Herthas besonderer Abschied - Kay Bernstein hat sich unsterblich gemacht

So 21.01.24 | 20:18 Uhr
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Hertha in Gedenken an Kay Bernstein (imago images/Michael Taeger)
Video: rbb24 Abendschau | 21.01.2024 | Stephanie Baczyk | Bild: imago images/Michael Taeger

Nach dem plötzlichen Tod von Präsident Kay Bernstein stand Hertha BSC gegen Fortuna Düsseldorf vor einem Tag der Ungewissheit. Doch Verein, Mannschaft und Fans haben bewiesen, Bernsteins Prinzipien verstanden zu haben. Von Marc Schwitzky

Warum gehen wir zum Fußball? Warum ins Stadion? Wieso bleiben wir nicht einfach auf der Couch vor dem Fernseher - mit bester Sicht, Wiederholungen und im Warmen? Wieso quälen wir uns an Spieltagen in die elendig vollen, öffentlichen Verkehrsmittel? Wieso engagieren sich Menschen in Vereinen, ob ehrenamtlich oder als Mitglied?

Weil (Profi-)Fußball eben mehr ist als das Gebolze von 22 Millionären auf dem Rasen. Es geht um Emotionen, um Menschlichkeit. Fußball ist Katharsis, Theater, Eskapismus. Und Sport soziale Teilhabe, Gleichheit und die Möglichkeit, mitzugestalten. Kay Bernstein wusste das.

Doch der viel zu früh verstorbene Präsident von Hertha BSC wusste es nicht nur - er hat dieses Ideal gelebt. Innerhalb von nur eineinhalb Jahren an Herthas Spitze wurde er zum Symbol für genau diesen Fußball. Einen Fußball, der sich an seine Rolle als gesellschaftliches Lagerfeuer erinnert, der nicht mit blinder Gier davoneilt. Ein Fußball, der den Menschen gehört, der sie ernst nimmt und ihnen Kraft schenkt. Ein Fußball, aus dem Geschichten, Helden und Gemeinschaft entstehen.

"Wir haben bislang kein einziges Wort über das Spiel verloren"

Dass es im Fußball genau darum geht, beweist er meist in den schwersten Zeiten. Der Tod von Bernstein hat die Hertha-Familie und ganz Fußball-Deutschland geschockt. In nur wenigen Tagen mussten sich Fanszene und Verein überlegen, wie sie den kommenden Spieltag gegen Fortuna Düsseldorf bestreiten wollen.

Den Anfang machte ein Trauermarsch vom Theodor-Heuss-Platz zum Olympiastadion. Der "Theo", der am 11. November 2023 im Rahmen des Freundschaftsduells mit dem Karlsruher SC noch ein Ort der grenzenlosen Freude war, wurde am Sonntagvormittag zum Ort der Trauer. Menschen weinen, umarmen sich, fangen sich gegenseitig auf. Viele tragen einzelne Rosen oder ganze Blumengestecke mit sich, die sie später vor dem Olympiastadion ablegen werden.

Das Gemurmel der 7.000 Teilnehmer kennt viele Facetten. Tiefe Trauer. Das ständige Feststellen, eigentlich keine Worte für das Geschehene zu haben. Eigene Anekdoten über Kay Bernstein. Erklären, was man mit ihm verbindet. Ehrliche, teils panische Ungewissheit darüber, was einen heute erwartet und wie es mit Hertha nun weitergeht. Auch Alltagsgespräche sind zu hören, einige scheinen dieses traurige Ereignis als Grund genommen zu haben, sich erstmals seit längerem wiederzusehen. Ein Marsch als mobile Begegnungs- und Andachtsstätte. Nach vielen Gesprächen bemerkt ein Hertha-Fan: "Schon krass, wir haben bislang kein einziges Wort über das Spiel verloren."

Mit dabei sind auch zahlreiche Hertha-Verantwortliche wie der nun kommissarische Präsident Fabian Drescher oder Geschäftsführer Tom Herrich. Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle mischen sich unter die anderen Fans. Frei nach Bernsteins Motto "Wir Herthaner", das die Gemeinschaft stärken und Lager wie auch Hierarchien aufbrechen wollte.

Es ist, als würde die Trauer den Schall schlucken.

Eine ohrenbetäubende Stille

Im Stadion angekommen fühlt sich vieles ungewohnt, ja nahezu surreal an. In Gedenken an Bernstein werden viele übliche Rituale der Hertha-Heimspiele ausgesetzt. Kein lautes Einheizen der Stadionsprecher, nicht das üblich flippige Vorprogramm aus Musik, Interviews und vielem mehr. Keine bereits Lieder gröhlenden Hertha-Fans an den Ständen und auf den Rängen. Stattdessen beinahe gespenstische Ruhe, die üblichen Lieder werden von Songs wie "My Way", "Junimond" oder "Everybody Hurts" ersetzt. Die Aufstellungen der Mannschaften werden nur nüchtern verlesen, die emotional gebeutelte Berliner Ostkurve bleibt ruhig. Eine ohrenbetäubende Stille.

Es ist, als würde die Trauer den Schall schlucken. Nur die Fans von Fortuna Düsseldorf sind zu hören: sie gedenken Bernstein mit einem Transparent, feuern ihre Mannschaft aber wie gewohnt an. Laut wird es bei Hertha zunächst nur, als die Hymne "Nur nach Hause" gespielt wird. Das Stadion, es singt, womöglich so andächtig und inbrünstig wie noch nie zuvor.

Dann spricht Stadionsprecher Fabian von Wachsmann. Er widmet Bernstein emotionale Worte. "Du wirst in unserem Herzen weiterleben", sagt er schließlich, dann bricht die zuvor schon wackelige Stimme endgültig. Doch er wird von einem applaudierenden Stadion aufgefangen. Ein Moment der tiefen Verbundenheit. Anschließend eine Schweigeminute, die ihrem Namen wirklich gerecht wird. 43.000 Menschen hüllen das unendlich weite Olympiastadion in absolute Stille. In der Ostkurve hängt ein Banner mit der Aufschrift "In Gedenken an Kay Bernstein". Eine einzige Pyrofackel leuchtet für ihn auf. Dann ist Anpfiff.

Ein Moment der Erlösung

Die Spieler von Hertha BSC hätten allen Grund gehabt, um mit dem Kopf nicht voll bei der Sache zu sein. Bernstein war nicht irgendein Vereinspräsident, das äußerte sich auch in dem unüblich engen Verhältnis zwischen ihm und der Mannschaft. Doch die Hausherren wirkten gefestigt, ja nahezu motiviert. "Kay war ein Teil von uns und wir wollten dieses Spiel für ihn bestreiten, so habe ich auch die Mannschaft wahrgenommen", sagte Sportdirektor Benjamin Weber nach dem Spiel.

Dass die sportliche Leistung der Berliner und das Endergebnis an diesem Sonntagnachmittag absolut zweitrangig ist, steht außer Frage. Doch umso mehr ehrt es Trainerteam und Mannschaft, gegen einen so hochklassigen Gegner wie Düsseldorf eine beachtliche Leistung gezeigt zu haben. Als Haris Tabakovic in der 30. Minute das 1:0 erzielt, wirkt es wie eine regelrechte Erlösung. Als dürften Fans und Mannschaft das erste Mal seit Tagen wieder atmen. Als der Schweizer für den Torjubel zur Bank läuft und das Aufwärmshirt mit der Aufschrift "Wir Herthaner. In tiefer Trauer" in Richtung Himmel hält, ist die Hertha-Familie zu sehen und spüren, die Bernstein immer gepredigt hatte.

Ob der Trauermarsch oder die vielen Bilder, Kerzen und Blumen vor den Stadioneingängen und dem Olympiastadion selbst. Ob die Rede von Stadionsprecher Fabian von Wachsmann, die stille Andacht in der Schweigeminute oder die vielen, gedenkenden Spruchbänder in der Ostkurve. Ob der besonders geschmückte "Stammplatz" von Bernstein im Stadion, auf dem seine berühmt gewordene Trainingsjacke und ein Megafon als Reminiszenz an seine Zeit als Vorsänger der Hertha-Ultras zu liegen kamen. Oder der emotionale Jubel von Tabakovic.

All diese Momente haben einen mehr als würdigen Rahmen für dieses so einzigartige Abschiedsspiel geschaffen, das sportlich betrachtet als 2:2 endet. Es gibt wohl keinen besseren Beweis dafür, dass die Saat Bernsteins aufgegangen ist. "Mein Wunsch für 2024: Lasst uns diese Gemeinschaft pflegen und stärken, um daraus Kraft zu gewinnen, die uns nicht nur träumen, sondern auch Ziele erreichen lässt", hatte er noch am 31. Dezember 2023 auf "X" geschrieben.

"Es geht weiter, wenn auch anders"

So tragisch und sinnlos sein Tod ist, so sehr beweisen die Reaktionen von Klub und Fans, welch Wundertat Bernstein in seinen eineinhalb Jahren als Präsident vollbracht hat. Er hat einen völlig zerstrittenen und kaputten Klub wieder vereint, längst verloren geglaubte Werte zum Vorschein gebracht und Hertha den Glauben an bessere Zeiten geschenkt. Er hat den Hertha-Fans auf die Frage "Warum gehen wir zum Fußball?" wieder eine Antwort gegegeben.

Dieser ganz besondere Tag steht als Symbol dafür, dass der von Bernstein eingeschlagene "Berliner Weg" funktionieren kann und erst am Anfang steht. "Er ist damit unsterblich", sagte Trainer Pal Dardai nach dem Spiel. Oder wie Benjamin Weber sagte: "Es geht weiter, wenn auch anders."

Sendung: rbb24, 21.01.2024, 22 Uhr

9 Kommentare

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  1. 9.

    Wow. Es überkommt einem eine Gänsehaut beim lesen dieses Artikels. Und ja er ist genau auf dem Punkt geschrieben. Ich kannte Kay noch aus der Zeit als er als Vorsänger bei den Harlekins war und schon dort merkte man ihm seine grenzenlose Liebe zur Hertha an. Das sein Leben in der Blüte seines Lebens auf einmal vorbei war konnte ich kaum fassen. Er war genau der richtige Mann an der Spitze der Berliner gewesen und wer weiß zu was für Höhenflügen er die alte Dame geführt hätte. Schade. Das werden wir nun nicht mehr erleben. Ruhe in Frieden Kay. Es war schön dich zu kennen.

  2. 7.

    Danke für diesen Artikel.
    Ich habe Kay nicht persönlich gekannt, gehe aber seit 1997 zur Hertha in die Ostkurve. Damals trafen wir uns noch alle im Block "P". Somit kannte ich ihn quasi auch von Anfang an, aber halt "nur so vom Sehen".
    Dass mich das gestrige Spiel so mitnimmt, bei mir die Tränen beim Trauermarsch und erst recht bei der Rede von Fabian und der Schweigeminute kommen, hätte ich eigentlich selber nicht von mir gedacht. Aber dieses Schicksal hat mich dann doch mehr mitgenommen, als gedacht. Ich kann nur erahnen, wie sich die Familie und die engsten Freunde, die Harlekins, insbesondere gestern gefühlt haben müssen. Ein unglaublich schwerer Nachmittag gestern, aber ein sehr würdevoller. Auch die Rede aus der Kapelle. Danke. Danke für die Worte, danke für die tolle Umsetzung an alle.
    Lebe wohl, Kay.

  3. 6.

    Dieser gestrige Tag macht deutlich was Kay ausmachte, was er auf den Weg gebracht und geschaffen hat.
    Ich wünsche mir sehr, dass dieser Berliner Weg als Auftrag verstanden wird und wir einen neuen Präsidenten bekommen der Hertha BSC lebt und liebt.
    Kay wird unvergessen bleiben, er verkörperte Alles was Hertha BSC so viele Jahre gefehlt hat.
    Danke und gute Reise lieber Kay !!!
    Ein leises HaHoHe

  4. 5.

    Mir stehen sofort wieder die Tränen in den Augen, es war wirklich ein ganz besonderer Tag und ein würdiger Abschied.

    Gestern war das Wirken von Kay Bernstein förmlich greifbar und welchen nachhaltigen Eindruck er hinterlassen hat.

    Ich hoffe sehr, dass wir einen Präsidenten finden, der diesen Weg fortsetzen wird, wer auch immer es wird, er wird es nicht leicht haben.

    Wie der Sprecher Gestern sagte, diese Lücke ist nicht zu schließen.

    Ha Ho He

  5. 4.

    Danke für diesen feinfühligen, beseelten Artikel, der alles alles zusammenfasst, was KB ausmachte, auszeichnete. Danke Kay für alles, was du für Hertha und den deutschen Fußball bewirkt hast! Eine tiefe Verneigung von mir... "er hat dieses Ideal gelebt" <3

  6. 3.

    Herzzerreißendes Gedenken für Kay. Danke dem ganzen Verein!
    Bleibt weiter so menschlich und nahbar

  7. 2.

    Es ist wünschenswert, daß alles im Sinne von Kay Bernstein weitergeht.
    Sachen, wie BCC und Millionen Träume haben keinen Platz bei Hertha BSC. Es ist genug Schaden angerichtet worden in der Vergangenheit.

  8. 1.

    Danke Marc. Danke für diesen Artikel. Er trifft es auf den Punkt. So gleich es ein schwerer Tag für uns alle war, so erlösend wird er hoffentlich sein und aus der tiefen Trauer heraus, uns die von Kay wieder übermittelten Werten noch stärker zu pflegen.

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