Unions Kevin Behrens und das Radfahren - Tour de Farce
Nach dem Heimsieg gegen Mainz 05 wählte Union-Stürmer Kevin Behrens für den Heimweg das Fahrrad. Das Internet drehte durch vor Glück. Andere kritisierten den Überschwang. Dabei ist die Sache ganz einfach. Von Ilja Behnisch
Er hat es schon wieder getan. Kevin Behrens hat in Darmstadt schon wieder getroffen. Vier Treffer nach zwei Spieltagen stehen für Union Berlins Stürmer Kevin Behrens bereits zu Buche, alle mit dem Kopf erzielt. Und weil Kevin Behrens ein Mittelstürmer mit deutschem Pass ist und weil dieses Land von Vielem vieles hat, aber nicht gerade viele gute Mittelstürmer, ist ein kleiner Hype um den 32-Jährigen entstanden in den vergangenen zwei Wochen. Auch, weil er so ein Spätberufener ist.
Einer, der erst mit 30 Jahren, sechs Monaten und elf Tagen in der Fußball-Bundesliga debütierte. Einer, der die längste Zeit seiner Karriere Zweitliga-Spieler war und der nun aber Stammspieler bei einem Champions-League-Verein ist. Woran man erkennt, dass im Fußball wirklich vieles möglich ist, und vor allem aber auch, wie viel Wahnsinn in der Erfolgsgeschichte des 1. FC Union Berlin steckt. Und dann war da ja noch die Sache mit dem Fahrrad.
Auf dem Boden geblieben
Mit dem ist Kevin Behrens nach dem Heimsieg über Mainz 05 am ersten Spieltag nämlich nach Hause gefahren. Klingt normal, ist es aber nicht. Für Behrens gab es jede Menge Zuspruch. Auf dem Boden sei er geblieben, wie wunderbar, so der Kanon. Fußballer bewegen sich ansonsten ja zumeist in eher teuren Autos zum und vom Stadion. Kommt das Kfz eher unscheinbar daher oder wird gleich ganz gemieden, setzt es schlagartig Beifall. Zum Beweis muss man nicht in die Ferne schweifen, nur ein wenig in die Vergangenheit. War alles schon da, allein bei Union Berlin.
Ex-Mittelfeldspieler Grischa Prömel zum Beispiel fuhr auch als gestandener Bundesliga-Profi noch mit jenem Ford Fiesta durch Berlin, den ihm seine Oma zu seinem 18. Geburtstag geschenkt hatte. Ex-Abwehrspieler Neven Subotic nahm einst die S-Bahn nach einem Spiel. Dafür wurden die beiden ebenso gefeiert wie ihre internationalen Pendants. Wie der französische Weltmeister N’Golo Kanté, der im (gar nicht mal sooo günstigen) Mini (Cooper) durch England steuerte. Oder wie der tschechische Weltklasse-Torhüter Petr Cech und der deutsche Weltmeister Per Mertesacker, die zu ihren Dienstzeiten bei Londoner Vereinen schonmal mit der U-Bahn unterwegs waren.
Jeder Schritt wird dokumentiert und kommentiert
Doch mit aufbrandendem Applaus wird auch Kritik an Land gespült. Die "Berliner Zeitung" etwa kommentierte: "Ein Bundesliga-Stürmer fährt mit dem Fahrrad nach Hause und die Leute drehen durch. Das zeigt, wie weit sich der Profifußball vom normalen Leben entfernt hat." Der kritische Unterton scheint naheliegend, denn es stimmt ja, es ist schon bemerkenswert, für wie bemerkenswert es befunden wird, dass jemand mit dem Fahrrad fährt. Was ebenfalls stimmt: Fußballer sind normale Menschen. Normale Leben führen sie nicht. Die Frage ist nur, ob sich daraus ein profunder Vorwurf ableiten lässt.
Fußball-Profis, zumindest das Gros der Erstliga-Spieler, stehen unter enormer Beobachtung. Jeder ihrer Schritte wird dokumentiert und kommentiert. Auch, wenn der Schritt nur ein Tritt in die Pedale ist. Behrens etwa durfte sich neben aller Lobhudelei auch gleich fragen lassen, warum er denn Bitteschön ohne Helm unterwegs gewesen sei. Er habe doch eine Vorbild-Funktion!
Fußballer sind zudem Popstars und gefühlt Allgemeingut. Fußballer werden in der Öffentlichkeit gern mal beim Vornamen gerufen wie alte Bekannte und sollen sich gefälligst die paar Sekunden Zeit nehmen, die es dauert, ein Autogramm zu geben oder für ein Selfie zu posieren. Für sie ist das normal. Das normale Leben ist es nicht.
Union ist nicht Arsenal
Im November 2016 gab es im Fußball-Magazin "11Freunde" einen eindrücklichen Text zu lesen. Der Reporter hatte Mesut Özil begleitet, seinerzeit in Diensten des FC Arsenal. Für die Recherche durfte er unter anderem im Auto des Weltmeisters von 2014 mitfahren, auf dem Heimweg nach einem Spiel.
Dann begann der zumindest für Özil ganz normale Wahnsinn. Die Fans wussten, welchen Weg er nehmen würde, passten ihn an jeder Kreuzung ab. Mal wurde Özil dann ein Kleinkind entgegen gehalten, als wäre er der Papst, als solle er es segnen. Mal drückte Emin aus Essen eine auf ein Plakat geschriebene Grußbotschaft gegen die Windschutzscheibe. Dann wiederum drängten sich gleich mehrere Fans durch das geöffnete Fahrerfenster, nachdem sie von allen Seiten gegen den Wagen geklopft hatten, als hofften sie, dadurch einen Schatz öffnen zu können. Özil hat all das stoisch über sich ergehen lassen. Er sei doch auch mal Fan gewesen, sagte er. Und dass das nun einmal dazu gehöre.
Aber: Ist es nicht nur allzu verständlich, wenn sich Fußballer lieber im immerhin etwas geschützten Kokon ihres Autos fortbewegen als mit dem Deutschland-Ticket oder auf dem Fahrrad? Weil die meisten, man mag es kaum glauben, ganz normale Menschen sind mit ganz normalen Sehnsüchten. Menschen, die gern erfolgreich sind, die geliebt werden wollen und aber auch: in Ruhe gelassen. Und vielleicht ist das Erstaunliche am Fahrrad fahrenden Kevin Behrens, dass das noch geht für ihn. In Berlin-Köpenick. Weil Kevin Behrens kein Mesut Özil ist. Und der 1. FC Union kein Arsenal London. Wobei zumindest Letzteres angesichts der Erfolge der vergangenen paar Jahre nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint. Sollte Kevin Behrens dann noch für Union stürmen, darf man gespannt sein, ob er es wieder tut.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.08.2023, 09:15 Uhr