Sorge um nuklearen Zwischenfall - Polen versorgt Gemeinden mit Jod-Tabletten - Brandenburger Kreise lagern ebenfalls
Die polnische Regierung hat im Zuge der Kämpfe um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja landesweit Jod-Tabletten bevorratet - so auch in der Woiwodschaft Lebuser Land. Die Kreise in Brandenburg sind über den Bund ebenfalls versorgt.
Seit Monaten liefern sich russische und ukrainische Truppen Gefechte um das Atomkraftwerk Saporischschja - mit sechs Reaktoren das größte in Europa. Erst am vergangenen Wochenende waren dort die Stromleitungen nach einem Beschuss ausgefallen und das AKW musste über Diesel-Generatoren versorgt werden. Hinzu kommen wiederholte Drohungen zum Einsatz taktischer Kernwaffen durch Russlands Präsident Wladimir Putin.
Polen liefert an Verteilstellen
Angesichts der Situation sind besonders im Osten Europas die Sorgen vor einem Zwischenfall mit Radioaktivität groß. Vor Kurzem hat das polnische Innenministerium beschlossen, landesweit Jod-Tabletten an öffentliche Verteilstellen zu liefern, also Tabletten mit dem Inhaltsstoff Kaliumiodid. Laut dem Bundesministerium für Strahlenschutz können Jod-Tabletten - sofern sie zur richtigen Zeit eingenommen werden - verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt [bmuv.de].
In der an Deutschland angrenzenden Woiwodschaft Lebuser Land werden die Bewohner der Stadt Zielona Gora derzeit informiert, an welchen Punkten sie im Ernstfall Jod-Tabletten erhalten könnten, sagte der Vizepräsident der Stadt, Dariusz Lisiecki. "Wir haben die Jod-Tabletten an 51 Punkten in der Stadt verteilt - an gut zugänglichen Stellen, so dass die Bürger innerhalb weniger Stunden mit diesem Mittel versorgt werden können."
Die polnische Regierung spricht von einem gesetzlich vorgesehenen Standardverfahren. Es gebe keine aktuelle Belastung durch atomare Strahlung, betonte sie. Die Behörden warnen auch davor, einfach so Jod-Tabletten einzunehmen.
Brandenburger Kreise mit standardmäßigen Notfällplänen vorbereitet
Auf deutscher Seite werden ebenfalls Jod-Tabletten bevorratet: Der Bund hält nach eigenen Angaben fast 190 Millionen vor. Auch in dem an Polen angrenzenden Landkreis Märkisch-Oderland sei man vorbereitet, sagt Sprecher Thomas Berendt. "Die Landkreise sind natürlich nicht nur wegen der aktuellen Situation in der Ukraine, sondern auch wegen möglichen Havarien in zivilen Forschungseinrichtungen oder Atomkraftwerken, die in Deutschland oder den Nachbarländern am Netz sind, schon seit vielen Jahren in der Vorbereitung. Die Pläne existieren und werden auch jährlich aktualisiert." Im Ernstfall seien die Kreise so aufgestellt, dass die Bevölkerung mit entsprechenden Kaliumiodid-Tabletten versorgt werden könnte.
Die Standorte der zentralen Lagerstätten seien geheim, sagte Berendt. "Aber wir können ohne großen Aufwand und ohne dass viel Zeit vergeht, darauf zugreifen." Sollte es zu einer Nuklear-Katastrophe kommen, würden die Bürger informiert, wie sie sich zu verhalten haben und wo die Schutzmittel zu bekommen sind, versicherte der Kreis-Sprecher.
Laut Bundesamt für Strahlenschutz werden die Tabletten "im Ereignisfall an Feuerwehrwachen, Rathäusern, Apotheken oder bekannten Wahllokalen an die Bevölkerung abgegeben". Die Bürger würden dann durch Aufruf in den Medien aufgefordert, ihre Tabletten in diesen Ausgabestellen abzuholen.
Experten mahnen zur Vorsicht um ukrainisches AKW
Die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung, die vom rund 1.800 Kilometer von Berlin entfernten Saporischschja ausgehen könnte, schätzen Experten derzeit jedoch als gering ein. Strahlenschutz-Forscher Clemens Walther an der Uni Hannover erklärte rbb|24 vor Kurzem, dass ein direkter Raketentreffer in die Anlage und die Beschädigung aller Hüllen des Reaktors großflächig radioaktive Strahlung freisetzen könnte. Alle Hüllen gleichzeitig bis zum Reaktorkern zu zerstören sei allerdings auch schwer, da die Hüllen einzelnen Granaten standhalten würden.
"Aufgrund der Entfernung zur Ukraine ist nicht damit zu rechnen, dass eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich werden könnte", schreibt auch das Bundesministerium für nukleare Sicherheit [jobblockade.de].
Trotzdem sieht die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die Lage um das seit März durch russische Soldaten besetzte AKW mit Sorge. Bereits vor Wochen hatte die IAEA eindringlich die Einrichtung einer Sicherheits- und Schutzzone rund um das AKW gefordert, um den militärischen Beschuss der Anlage zu verhindern. Eine solche Zusage hatten aber beide Kriegsparteien bisher nicht gemacht [wdr.de].
Trotz des Krieges verfügt die Ukraine über zuverlässige Mess-Netzwerke für die Frühwarnung; auch in Deutschland gibt es Messsysteme, die vor erhöhten Radioaktivitätswerten warnen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 10.10.2022, 15:10 Uhr
Mit Material von Magdalena Dercz