Bittbrief von Kiews Bürgermeister Klitschko - Wegner verspricht Hilfen für verletzte ukrainische Soldaten
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hatte Berlin um mehr Hilfe für kriegsverletzte Soldaten gebeten. Anders als in anderen Bundesländern war unklar, wer die Behandlung bezahlt. Der Regierende Bürgermeister Wegner hat nun Unterstützung versprochen. Von Angela Ulrich
Christian Willy sitzt vor einem Computermonitor und blickt auf Röntgenaufnahmen eines zersplitterten Schienbeins. Solche Verletzungen sieht der Oberstarzt im Berliner Bundeswehrkrankenhaus seit Kriegsbeginn in der Ukraine immer wieder. "In der Regel waren es schwere infizierte Defektwunden im Bereich der Extremitäten", erklärt Willy und zeigt auf den Bildschirm.
Zerschossene Kniegelenke zählten dazu oder Knochen und Weichteile, die nach Explosionen im Kriegsgebiet weggesprengt waren, beschreibt der Leiter der Unfallchirurgie. Wie zum Beispiel bei einem ukrainischen Soldaten, dem der halbe Unterschenkel fehlt, und den Oberstarzt Willy nun aufwändig im Bundeswehrkrankenhaus behandelt. "Teilweise waren Patienten über ein Jahr da", sagt er. "Weil diese klinischen Verläufe auch dadurch gekennzeichnet sind, dass man nicht nur einmal operieren muss, sondern manchmal fünf, zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Mal."
Aufwändige Behandlung - mit ungeklärter Finanzierung
Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld. Bei den ukrainischen Soldaten, die bislang in Berlin behandelt wurden, war zuletzt in mehreren Fällen unklar, wer das bezahlen soll. Janine von Wolfersdorff, die die private Hilfsorganisation "MediCare Hubs Kyiv" gegründet hat, kennt das Problem: "Stellen Sie sich vor, die Evakuierung gelingt, und dann liegt der Soldat in Berlin im Krankenhaus", erzählt die 47-Jährige.
"Dann kommt ein Mitarbeiter des Sozialamtes oder des Jobcenters, und fragt diesen Soldaten, wieviel Einkommen er hat, ob seine Ehefrau Einkommen hat, ob ein Heilsversorgeanspruch der ukrainischen Armee besteht", erklärt von Woltersdorff. "Das heißt, es wird komplett die Bürgergeld-Prüfung durchgeführt, und das führt in einigen Bundesländern dazu, dass die Finanzierung versagt wird."
Der Bund mahnt unbürokratische Hilfe für ukrainische Soldaten an
In Berlin sei das mehrfach passiert, sagt von Wolfersdorff. Dabei gibt es eigentlich klare Vorgaben des Bundes. Kriegsverletzten ukrainischen Soldaten soll möglichst unkompliziert geholfen werden, heißt es in einem Papier des Bundesgesundheitsministeriums. Wörtlich ist da zu lesen: "Der Bund hat die beteiligten Leistungsträger darum gebeten, ihre Antrags- und Bewilligungsverfahren möglichst niedrigschwellig und unbürokratisch zu gestalten." In fast allen Bundesländern läuft das recht problemlos, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Aber in Berlin hat es zuletzt immer wieder gehakt, wenn es um verletzte ukrainische Soldaten ging – und zwar, seit das System umgestellt wurde, sagt Janine von Wolfersdorff. Nach der Krim-Annexion durch Russland im Jahr 2014 habe es einen Sondertopf für ukrainische Soldaten gegeben.
Damals hatte die Bundeswehr Soldaten ausgeflogen, ihre Behandlung wurde bezahlt. Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine im vergangenen Jahr greift dagegen eine neue Regelung: Ukrainische Geflüchtete, die sich registrieren lassen, werden Gesundheitsleistungen über das SGB II gewährt - also über das Sozialgesetzbuch, in dem unter anderem auch Bürgergeld und Grundsicherung geregelt sind. Allerdings passt das eben nicht immer für ukrainische Soldaten, da sie beispielsweise weiterhin in der Ukraine Wehrsold beziehen. Dieser Sold reiche allerdings nicht aus, um teure deutsche Krankenhausaufenthalte zu bezahlen, sagt von Wolfersdorff.
Hilferuf von Kiews Bürgermeister Klitschko
Deshalb hat Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko vor einer Woche einen Hilferuf an seinen Amtskollegen in Berlin, den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), geschickt. In diesem Brief bittet Klitschko Berlin um Unterstützung, auch weil die Hauptstadt so viel Expertise in der Unfallchirurgie hat.
"Besonders bewusst ist uns hierbei, dass diese Unterstützung des Bundeswehrkrankenhauses Berlin ja schon seit 2014 besteht, und bereits mehr als 60 unserer Soldaten medizinisch behandelt und versorgt wurden", schreibt Klitschko. Und weiter: "Derzeit ist es für uns allerdings nicht immer sicher, dass Deutschland die Behandlungskosten für die Versorgung unserer Soldaten übernimmt (…) Während verletzte Soldaten in anderen Bundesländern über die sogenannte 'Kleeblattstruktur' komplett versorgt werden können, müssen nach unseren Erfahrungen leider gerade in Berlin private Initiativen die Organisation und Finanzierung dringlicher medizinischer Versorgung übernehmen". Im weiteren Kriegsverlauf rechnet Kiews Bürgermeister mit deutlich mehr kriegsverletzten Soldaten - das Problem werde also drängender.
Klitschko-Brief sorgt für Nachfragen
Der Klitschko-Brief hat nun einigen Wirbel im neuen Berliner Senat verursacht. Vor einer Woche hatte der Regierende Bürgermeister angekündigt, die Sache prüfen zu wollen: "Wenn das in anderen Ländern, in anderen Städten besser läuft, muss das auch in Berlin besser laufen", erklärte Kai Wegner in der rbb24 Abendschau.
Nun folgt eine klare Ansage: Auch in Berlin sei die Finanzierung künftig kein Problem mehr, teilt die Senatskanzlei auf rbb-Anfrage mit: "Soldatinnen und Soldaten werden in Berliner Krankenhäusern versorgt und müssen dafür die Kosten nicht tragen. Diese werden durch die Sozialämter getragen. Warum dies in Einzelfällen nicht geschah, wird durch die zuständige Fachaufsicht geprüft."
Außerdem wolle sich Kai Wegner mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kurzschließen: "Weitere Formen der Unterstützung und medizinischen Versorgung wird der Regierende Bürgermeister mit dem Bundesminister der Verteidigung in Kürze beraten."
Wie diese "weiteren Formen" aussehen, ist noch nicht klar. Ein neuerlicher Sondertopf im Bundesverteidigungsministerium für ukrainische Soldaten könnte im Gespräch sein. Berlin dringt außerdem darauf, dass Bezirksämter bei der Bewilligung von Soldaten-Behandlungen unbürokratischer vorgehen.
Für Bundeswehr-Oberstarzt Willy und Janine von Wolfersdorff von "MediCare Hubs Kyiv" wäre all das eine Riesenerleichterung. Zuletzt hat von Wolfersdorff eine Prothese für einen ukrainischen Soldaten sogar privat bezahlt. Sie zückt ihr Handy, zeigt ein Foto des Soldaten und lächelt: "Das ist unser Soldat. Er ist wieder zurück, er kann laufen, und er wird kämpfen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.05.2023, 19:30 Uhr