Wiederaufbau syrischer Kulturstätten - Die Berlin-Aleppo-Connection
Auf den Sturz des syrischen Machthabers Assad hat sich das Syrian Heritage Archive Project schon seit 2013 vorbereitet. Die digitale Datenbank hilft mit Fotos von Berlin aus beim Wiederaufbau in Syrien. Von Nathalie Daiber und Marie Kaiser
Das Bild ist etwas unscharf und verwackelt, aber die Verbindung zwischen Berlin und Aleppo steht. Per Videoschalte sprechen die Leiterin des Syrian Heritage Archive Projekts, Anne Mollenhauer, und der syrische Archäologe, Alaaeddin Haddad, mit ihrer Kollegin in Aleppo. Die Architektin, Sozdar Abdo, macht gerade ihren täglichen Kontrollgang durch das "Bayt Wakīl". Im 17. Jahrhundert war das "Bayt Wakīl" ein repräsentatives Wohnhaus. Zuletzt wurde es als Hotel und Restaurant genutzt.
"Wie ist die Lage bei euch? Ist alles ruhig?", fragt Anne Mollenhauer ihre Kollegin in Aleppo. Sozdar Abdo nickt. "So langsam kehren die Menschen hier zum Alltagsleben zurück", erzählt sie und zeigt in einem Schwenk mit ihrer Handykamera, in welchem Zustand sich das "Bayt Wakīl" befindet. Die Fassade ist löchrig. Fenster sind herausgebrochen. Heruntergefallene Steine liegen schon ordentlich sortiert auf dem Boden. Es sind Zerstörungen des Bürgerkrieges, aber auch des schweren Erdbebens 2023.
Mit Fotos aus Berlin wird in Aleppo wieder aufgebaut
Wie prächtig das "Bayt Wakīl" einmal ausgesehen hat, ist ganz genau dokumentiert. Auf zahlreichen Fotos, die alle in der digitalen Datenbank des Syrian Heritage Archivs gespeichert sind. Zu sehen ist ein elegantes Wohnhaus aus hellgrauem Kalkstein mit Rundbogenfenstern, die mit filigranen Ornamenten verziert sind. Seit 2013 haben das Archäologische Institut und das Museum für Islamische Kunst etwa 200.000 Dokumente syrischer Kulturgüter gesammelt und sie auf einer digitalen Karte im Internet zur Verfügung gestellt.
Nicht jammern, sondern sich auf den Tag Null vorbereiten
"Wir wollten nicht untätig zusehen", erklärt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst. "Als 2012 der Basar von Aleppo brannte und das Minarett der Omajjaden-Moschee einstürzte, war das so ein schmerzhafter Verlust. Es war klar, dass wir nicht nur Jammern können, sondern irgendetwas tun müssen."
Die Idee zu einem digitalen Archiv für syrische Kulturschätze entstand gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt. "Wir haben angefangen, ganz viele Daten zu sammeln und die Gebäude zu dokumentieren, um am Tag Null einen denkmalpflegerisch gerechten Aufbau unterstützen zu können. Außerdem war es uns wichtig, dass wir die Menschen einstellen konnten, die aus Syrien geflohen waren und die hier ihre Expertise mit einbringen konnten."
Dieser Stein gehört hierhin und dieser dorthin
Nach dem Sturz Assads in Syrien ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die langjährige Dokumentationsarbeit auszahlen könnte. Mithilfe der Fotos können Steinmetze nun das "Bayt Wakīl" originalgetreu rekonstruieren. Das Haus gehört heute der griechisch-orthodoxen Kirche, die immer unabhängig von dem alten Regime war. Deswegen konnten die ersten Arbeiten am Haus auch schon beginnen.
Dabei geht es manchmal um winzige Details, erläutert Anne Mollenhauer. "Bei einem zerstörten Fenster hatten wird die einzelnen Steine, die zum Teil wiederum zerbrochen waren, und konnten anhand gut aufgelöster Bilder dann dabei helfen, alles zu sortieren und zu sagen, dieser Stein gehört hierhin und dieser dorthin. Wir haben intensiv zusammengearbeitet und konnten so einen Plan entwickeln, wie das Fenster rekonstruiert werden kann."
Das "Bayt Wakīl" ist auch deshalb das erste Wiederaufbauprojekt des Syrian Heritage Archivs, weil es zwischen dem Haus und Berlin eine besondere Verbindung gibt. Im Museum für islamische Kunst, das zum Pergamonmuseum gehört, wird ein bedeutender syrischer Kulturschatz aufbewahrt, der aus dem "Bayt Wakīl" stammt: das Aleppo-Zimmer, die älteste vollständig erhaltene Wandverkleidung aus dem osmanischen Reich. Die insgesamt 35 Meter lange und kunstvoll mit Figuren bemalte Holzvertäfelung schmückte einst den Empfangsraum des historischen Wohnhauses.
Es geht nicht um Gebäude, es geht um Menschen
Wegen dieser besonderen Aleppo-Berlin-Connection hat sich das Syrian Heritage Archiv dafür entschieden, einen besonderen Schwerpunkt auf die Stadt im Norden Syriens zu legen. Aleppo hat eine der ältesten Altstädte im Orient, die 1986 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
Doch die Wahl fiel nicht nur wegen der einzigartigen Gebäude auf Aleppo, erklärt Anne Mollenhauer im Interview mit rbb|24. "Aleppo ist eine belebte Stadt. Es gibt viele Weltkulturerbestätten in Syrien, aber wir konzentrieren uns auf Aleppo, weil dort Menschen leben, die bleiben möchten und unsere Hilfe brauchen."
Aleppo ist nicht Dresden 1945
Auch wenn viele vor allem die Bilder der Zerstörung von Aleppo vor Augen haben, trügt der Eindruck, dass dort alles in Trümmern liege, sagt Stefan Weber. Ein Großteil der Altstadt könne wieder aufgebaut werden. "Man darf sich nicht das Bild machen von Dresden 1945. Das hat es in Aleppo so nicht gegeben. Es gibt Schneisen der Zerstörung, weil die Frontlinie zwischen den Rebellen und der syrischen Armee mitten durch die Altstadt verlief. Dort ist sehr viel durch Häuserkämpfe, Bomben aus der Luft, aber auch Tunnelbomben zerstört worden. Ich schätze, dass etwa 30 Prozent der Gebäude in der Altstadt sehr stark beschädigt oder komplett zerstört wurden."
Noch ist ungewiss, wie Syriens Zukunft aussehen wird. Stefan Weber hofft auf Stabilität und eine internationale Geberkonferenz für Syrien, denn "ohne Geld geht gar nichts". Das Team des Syrian Heritage Archive in Berlin will den Moment der Hoffnung nutzen, sagt Anne Mollenhauer: "Jetzt ist es möglich, die Stadt mit den Menschen gemeinsam wiederaufzubauen. Ohne fürchten zu müssen, dass die Menschen vor Ort vielleicht Schwierigkeiten durch das System bekommen, weil sie mit Deutschen zu tun haben. Jetzt können wir wirklich anfangen, gemeinsam Projekte zu entwickeln, die nicht nur dem baulichen Erbe, sondern auch den Menschen nutzen."
Schon im Februar 2025 plant die Projektleiterin des Syrian Heritage Archivs gemeinsam mit ihrem syrischen Kollegen Alaaeddin Haddad, nach Aleppo zu reisen. Vor allem für den syrischen Archäologen wird das ein emotionaler Moment sein. Vor zehn Jahren war er vor dem Krieg aus Aleppo nach Berlin geflohen. Nun will er in seine Heimatstadt zurückkehren und dabei helfen, sie wiederaufzubauen.
Sendung: radio3, 20.12.2024, 16: 10 Uhr
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