar wurde das Spiel auch von vielen Störgeräuschen abseits des Platzes gezeichnet, doch auf dem Rasen boten sich die Teams ein leidenschaftliches und enges Spiel, das die "Elftal" erst im Schlussakt zum 2:1-Erfolg drehen konnte. Fazit: fünf EM-Spiele im Olympiastadion, fünfmal Spektakel mit insgesamt 17 Toren, im Schnitt also mehr als drei Tore pro Partie.
Brandenburg war wenig überraschend kein EM-Spielort, allerdings temporäre Heimat der kroatischen Nationalmannschaft, die ihr Quartier in Neuruppin aufgeschlagen hatte. Zwar ist die Mannschaft nach der Gruppenphase bereits ausgeschieden, vielen Neuruppinern bleibt der Sommer aber dennoch in Erinnerung.
Nun wartet mit dem Finale im Olympiastadion der Höhepunkt für die Berlin-Brandenburg-Region.
Die EM-Stimmung in Bildern
Berliner Hotels und Gaststätten "haben sich wesentlich mehr Geschäft erhofft"
Laut einer Dehoga-Umfrage einen Monat vor Turnierstart hatten sich die Betriebe von der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland viel erhofft: 40 Prozent der Betriebe in den Spielorten erwarteten demnach mehr Gäste und Umsatz. Doch für die Hauptstadt habe sich das bislang nicht bestätigt, so Gerrit Buchhorn, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Berlin, Ende Juni gegenüber rbb|24.
Nach der ersten Turnierhälfte fiel das Fazit mau aus. Die Erwartungen der Gastronomie- und Hotelerie-Branche haben sich bislang nicht erfüllt. Anhand der Rückmeldungen von Hotels und Gastronomiebetrieben ließe sich feststellen, die Betriebe "wesentlich mehr Geschäft" erwartet hätten. Wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, und die Gastronomien die entsprechende Partie auf den Bildschirmen zeigen, gäbe es immerhin eine erhöhte Nachfrage. "Aber die Kontinuität der Auslastung ist so ein bisschen die Herausforderung."
Wie Recherchen der Tagesschau zu entnehmen ist, gibt es innerhalb der Branche allerdings Unterschiede: "Rund ein Drittel der Kneipen, Bars und Biergärten habe Umsatzzuwächse verzeichnet, so die Umfrage. Und: In Städten, in denen EM-Spiele vor Ort stattgefunden haben, etwa Berlin und Hamburg, merkten 17,5 Prozent der Betriebe positive Effekte - und damit doppelt so viele wie im Bundesschnitt", heißt es dort.
Die Gastronomen an den Berliner Fanzonen am Brandenburger Tor und am Reichstag blicken mit gemischten Gefühlen auf das Geschäft während der Fußball-EM. Ein Großteil der Betreiber zeige sich unter dem Strich zufrieden, sagte Arnold Bergmann, Inhaber der Bergmann Eventgastronomie. Dennoch hätten die spielfreien Tage an der Fanmeile am Brandenburger Tor ihnen zugesetzt, es seien an diesen Tagen deutlich weniger Besucher gekommen. "Das war für die Gastronomen schwach bis schlecht", so Bergmann. Für kommende Fußballturniere wie EM und WM sei es sinnvoll, wieder jedes Spiel zu übertragen, sagte der Eventgastronom.
Innere Sicherheit - Innenministerin Faeser zeigt sich zufrieden
Anschlaggefahr, Cyberattacken, Gewalt durch Hooligans: Vor Turnierbeginn war die innere Sicherheit ebenfalls ein großes Thema. Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser zog am Donnerstag ein erstes positives Fazit. "Die Polizei der Länder und die Bundespolizei tragen ganz entschieden dazu bei, dass wir bisher ein ganz überwiegend friedliches Turnier erlebt haben. Für ein Sportereignis dieser Größe hat es bisher nur wenige sicherheitsrelevante Vorfälle gegeben. Deutlich weniger als wir vorher erwartet haben", so die SPD-Politikerin.
Eine endgültige Bilanz soll am kommenden Montag, einen Tag nach dem Finale, folgen. "Wir erleben das Fußballfest, das wir uns alle erwünscht haben. Wir haben bislang 7,5 Millionen Menschen bei uns zu Gast gehabt – in den Stadien und in den Fanzones. Besonders die Host Cities machen einen unglaublich tollen Job", so Faeser in Berlin. "Wir werden für das Finale und bis dahin noch mal alle Kräfte bündeln. Das ist jetzt wichtig für das Wochenende."
Auch Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik zeigte sich vor ein paar Tagen positiv gestimmt - die damalige Anzahl der Strafanzeigen in Bezug auf die EM-Spiele seien demnach "verhältnismäßig", sagte sie dem rbb24 Inforadio. Am Montag wollen Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD), Polizeipräsidentin Slowik, Feuerwehrchef Karsten Homrighausen und der UEFA-Turnierdirektor Martin Kallen eine Bilanz der Europameisterschaft aus Sicht Berlins ziehen.
Es gibt aber auch Kritik: Der Dachverband der Fanhilfen hat die während der EM durchgeführten Grenzkontrollen als unverhältnismäßig kritisiert. Unter dem Vorwand angeblicher Gefahr durch Fußballfans sei "eine massive Repressionsmaschinerie" in Gang gesetzt worden, sagte Vorstandsmitglied Linda Röttig. Die "umfassenden Grenzkontrollen" stellten einen erheblichen Eingriff in die Bewegungsfreiheit dar.
Fans verschiedenster Nationen sorgten für tolle, aber auch kritische Bilder
Rund siebeneinhalb Millionen Menschen waren laut Innenministerin Faeser bisher in den Stadien und Fanzonen zu Gast in Deutschland. "Ich hoffe, dass diese bisher so tolle EM in unserem Land einen friedlichen Abschluss findet, bei dem der Sport und das Miteinander weiterhin im Fokus stehen". Auch in Berlin und Brandenburg waren abertausende Fußball-Fans auf den Straßen, Fanzonen und im Stadion zugegen - und das größtenteils positiv wie friedlich. So entstanden zahllose schöne Bilder von Fan-Feiern und bunten Massen, wie beispielsweise tausende Niederländer, die mit ihrem mittlerweile ikonischen Tanz zu dem Party-Hit "Links Rechts" der Gruppe "Snollebollekes" die Berliner Straßen zum Beben brachten.
Doch auch kritische Aktionen suchten sich ihre Plattform. Allen voran der türkische Fanmarsch in Berlin vor dem Viertelfinal-Spiel gegen die Niederlande. Die Berliner Polizei hatte den Fanzug kurz vor dem Ende gestoppt, weil viele der türkischen Fans den sogenannten "Wolfsgruß" gezeigt hatten. Der Wolfsgruß sei per se nicht verboten, aber dennoch eine politische Meinungskundgabe und die habe auf einem solchen Fanmarsch nichts zu suchen, sagte Polizeisprecherin Beate Ostertag damals dem rbb. Auch im Stadion wurde die Geste von tausenden Türkei-Anhängern gezeigt.
Die Fanmeile war einmal mehr ein Erfolg
Ein großer Erfolg war einmal mehr die Fanmeile. Statt grauem Asphalt und stotterndem Verkehr erstreckt sich vor dem Brandenburger Tor derzeit eine Kunstrasen-Fläche von 24.000 Quadratmetern. Nicht nur EM-Spiele werden dort gezeigt. Tagsüber dient die Rasenfläche als Parkanlage für Flaneure. Manchmal verwandelt sich der Straßenabschnitt zudem in ein großes Sommerkino. Also ein Treffpunkt für alle, mitten in der Hauptstadt, an einem der berühmtesten Wahrzeichen der Republik: Könnte dies die passende Gelegenheit sein, Pkw dauerhaft von der Straße des 17. Juni zu verbannen? Die Diskussion wird jedenfalls geführt.
Die Kunstrasen-Fläche der EM-Fanzone soll ein Leben nach der Europameisterschaft bekommen. Allerdings übertrifft offenbar das Interesse daran das Angebot. Und zwar deutlich. "Es gibt eine riesige Liste. Wir mussten mittlerweile einen Aufnahmestopp machen", sagte Eva Beyer vom Veranstalter Kulturprojekte Berlin gegenüber rbb|24 über die geplante Verteilungsprozedur des Kunstrasens aus dem Tiergarten.
Das riesige Fußballtor, das als Dekoration in der Fanzone der Fußball-Europameisterschaft am Brandenburger Tor steht, wird zum Verkauf angeboten. Nachdem die Anzeige des Stahlbauunternehemens FSE aus Wittenberg (Sachsen-Anhalt) am Mittwochabend vom Kleinanzeigen-Portal gelöscht wurde, könne das Angebot nun wieder online gehen, teilte die Firma am Donnerstag mit.
Das Wetter spielte nicht immer mit
In Sachen Wetter war die EM jedenfalls kein zweites Sommermärchen. 2006 meinte es die Sonne gut mit Deutschland, schien quasi den kompletten Turniermonat durch - 18 Jahre später sollte die Wetterbilanz deutlich durchwachsener ausfallen. Aufgrund von Unwettergefahr mussten die Berliner Fanzonen, in denen gemeinsam die EM-Spiele verfolgt wurden, immer wieder geschlossen werden - mal für wenige Stunden, mal für ganze Tage.
In den vergangenen Tagen war der Regenschirm in der Region Standardausstattung. Ungewöhnlich für Berlin und Brandenburg - vor allem zu der Jahreszeit. So fielen am Freitag gleich mehrere Tages-Niederschlagsrekordwerte - das hatte in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder auch Auswirkungen auf die regionalen Festivitäten und Gastronomie-Szene.
Doch es gab ja auch immer wieder Sonnenschein, der dazu einlud, das Turnier auf der Fanmeile, in Restaurants oder vorm "Späti" zu schauen - zumindest ein Hauch von "Sommermärchen 2.0".
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.07.2024, 22 Uhr