Christopher Street Day - Berliner CSD zwischen Kommerz und Protest
Beim Berliner CSD dabei zu sein wird immer teurer. Vereinsmitglieder beklagen, dass sie nicht erfahren, was mit den Einnahmen aus dem queeren Großereignis des Jahres passiert. Von Tina Friedrich
"Wir sind hier nicht zum Spaß!", steht auf dem pinken Banner, das die tanzenden, glitzernden Menschen quer durch Berlin vor sich hertragen. Es ist auch ein Appell. Der Vorstand des Vereins Berliner CSD e.V., bestehend aus Patrick Ehrhardt, Ulli Pridat, Seyran Ateş und Stella Spoon, bemüht sich im Juli dieses Jahres, den politischen Charakter der Demonstration nicht vergessen zu lassen. Denn der Christopher Street Day (CSD) wird zwar seit vielen Jahren von der queeren Community als Tag des Protests gegen Diskriminierung gefeiert. Aber er ist auch schon lange eine große und lukrative Party.
Tätigkeitsberichte und Bilanzen des Berliner CSD e.V., die rbb24 Recherche vorliegen, zeigen: Im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019 haben sich die Einnahmen aus der Veranstaltung im Jahr 2022 mindestens verdoppelt. Und in 2023 lagen die Einnahmen bei rund 1,1 Millionen Euro. Ein Interview zu seiner Geschäftstätigkeit lehnt der CSD-Vorstand ab, Fragen beantwortet dessen Medienanwalt schriftlich. Er teilt mit, die Kosten für die Durchführung der Demo seien in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen. Insbesondere beim Sicherheitspersonal, bei Sanitär- und Materialkosten sowie Honoraren. Außerdem würden Dienstleister inzwischen Rechnungen stellen für Leistungen, die zuvor gesponsert waren.
Teilnahme wird teurer
Doch auch für die Teilnehmenden ist der CSD eine teure Veranstaltung geworden. Gerade kleine und gemeinnützige Vereine und Unternehmen beklagen hohe Kosten für die bunten Trucks. "Wir bekommen keine Fördergelder, und haben nicht die finanziellen Ressourcen für einen großen Truck", sagt Pavlo Stroblja von Queermentor, einer Trainings-Plattform für junge LGBTIQ*. Ohne Truck seien politischen Botschaften aber weniger sichtbar.
Er wendet sich deshalb mit einem offenen Brief an alle CSD-Veranstalter:innen in Deutschland. Aus "Sorge über die Tendenz der zunehmenden Kommerzialisierung der CSDs in Deutschland" und als Maßnahmen gegen Pinkwashing fordert er darin die Vereine auf, Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen, und beispielsweise Patenschaften für gemeinnützige Akteure verpflichtend zu machen. Kommerzialisierung und Pinkwashing seien ein "großes Risiko für die gesellschaftliche Wahrnehmung von CSDs", und "kontraproduktiv" für die Zukunft queerer Menschen.
Queermentor fuhr in diesem Jahr auf dem Truck des Unternehmens Clark mit. Die Berliner Aidshilfe teilte sich den Truck mit der Sparkasse, die Stiftung "Prout at Work" tat sich mit der Commerzbank zusammen. Der CSD-Vorstand kann die Klage nicht nachvollziehen: Politische Botschaften könnten auch ohne Truck, beispielsweise mit einer Fußgruppe, präsentiert werden, teilt er mit.
Teilnahmegebühren als Mischkalkulation
Wer motorisiert am Berliner CSD teilnehmen möchte, muss dafür eine Fahrzeugumlage bezahlen. Sie dient zur Deckung der Allgemeinkosten der Demo und fließt an den Verein. Ein Unternehmen ohne firmeninternes queeres Netzwerk muss für einen Truck 10.000 Euro zahlen. Das sind die höchsten Gebühren im deutschlandweiten Vergleich (Köln: 4.200 Euro, Stuttgart: 240 Euro).
Lediglich zwei Unternehmen haben aber nach Vereinsangaben diese Summe 2023 in Berlin auch tatsächlich bezahlt. Unternehmen mit einem queeren Netzwerk zahlen in Berlin für einen Truck 4.000 Euro, wer mit einem PKW teilnimmt, zahlt deutlich weniger. Aus den Tätigkeitsberichten geht hervor, dass der Berliner CSD über die Fahrzeugumlage im vergangenen Jahr etwa 165.000 Euro eingenommen hat, 2023 rund 250.000 Euro. Für den Vorstand sind diese Einnahmen "wesentlicher Einnahmebestandteil für die Existenz des Vereins", deren Verwendung auf einer “Mischkalkulation" basiere.
Agenturen für Demotrucks
Eine Aufstellung der teilnehmenden Fahrzeuge seit 1999 zeigt, dass die Zahl der Trucks im Vergleich zu kleineren Fahrzeugen seit 2015 stetig ansteigt, und kurz vor den Corona-Jahren einen großen Sprung nach oben machte. Mit einem PKW fährt heute kaum noch jemand mit.
Profiteure dieser Entwicklung sind unter anderem Agenturen, die CSD-Trucks anbieten. Eine davon, die Blucom, gehört Ulli Pridat. Er ist seit 2021 eines von fünf Vorstandsmitgliedern des Berliner CSD e.V. Der CSD-Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Den Mitgliedern war seine Tätigkeit für die Agentur bekannt, bevor Ulli Pridat zum Vorstand gewählt wurde. Und im CSD-Verein sind auch weitere Agenturbetreiber engagiert, deren Geschäft ebenfalls gut läuft.
Offener Brief von “queer.de”
Kurz vor dem CSD 2023 gab es erstmals Kritik daran, dass ein Mitglied des Vorstands hauptberuflich auch Tätigkeiten nachgeht, die indirekt mit dem CSD selbst zusammenhängen. Gegen die Berichterstattung ging der CSD-Vorstand juristisch vor und erwirkte einstweilige Verfügungen.
Jeja Klein, Redaktionsmitglied von "queer.de", veröffentlichte seine Recherchen für die Plattform im Juni 2023. Seither sieht sich das LGBTIQ*-Medium mit einer "umfassenden juristischen Drohkulisse" konfrontiert, wie es am 12. September in einem offenen Brief an die Mitglieder des Berliner CSD-Vereins schreibt. Klein sagt dazu: "Für mich steckt da eine Einschüchterung gegenüber der Presse drin, die ich angesichts des offenen Konflikts im Verein doch sehr unverhältnismäßig finde. Als Journalist*in werde ich hellhörig, wenn jemand, bildlich gesprochen, die juristische Brigade losschickt bei einer Sache, wo man in der Öffentlichkeit auch einfach mit einem blauen Auge davonkommen kann."
Der Anwalt des Vorstands widerspricht dem Eindruck eines massiven juristischen Vorgehens gegen die Presse – "queer.de" habe vor Gericht verloren und die Vorwürfe basierten auf "unwahren Angaben". Man habe außerdem immer wieder Einigungsbereitschaft signalisiert, was aber von "queer.de" abgelehnt worden sei. Auch gegen den offenen Brief ist der Anwalt des CSD-Vorstands inzwischen vorgegangen.
Blu-Firmengruppe profitiert vom CSD
Welche Verbindungen gibt es aber nun zwischen dem Unternehmen eines Vorstandsmitglieds und der Vereinstätigkeit? Nach eigenen Angaben schließt der Berliner CSD seit zehn Jahren Fahrzeugverträge mit der Blucom und habe von der Kundenvermittlung in der Vergangenheit "gerne profitiert". Ulli Pridat trat 2021 in den Berliner CSD ein und wurde im selben Jahr zum Vorstand gewählt. Vereinsseitig sei er mit dem Anmeldeverfahren für die Trucks nicht befasst, betont der Verein.
Trucks für CSDs in ganz Deutschland auszustatten, ist das Kerngeschäft der Agentur. In Berlin hat die Blucom 21 von 77 Trucks angemeldet, nach Angaben mehrerer Unternehmen zu Paketpreisen zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Die Blu-Firmengruppe, zu der die Blucom gehört, ist ein großer Player in der queeren Szene, der CSD ein wichtiges Geschäftsfeld. So gibt beispielsweise Ikea Deutschland gegenüber rbb24 Recherche an, ihren Truck bei der Blucom gebucht zu haben, und darüber hinaus im Mai und Juli auch Anzeigen in den Magazinen der Blu-Mediengruppe geschaltet zu haben.
225.000 Euro Überschuss 2022
Die Kommerzialisierung lohnt sich offenbar auch für den CSD-Verein, wie die Tätigkeitsberichte der vergangenen Jahre zeigen. Sponsoring ist die Haupteinnahmequelle des Vereins, "Merchandise" inzwischen ein eigener Posten im Jahresbericht, seit kurzem gibt es auch einen eigenen Webshop für Produkte mit dem CSD-Logo und seinen Botschaften. All das ergab – trotz sehr hoher Kosten für die Veranstaltung selbst – ein Plus von rund 225.000 Euro am Jahresende 2022. Die bisher prognostizierten Überschüsse 2023 belaufen sich dem Tätigkeitsbericht nach auf 145.000 Euro.
Vorwurf der Intransparenz
Der Berliner CSD ist seit 2014 nicht mehr gemeinnützig, muss also nicht nachweisen, wo das Geld hinfließt. Reinhard Thole ist seit zehn Jahren Mitglied des Berliner CSD-Vereins und war am Anfang seiner Mitgliedschaft auch in dessen Vorstandsteam. "Gerade für einen Verein, der sich für Antidiskriminierung einsetzt, ist es sehr wichtig, bei allen eigenen Themen ganz offen und transparent zu sein", sagt Thole. "Und das sieht man nicht. Mich als Mitglied erschüttert das immer wieder." Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern schickte er deshalb einen Fragenkatalog an den Vorstand. "Bis heute haben wir keine Antwort bekommen", so Thole.
Der Vorstand sagt auf Nachfrage, dass Angebote gemacht worden seien, die Fragen zu beantworten, die Kritiker das Gesprächsformat dafür aber abgelehnt haben. Die Verwendung der Überschüsse sei bereits im Rahmen der letzten Mitgliederversammlung durch den Vorstand proaktiv angesprochen und ohne Widerspruch erläutert worden. Die weiteren Fragen würden auf der Mitgliederversammlung am 19. September beantwortet. Dort werde "auch zur Diskussion gestellt werden, was notwendige Ausgaben sind und wie diese erwirtschaftet werden".
Die Überschüsse aus dem Jahr 2022 sollten "vor allem als Sicherheit zur frühzeitigen Planung und Durchführung von Demonstrationen, Abschlusskundgebungen als neuer Schutz- und Sicherheitsraum der LGBT+-Community Verwendung finden". Zudem habe man 2023 erstmals Honorarkräfte, Künstler:innen und Aktivist:innen fair bezahlen können. Ob das Geld wirklich für diese Zwecke verwendet wurde und der Community zugutekommt, bezweifeln die kritischen Mitglieder und fordern bei der Mitgliederversammlung erneut Antworten.
Ehrenamt und Geschäftstätigkeit trennen
Aus ihrer Sicht ließe sich die Debatte beenden: mit der Gründung einer eigenen GmbH, die sich um Sponsoring und Wirtschaftlichkeit der Veranstaltungen kümmert, damit der ehrenamtliche Vorstand rein politisch arbeiten kann. So geschah es in Köln, Hamburg oder München. Ein Antrag mit dieser Forderung für die Mitgliederversammlung liegt rbb24 Recherche vor. Der Vorstand gibt zu bedenken, dass eine solche Gründung auch bisher schon möglich gewesen wäre, bisherige Vorstände hätten das aber auch nicht gemacht.
Der nächste CSD wird am 27. Juli 2024 durch Berlin ziehen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.09.23, 19:30 uhr