Analyse des 2:2 gegen Karlsruhe - Hertha BSC im Freundschaftsduell zwischen Stabilisierung und Stagnation
Hertha BSC kam in einem atmosphärisch besonderen Duell mit dem Karlsruher SC nicht über ein Unentschieden hinaus. Die Berliner zeigten beim 2:2 altbekannte Schwächen, die Fragen über die Entwicklung unter Trainer Pal Dardai aufwerfen. Von Marc Schwitzky
Es war ein besonderer Abend im Berliner Olympiastadion, das in der laufenden Saison bereits Kulisse von mehreren einprägsamen Spielen war. Doch das Duell zwischen Hertha BSC und dem Karlsruher SC ist ein außergewöhnliches, denn die Fanszenen verbindet eine tiefe Freundschaft, die seit 1976 aktiv gelebt wird.
So auch am Samstagabend. Die KSC-Fans wurden in Berlin am Bahnhof abgeholt, es gab ein Fanfest und anschließend einen gemeinsamen Marsch zum Olympiastadion. Dort angekommen, bekamen die Karlsruher einen besonderen Platz auf der Gegengerade, durften ihre Lieder vor Anpfiff singen und während des Spiels Teil von mehreren Choreographien und Wechselgesängen sein. Gute Freunde teilen eben alles - und dann auch die Punkte.
Vor knapp 60.000 Zuschauenden endete die Begegnung zwischen Hertha und dem KSC 2:2. Das Ergebnis als auch die Art des Auftritts dürfte den Berlinern trotz aller freundschaftlichen Verbundenheit zu wenig gewesen sein.
Hertha verschläft die Anfangsphase
"Wir haben die ersten 20 Minuten komplett verschlafen und sind auch vollkommen zurecht in Rückstand geraten", fasste Hertha-Torhüter Tjark Ernst die Anfangsphase der Partie präzise zusammen. Die Hausherren ließen sich von Beginn an den Schneid abkaufen, der KSC wirkte deutlich wacher und agiler. Das Rautensystem der Gäste irritierte Hertha sichtlich, sowohl Anlauf- als auch das Gegenpressingverhalten bereiteten große Probleme. Den Blau-Weißen fehlte gegen die oft rotierenden KSC-Mittelfeldspieler der Zugriff, und auch bei Standards waren die Badener handlungsschneller. So fiel das 0:1 folgerichtig nach einer schwach verteidigten Ecke.
Bis zur 25. Minute kontrollierte der KSC die Partie durch seine reifere Spielanlage und aggressivere Zweikampfführung. Doch dann fand Hertha-Trainer Pal Dardai eine Antwort: Flügelspieler Fabian Reese und Marten Winkler tauschten die Positionen. Zudem machte Hertha das Spiel im Ballbesitz deutlich enger, da die Abstände vorher viel zu groß waren. So fanden die Hauptstädter besser ins Kombinationsspiel und wirkten insgesamt weniger statisch. Der Lohn kam sofort: In der 29. Minute erzielte Reese den Ausgleich.
Starke 20 Minuten reichen nicht
Im Anschluss kippte das Momentum. Die Umstellung und der Ausgleichstreffer verliehen Hertha neues Selbstbewusstsein und nahmen es dem etwas krisengebeutelten KSC. Die Berliner entwickelten eine Druckphase, wirkten ruhiger am Ball und aggressiver im Zweikampf. Diese Phase nutzen sie effizient zu Florian Niederlechners 2:1-Treffer in der 42. Minute, bis zum Halbzeitpfiff hätte sogar das 3:1 fallen können.
Diese 20 Minuten waren Herthas stärkste im gesamten Spiel, doch 20 gute Minuten reichen in einem Fußballspiel nur selten. Einmal mehr verpasste die "alte Dame" es, mit Druck aus der Kabine zu kommen und für die Vorentscheidung zu sorgen. Stattdessen griffen alte Muster aus den vergangenen Wochen. Hertha verfiel mit dem Gang in die Kabine in eine eigenartige Passivität. Torhüter Ernst musste bereits in der 47. Minute den Ausgleichstreffer des KSC durch eine Glanzparade verhindern.
Konterchance um Konterchance
Bereits in den letzten Wochen war zu erkennen, dass Hertha nach einer Führung in den Verwaltungsmodus schaltet. Gegen Nürnberg verspielten die Berliner ihre Führung komplett, gegen Paderborn gab es direkt nach der Halbzeitpause den Anschlusstreffer. Aus bislang acht Führungen in der laufenden Saison hat Hertha fünf Siege geholt, einmal Unentschieden gespielt und zweimal verloren - das ist nur Platz zwölf in Liga zwei.
Dass Hertha seine Führung auch gegen den KSC nicht über die Zeit brachte, lag an zwei Faktoren. Da ist zum einen die für die Blau-Weißen frustrierend hohe Quote an ungenutzten Konterchancen. Entweder, weil die Mannschaft den letzten entscheidenden Pass nicht vollbrachte, oder aber, weil der Abschluss mangelhaft war. Die Berliner hatten genug Gelegenheiten, der Partie mit dem 3:1 vorzeitig den Stecker zu ziehen.
Spielerisch einfach zu wenig
Das andere Problem: Wirklich verdient wäre dieses Ergebnis nicht gewesen. Bis auf die 20 Minuten im ersten Durchgang hatte Hertha nie die wirkliche Spielkontrolle. Der KSC wirkte trotz seiner sportlich schwierigen Phase in vielen Momenten spielerisch reifer. "Es müssen mehr Spieler von uns auf ihr Topniveau kommen und für Gefahr sorgen. So sind wir zu ausrechenbar", sagte Reese nach dem Spiel. Einmal mehr lag Herthas Offensivspiel nahezu gänzlich auf seinen Schultern, da den Berlinern aus dem Spiel heraus nichts einfiel.
So war der 2:2-Ausgleichstreffer in der 81. Minute womöglich unglücklich, aber aus KSC-Sicht keinesfalls unverdient. Ihre Spielanlage hatte die Badener durchweg in der Partie gelassen und das 2:2 war der Lohn. Hertha hatte im zweiten Durchgang 29 Prozent Ballbesitz, gab 4:11 Schüsse ab und versteifte sich auf Konter, die sträflich ungenutzt blieben.
Nur Moral reicht nicht
So brauchte sich Hertha über den Ausgleich und die damit verbundene Punkteteilung nicht wundern. Der besondere Rahmen des Samstagabendspiels blieb sportlich ungenutzt, weil Hertha die durchwachsenen Leistungen der letzten Wochen uninspiriert aufwärmte. Zwar hat die Mannschaft gut auf den 0:1-Rückstand reagiert und Moral bewiesen, doch nach 13 Spieltagen ist sie über den Punkt hinaus, an dem solche Grundtugenden besonders positiv herausgehoben werden müssen.
Vielmehr muss kritisch auf die letzten Wochen geblickt werden. Eine vollends überzeugende Leistung hat Hertha bis auf den Pokalsieg gegen Mainz 05 schon länger nicht mehr gezeigt. Es fehlt weiterhin eine klare Idee mit dem Ball und daraus entstehend ein souveräner Umgang mit Führungen. Hertha leidet unter viel zu viel Stückwerk und der großen Abhängigkeit von Reese. Nach wie vor addressiert Dardai jene Probleme nicht innerhalb der Spiele. Wie schon gegen Rostock nutzte er sein Wechselkontingent nicht aus, obwohl seine Mannschaft sichtlich schwamm.
Das Weihnachtsziel wackelt
Mit dem 2:2 gegen den KSC verliert Hertha langsam den Anschluss nach oben. Dardai gab vor ein paar Wochen das Ziel aus, bis Weihnachten Platz vier bis fünf erreichen zu wollen - bei noch vier ausbleibenden Spielen sind jene Plätze vier und fünf Punkte entfernt. "Ich bin froh über Mittelmaß", erklärte Dardai vor dem Spiel gegen Karlsruhe und verwies darauf, wo Hertha noch vor ein paar Monaten stand. "Wir haben die ganze Mannschaft abgegeben und eine neue geholt." Und immerhin: Hertha hat seit vier Spielen nicht mehr verloren. Doch angesichts des eigentlichen Weihnachtsziel stellt sich die Frage: Ist das noch Stabilisierung oder schon Stagnation?
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.11.2023, 19:30 Uhr