Performancekritik | "Innocence" - Dicke Dinger

Do 12.09.24 | 08:38 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Göksu Kunak bei ihrer Performance "Innocence".(Quelle:Ege Dandin)
Ege Dandin
Audio: rbb24 Inforadio | 12.09.24 | Barbara Behrendt | Bild: Ege Dandin

In "Innocence" in den Berliner Sophiensälen stellt die türkische Performerin Göksu Kunak den schwarzen Mercedes nicht nur als Statussymbol der Türken dar, sondern auch als Symbol für einen folgenschweren Verkehrsunfall. Ein "instagramable" Abend mit viel Wumms. Von Barbara Behrendt

Auf einer großen Leinwand schlagen rote Flammen um sich wie nach einer Explosion. Daneben liegt eine Stoßstange, eine Autotür. Doch die sanfte Entspannungsmusik lässt das alles wie einen Traum erscheinen. Als schwebten unsere Körper über dem Geschehen in einem Nahtoderlebnis.

Die Performerin Göksu Kunak tritt in einem hautengen schwarzen Lederkleid auf die Bühne der Sophiensäle, lächelt gekünstelt und hält ihr Referat wie eine Nachrichtensprecherin. Um die Erotik von Autounfällen geht es. Um Prinzessin Dianas Tod. Um den Susurluk-Crash von 1996: "Der Susurluk-Skandal", erklärt sie auf Englisch, "war ein politischer Skandal der Türkei, der eine enge Verbindung offenlegte zwischen der türkischen Regierung, der ultrarechten paramilitärischen Organisation Graue Wölfe und der türkischen Mafia."

Recherchen legten einen "Staat im Staat" offen

Bei diesem Verkehrsunfall starben der stellvertretende Polizeipräsident, ein international gesuchter Drogenhändler und Auftragsmörder und seine Geliebte, eine ehemalige Schönheitskönigin, im selben Auto. Ein Parlamentsabgeordneter flüchtete. Die Recherchen im Anschluss konnten einen "Staat im Staat" offenlegen, der mithilfe der "Grauen Wölfe" und womöglich auch der Hisbollah Kurden und Armenier attackierte.

Nach Kunaks Referat kommen die Körper ins Spiel. Zu harten Beats proben die sechs Performer:innen Gewalt und Erotik. Einer kniet mit Händen auf dem Rücken. Einer würgt sich selbst. Eine feuert ein unsichtbares Maschinengewehr. Hinter ihnen flimmern Archivbilder von aufmarschierenden Sportlern und gedrillten Massen. Vielschichtiger wird die Performance, als Leo Luchini wie ein einsamer Rockstar Nirvana spielt und die Pole-Tänzerin Bilgesu Akyürek mit knallroten Plateauschuhen an der Pole-Stange durch die Luft schwebt. Gleichzeitig wird eine leblose Göksu Kunak mit einer Plastikplane bedeckt an einem Haken in die Luft gezogen, als habe man gerade ihre Leiche geborgen.

Posen, Klischees, Fetische

Die Assoziationen sind, wie immer bei der türkischen Performerin, Kunsthistorikerin und -kritikerin Göksu Kunak, vieldeutig. Um überzogene Posen von Männlichkeit und Femininität geht es, um die Repressionen in der Türkei, um unterdrückte Minderheiten – und: um Türken und ihr Auto-Fetisch. Fürs explosive Finale geht es deshalb in den Hof. Und da steht er endlich: der dicke, schwarze Mercedes. Leo Luchini darf wieder den Rockstar geben, diesmal auf dem Autodach, Göksu Kunak wird nackt an die Heckscheibe gebunden und überm Haus schwingt Bilgesu Akyürek in Unterwäsche atemberaubend an der Stange. Klar, dass da das hippe, junge, internationale Publikum beinahe geschlossen das Handy zückt. Fotografieren, Filmen und Posten ist hier eindeutig erwünscht.

Schwester im Geiste: Florentina Holzinger

Man könnte Kunak als intellektuelle, politische Schwester der Shootingstar-Performerin Florentina Holzinger bezeichnen. Wie viel heiße Luft in den assoziativen Szenen steckt, ist nicht immer klar zu sagen – aber die Bilder, die hier in ihren Klischees zitiert und reproduziert werden, die knallen allemal.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.09.2024, 7:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

1 Kommentar

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  1. 1.

    Liebe Frau Behrendt,
    es mag vielleicht kleinlich erscheinen, sie sprechen aber vom "dicken, schwarzen Mercedes", der da endlich steht. Nur: das ist kein Mercedes, sondern ein Jaguar!
    Da müssen Sie noch etwas genauer recherchieren!
    Viele Grüße

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