Spargel- und Erdbeer-Erntehelfer - Saisonarbeitskräfte zahlen wegen hoher Mieten drauf
Ein Brandenburger Bauer verlangt von seinen Saisonarbeiter:innen hohe Mieten für einfache Barackenwohnungen. Eine neue Untersuchung von Oxfam zeigt: kein Einzelfall. Betriebe nutzen eine Regulierungslücke, um gestiegene Produktionskosten auf Saisonarbeiter abzuwälzen. Von Fabian Grieger und Ute Barthel
Im März dieses Jahres bricht Adrian* nach Deutschland auf, um als Saisonarbeiter auf dem Spargelhofbetrieb "Spreewaldbauer Ricken" zu arbeiten. Adrians Ziel: In kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen, um damit den Ausbau seines Hauses in Rumänien voranzutreiben. Zwei Monate später kehrt er enttäuscht zurück. Was Adrian im Gespräch mit rbb24 Recherche besonders wütend macht, ist der Zustand der Unterkunft, in der er zwei Monate geschlafen hat. Gemeinsam mit seiner Frau wohnte er in einem Zimmer mit Schimmel, aber ohne Tisch, Küche oder eigenes Bad. Toiletten und Duschen mussten sie sich mit anderen Saisonarbeiter:innen teilen. Und das Wasser sei kalt gewesen, berichtet Adrian. Der Preis für die Unterkunft: 12 Euro pro Tag, umgerechnet 360 Euro im Monat.
Magdalena Stawiana ist Beraterin bei der Fachstelle "Migration und Gute Arbeit Brandenburg". Sie und ihr Team haben sich Adrians Unterkunft angesehen. Ihr Fazit: "Das waren zum Teil aus meiner Sicht menschenunwürdige Bedingungen, verschimmelte Wände, sehr schmutzige Räume."
Der Spreewaldbauer Ricken kennt die Vorwürfe. Er erklärt gegenüber rbb24 Recherche, den Schimmelbefall habe es nur in einem Zimmer gegeben. Dieses werde nicht mehr vermietet und nun umgehend renoviert. Auch stünden ausreichend Sanitäranlagen – auch mit warmem Wasser - zur Verfügung.
Quadratmeterpreise weit über den regionalen Mieten
Ricken hält auch die Zimmergröße für angemessen: Jedem Arbeiter oder jeder Arbeiterin werde ein eigenes Zimmer mit mindestens 17m² angeboten, sagt er. Nur Familien lebten mit mehreren Personen in einem Raum. Magdalena Stawiana widerspricht seiner Darstellung: Die Zimmer seien kleiner gewesen und durchaus auch mit zwei oder mehr Arbeiter:innen belegt gewesen. 12 Euro pro Tag pro Person: Wenn man die Angaben des Betriebs zugrunde legt, ergibt sich so umgerechnet eine Miete von gut 20 Euro pro Quadratmeter - ohne Gemeinschaftsflächen. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Nettokaltmietpreis im nahe gelegenen Cottbus liegt bei 6,86€/m².
Unternehmer Ricken hält die Mieten für seine Betriebsunterkünfte allerdings für angemessen, da die Nebenkosten enthalten sind. Er weist dabei vor allem auf die Stromkosten hin, die einen großen Anteil ausmachen würden. Außerdem sei die Betriebsunterkunft nur ein Angebot: "Keiner muss die Pension nutzen."
Ein Argument, das Magdalena Stawiana nicht gelten lassen will. Bis zu 500 Saisonarbeitskräfte arbeiten in Spitzenzeiten auf dem Hof in Vetschau. "Wohin sollen die gehen? Da gibt es keine anderen Unterkunftsmöglichkeiten", widerspricht Stawiana dem Landwirt. Die Saisonarbeitskräfte seien auf die Unterkünfte angewiesen.
Adrian* sagt, er habe sich bereits in Rumänien gemeinsam mit dem Arbeitsangebot von Ricken für die Unterkunft entschieden; allerdings sei ihm ein deutlich besserer Standard versprochen worden.
Keine Kontrolle der Preise für Unterkünfte
Ob Mieten für Betriebsunterkünfte unangemessen sind, überprüft niemand. Arbeitsschutzbehörden kontrollieren die Mindestausstattung für Unterkünfte, doch für den Mietpreis gilt lediglich das allgemeine Mietrecht. Wenn Saisonarbeiter:innen ihre Mieten unangemessen finden, müssen sie nachweisen, dass sie weit über den örtlichen Vergleichsmieten liegt. Ein langer juristischer Weg – zu lang für die meisten Saisonarbeitskräfte, sagt die Juristin Susanne Uhl von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): "Wer nur drei Monate da ist, wird erfahrungsgemäß niemals einen ellenlangen Prozess gegen einen Vermieter anstrengen und schon gar nicht Zeit und Geld aufwenden, um Vergleichsgutachten machen zu lassen. Die wären dann nämlich nötig, um überhaupt klagen zu können."
Allerdings sind Saisonarbeiter:innen – auch wenn die Miethöhe nicht kontrolliert wird – über das Mietrecht geschützt. Wenn nämlich die ortübliche Vergleichsmiete um mehr als 50 Prozent übertroffen wird, dann stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um Mietwucher handelt.
Allerdings gibt es kaum rechtliche Möglichkeiten für die Saisonkräfte, dagegen vorzugehen. Somit stellen hohe Unterkunftsmieten für Betriebe eine Möglichkeit dar, ihre Lohnkosten auf sie abzuwälzen.
Seit Mindestlohneinführung stiegen die Mieten für Betriebsunterkünfte
Dass die Mieten für Betriebsunterkünfte für Saisonarbeiter:innen seit der Einführung des Mindestlohns gestiegen sind und Arbeitgeber auf diese Weise ihre gestiegenen Kosten senken, stellte bereits eine Studie aus dem Jahr 2022 im Auftrag der Mindestlohnkommission fest. Die Mindestlohnkommission ist vom Bundesarbeitsministerium eingesetzt, um regelmäßig die Höhe des Mindestlohns und eine eventuelle Anpassung zu prüfen.
Die Nichtregierungsorganisation Oxfam beklagt in einer aktuellen Untersuchung, an der auch Magdalena Stawiawas Team teilgenommen hat, weitere Methoden, mit denen Landwirte versuchen, auf Kosten der Saisonarbeiter:innen profitabel zu arbeiten. Insgesamt hat Oxfam mit seinen Partnern 66 Saisonarbeitskräfte in bundesweit vier Landwirtschaftsbetrieben befragt. Dabei haben die Saisonarbeitskräfte von mangelndem Krankenversicherungsschutz sowie Strafen, wenn die Leistungsvorgaben nicht erfüllt wurden, berichtet. Bei allen vier Betrieben kritisiert Oxfam überhöhte Mieten für Barackenwohnungen. Die Autoren der Untersuchung fordern deshalb einen gesetzlichen Preisdeckel für Betriebsunterkünfte. Das Bundesarbeitsministerium sieht aber noch keinen akuten Handlungsbedarf. Eine Sprecherin des Ministerium antwortet auf die Anfrage von rbb24 Recherche:
"Die Bundesregierung wird weiter beobachten, inwieweit die von Ihnen geschilderten Verwerfungen im Bereich der Vermietung von Unterkünften an Saisonbeschäftigte über Einzelfälle hinausgehen und ggf. eine Verschärfung der gesetzlichen Regelungen erforderlich machen."
Preisdruck der Supermärkte wird weitergegeben
Alle von Oxfam untersuchten Betriebe liefern ihre Produkte an eine oder mehrere der vier großen deutschen Supermarktketten: Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarzgruppe (Lidl und Kaufland). Tim Zahn, Referent für Lieferketten und Menschenrechte bei Oxfam, hat für die Untersuchung mit Betriebsleitern gesprochen, die mit den Supermärkten verhandeln. Sein Fazit: "Die Marktmacht in dieser Lieferkette liegt bei den Supermärkten, denn sie teilen sich nahezu den gesamten Markt auf. Die Betriebe müssen diese Preise häufig einfach akzeptieren und geben diesen Preisdruck dann an die Arbeiter:innen weiter, die auf ihren Feldern arbeiten."
Die Hauptverantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen liegt somit laut Zahn bei den Supermärkten. In diesem Jahr habe der Preisdruck für die Betriebe noch einmal zugenommen. Auch der Spreewaldbauer Ricken berichtet von gestiegenen Kosten bei gleichzeitig gleichbleibenden oder niedrigeren Verkaufspreisen an die Abnehmer.
Edeka weist den Vorwurf, in den Verhandlungen die Preise zu drücken, zurück: Stattdessen fänden "im Obst- und Gemüsebereich vor allem während der Saison wöchentliche Termine statt, um gemeinsam mit unseren Partnern das beste Preis-Leistungsverhältnis festzulegen".
Oxfam jedoch fordert klare Maßnahmen gegen Preisdumping, statt auf den guten Willen der Supermärkte zu setzen: Die Einrichtung einer Preisbeobachtungsstelle, die faire Richtwerte für Mindesterzeugerpreise ermittelt. Das würde auch den Saisonkräften zu niedrigeren Mieten und faireren Löhnen verhelfen.
Die Zusammenarbeit mit Ricken hat Edeka unterdessen beendet. Bis zur Konfrontation durch Oxfam war auf der Webseite von Edeka Nordbayern sogar mit einem Portrait des Hofes von Ricken geworben worden. Unter dem Titel "Im Einklang mit Mensch und Natur" stand dort: "Die Unterkünfte für die Saisonarbeiter haben Hotelcharakter, alles ist entweder frisch renoviert oder in einem ausgezeichneten Zustand."
Mittlerweile hat das Unternehmen den Text von der Webseite genommen und erklärt gegenüber rbb24 Recherche: "Mit dem Hof Ricken gab es in der Vergangenheit nur eine begrenzte Zusammenarbeit auf regionaler Ebene, diese besteht schon seit längerer Zeit nicht mehr." Daher könne man die von Oxfam erhobenen Vorwürfen nicht weiter kommentieren.
*Name geändert
Sendung: rbb24, 22.05.2023, 13:00 Uhr