"Königreich Deutschland" plant neuen Standort - Kampf um Lychen
Das "Königreich Deutschland" will offenbar einen neuen Standort in der Uckermark aufbauen. In dem Fall könnten nach Kontraste-Recherchen Dutzende "Reichsbürger" nach Lychen ziehen. Gleichzeitig tritt die Organisation immer offener antisemitisch auf. Von Silvio Duwe und Kaveh Kooroshy
Der beschauliche Ort Lychen, nördlich von Berlin, kommt nicht zur Ruhe. Denn im Ortsteil Rutenberg droht der Kauf von teilweise bebautem Land durch das "Königreich Deutschland", einer Organisation, die vom Verfassungsschutz der "Reichsbürger"-Szene zugeordnet wird. Es geht offenbar um 44 Hektar Land und zusätzliche Immobilien – das ergeben gemeinsame Recherchen von rbb24 Brandenburg aktuell und dem ARD-Politikmagazin Kontraste.
Der Verfassungsschutz Brandenburg warnte am vergangenen Samstag die Einwohner auf einer Veranstaltung in Rutenberg vor der drohenden Besiedlung durch Anhänger des "Königreich Deutschland". Gegenüber Kontraste sagte der Leiter des Verfassungsschutzes Brandenburg, Jörg Müller, das Ziel des "Königreich Deutschland" sei, "unsere Demokratie abzuschaffen und ein eigenes Königreich, einen rechtsfreien Raum zu schaffen."
Der Unternehmer Ralf Deistler aus Lychen möchte das verhindern und versucht, möglichst viele Menschen gegen das Vorhaben zu mobilisieren. Er geht von Briefkasten zu Briefkasten und verteilt seine Flyer. Deistler verweist darauf, dass Rutenberg gegenwärtig 180 Einwohner habe: "Wenn die dann hier mal plötzlich mit 30, 40, 50 Leuten da sind, dann können die im Prinzip hier die komplette Dorfgemeinschaft kippen."
Offen antisemitisch
Das "Königreich Deutschland" tritt nach Kontraste-Recherchen nun noch offener antisemitisch auf. So veröffentlichte es auf seiner Webseite ein Video seines Gründers und Anführers Peter Fitzek, in dem dieser behauptet: "Die Eliten wollen den Krieg, zur Etablierung und Aufrechterhaltung von Angst in der Masse der Bevölkerung. Denn von dieser Angst, davon profitieren sie wiederum." Es gehe darum, so Fitzek, "den Menschen so viel Angst zu machen, dass sie die neue Weltordnung der Satanisten einfach annehmen". Hinter den Machenschaften stehe die "Chabad", die "eine messianisch-jüdische Endzeitsekte" sei.
Demnach steuere diese kleine Gruppe von Juden die ganze Welt, erklärt Peter Fitzek: "Es gibt nur einige kleine, elitäre Familienclans, die das amerikanische Volk steuern und ausbeuten, genau wie die gleichen Familienclans das deutsche Volk ausbeuten und steuern, genauso wie das russische Volk oder genau wie das ukrainische Volk."
Bislang hatte das "Königreich Deutschland" zwar Bezüge zu antisemitischen und rassistischen Gruppen wie der Anastasia-Bewegung oder verwies auf Literatur, die ihrerseits antisemitisch war. Doch so offen und ungeschminkt hatte Peter Fitzek solche Aussagen bislang nicht propagiert.
Verbindungen zur Lychener Anastasia-Bewegung
In Lychen will sich das "Königreich Deutschland" offenbar bereits bestehende Strukturen zunutze machen. Denn die 44 Hektar Land, um die es geht, gehören einer Genossenschaft, deren Vorstand bis 2020 der Anastasia-Bewegung zuzurechnen ist. Die Anastasia-Bewegung ist eine aus Russland stammende Siedlungsbewegung, die auch in Deutschland Anhänger gefunden hat. Die Bewegung propagiert ein Leben als Selbstversorger auf so genannten Familienlandsitzen - und lehnt die Demokratie ab. Auch Rassismus und Antisemitismus sind fester Bestandteil der Lehren Anastasias.
Auf einem vom "Königreich Deutschland" betriebenen Portal tauchte ein Video auf, in dem das "Königreich Deutschland" Pläne für die Bewirtschaftung der 44 Hektar Land vorstellte. Ob sich die Genossenschaft aber wirklich dem "Königreich Deutschland" anschließen werde, wollte weder das "Königreich Deutschland" noch die Anastasia-Bewegung auf Anfrage von Kontraste erklären. Das Video ist zudem inzwischen gelöscht.
Fehler auf Seiten der Behörde?
Bei Behörden und Anwohnern sind die Sorgen dennoch groß. Sie wollen jetzt den Reichsbürgern das Leben möglichst schwer machen, sagt Ralf Deistler. Wenn man sich andere Beispiele und andere Entwicklungen nicht nur in Brandenburg, sondern bundesweit anschaue, merke man, "dass die sich immer da niederlassen, wo es für sie bequem ist. Man kann es ihnen aber auch unbequem machen."
Den Anastasia-Anhängern wurde es zumindest in Lychen von einer Behörde zuweilen auch leicht gemacht. So liegt Kontraste ein zweifelhaftes Attest vor, mit dem ein in Lychen ansässiger Anastasia-Anhänger sein Kind von der Schulpflicht befreien ließ. Das Attest wurde demnach für das ganze Jahr 2022 ausgestellt – von einer angeblich promovierten deutschen Psychologin, die laut Briefkopf in England arbeitet. Wissenschaftliche Arbeiten oder gar die Dissertation der Frau waren in einschlägigen Fachliteraturdatenbanken jedoch nicht auffindbar. Auf Kontraste-Anfrage wollte sie auch nicht mitteilen, wann und an welcher Universität sie ihre Qualifikation erworben habe.
Die zuständige Schulbehörde akzeptierte ihr Attest, obwohl sie darin konstatiert, das Kind und die Familie nur per Videotelefonat untersucht zu haben. Auch die Begründung wirkt seltsam: Das Kind hätte aktuell keine psychischen Störungen, weil es nicht zur Schule ginge. Nach Kontraste-Recherchen gehen die Kinder in der Familie seit mindestens 2018 nicht mehr zur Schule. Auf eine entsprechende Anfrage von Kontraste antworteten bislang weder die zuständige Schulaufsichtsbehörde in Frankfurt (Oder) noch das brandenburgische Bildungsministerium.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 26.01.2023, 19:30 Uhr, ARD-Kontraste, 21:45 Uhr