Fanfreundschaften im Fußball - Von Medellin bis Mönchengladbach
Seit fast 40 Jahren sind Hertha BSC und der Karlsruher SC durch eine Fanfreundschaft verbunden. Die Ursprünge dafür sind gar nicht so klar. Andere Verbindungen hingegen erzählen sehr eindeutig von Häfen und großen Unglücken. Von Ilja Behnisch
Wenn Hertha BSC auf den Karlsruher SC trifft, dann geht es um drei Punkte — und um große Gefühle. Fanfreundschaft nennt sich das gemeinhin, was die beiden Vereine über den Rasen hinaus verbindet. Begonnen habe alles am 1. Spieltag der Saison 1976/77, heißt es. Als eine Handvoll Berliner Auswärtsfahrer am Karlsruher Hauptbahnhof von KSC-Fans in Empfang genommen und alsdann in eine naheliegende Kneipe eskortiert wurde.
Am Tresen angekommen, stellte man offenkundig fest, dass man nicht nur in den Farben, sondern auch im Durst vereint war. Und überhaupt, die Vorhut verstand sich prächtig und alsbald auch alle anderen Fans. Es folgten gemeinsame Fan-Feste, gemeinsames Liedgut ("Hertha und der KSC!") und der schöne Beweis, dass Fußball-Anhänger auch eine irgendwie romantische Seite haben.
Doch nicht jede Fanfreundschaft hat ihren Ursprung im seichten Glück eines Bahnhof-Vorplatzes gefunden. Hier kommen fünf besondere Verbindungen, rund um die Welt.
Bursaspor & MKE Ankaragücü
Die Verbundenheit der beiden Fanlager geht auf einen Ultra von Bursaspor zurück. Abdulkerim Bayraktar zog es des Studiums wegen nach Ankara. Dort begann er, zarte Bande zwischen seinem Herzensverein und dem Verein der Stadt zu knüpfen, in der er gerade lebte. Ein Leben, das 1993 ein jähes Ende fand, da Bayraktar während seines Militär-Dienstes verstarb. Sein Andenken zu wahren, war fortan die Triebfeder einer tiefen Fan-Freundschaft. Seither unterstützen sich die Anhänger bei wichtigen Spielen gegenseitig.
Seither rufen die Bursaspor-Fans in der sechsten Minute eines jeden Heimspiels den Namen ihrer Freunde aus Ankara - in Anlehnung an die Postleitzahl der türkischen Hauptstadt. Bei Ankaragücü wiederum erklingt der Ruf nach Bursaspor in der 16. Minute eines jeden Heimspiels. Ebenfalls aufgrund der Postleitzahl der Stadt Bursa.
Atletico Nacional & Chapecoense
Es war ein Märchen, welches Associação Chapecoense de Futebol aus Brasilien ins Fußball-Jahr 2016 geschrieben hatte. Ein Märchen, das zum Albtraum wurde. Der 1973 gegründete Klub, der die meiste Zeit seines Bestehens eher zweitklassig war, hatte sich aufgeschwungen und erstmals das Finale eines internationalen Wettbewerbes erreicht. Doch auf dem Weg zum Hinspiel um die Copa Sudamericana, eine Art Äquivalent zur hiesigen Europa League, verunglückte das Flugzeug der Mannschaft. Nur drei Spieler der Mannschaft überlebten das Unglück am 28. November 2016.
Der Pokalwettbewerb wurde für beendet erklärt, der kolumbianische Klub Atletico Nacional später zum Sieger erklärt. Dennoch war das Stadion am Tag des eigentlich geplanten Spiels bis auf den letzten Platz belegt. In und um das Stadion herum gedachten um die 150.000 Fußball-Fans der Verstorbenen. "Sempre Chapecó" — "Für immer Chapecó", klang es durch Medellin. Ein Abend der Trauer. Und der Beginn einer großen Fanfreundschaft. "Es waren 90 Minuten Fußballstimmung, ohne dass ein Ball rollte, vielleicht einer der größten Momente der jüngeren Sportgeschichte", schrieb die Süddeutsche Zeitung.
FC Southampton & Athletic Bilbao
Eine Verbindung, deren Ursprung streng genommen sogar älter ist als die beiden Vereine. Denn die pulsierende Hafenstadt Bilbao war es, in der bereits im 19. Jahrhundert viele junge Engländer anlandeten. Vor allem aus Portsmouth, Sunderland und Southampton stammten die auf mehr und bessere Arbeit hoffenden Migranten, die ihre Liebe für den Fußballsport mit von Bord nahmen und schließlich 1898 gemeinsam den Bilbao FC gründeten. Der Vorgänger des baskischen Vorzeige-Klubs Athletic war geboren.
Als erste Trikots dienten 50 ausgemusterte Leibchen des FC Southampton (1885), die zur Hälfte in Bilbao verblieben und zur Hälfte nach Madrid verbracht wurden, weshalb das dortige Atletico auch heute noch im rot-weiß-gestreift des FC Southampton unterwegs ist. Die Fanfreundschaft zum englischen Heimatklub hingegen verblieb im Baskenland.
Dynamo Kiew & FK Dnipro
Eine klassische Fanfreundschaft, die vor allem deshalb existiert, weil es einen gemeinsamen Feind gibt, gegen den es sich zu verbünden lohnt. Ein Motiv, das sich aus bisher unerforschten Gründen besonders in Osteuropa großer Beliebtheit erfreut. Man frage nach in Polen, wo sich gleich mehrere Klubs (Polonia Warschau & Wisla Krakau bzw. Polonia Warschau & Arka Gdynia) darin gefallen, gemeinsam gegen die Nobel-Adresse von Legia Warschau zu stänkern. Oder eben in der Ukraine, wo zumindest in Zeiten vor dem Krieg gegen Russland gern einmal gemeinsam gesungen wurde im Stadion.
So wie bei Dynamo Kiew und dem FK Dnipro, der früher den viel klingenderen Namen Dnipro Dnipropetrowsk trug und inzwischen aufgrund finanzieller Fantasien ohnehin das Zeitliche gesegnet hat. Unvergessen jedoch bleiben die gemeinsamen Gesangseinlagen der Dnipro-Anhänger mit jenen von Serienmeister Dynamo Kiew, deren Ziel das verhasste Metalist Kharkiv war. Textlicher Höhepunkt der Schmähgesänge: "Metalist ist ein Team von Kondomen!" Wäre das auch geklärt.
Borussia Mönchengladbach & FC Liverpool
Immer mal wieder, ganz bestimmt aber rund um Weihnachten, kommt es vor, dass im alt-ehrwürdigen Stadion des FC Liverpool niederrheinische Klänge zu vernehmen sind. Dann, wenn "Die Elf vom Niederrhein" durch Anfield schallt. Ende Dezember gern einmal begleitet von einer Delegation Gladbach-Fahnen schwenkender Borussia-Fans. Die Verbindung beider Klubs reicht bis in die Siebziger zurück, als sich beide Klubs in gleich zwei Europapokal-Endspielen gegenüberstanden und schätzen lernten.
Richtig Fahrt auf nahm die Fanfreundschaft allerdings nach der Hillsborough-Katastrophe 1989, als im Zuge einer Massenpanik im Stadion von Sheffield 96 Fans des FC Liverpool ums Leben kamen. In Gladbach handelte man schnell und unkompliziert, ließ für die Hinterbliebenen der Opfer den Klingelbeutel rumgehen und übergab in der Folge einen Scheck über mehr als 20.000 Mark.
Sendung: rbb24, 10.11.2023, 18 Uhr