Erneut Proteste gegen Lieferdienst in Berlin - Gorillas-Fahrer: "Seht uns nicht als Nummern oder Maschinen"
Fahrer des Lieferdienstes Gorillas streiken in Berlin erneut gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Im Bergmannkiez wurde ein Warenhaus am Montag geschlossen. Die Mitarbeiter fordern mehr Geld - aber auch einen besseren Umgang. Von Hasan Gökkaya
Zwei Bananen, ein paar Flaschen Bier und vielleicht noch ein Shampoo oder Nahrung für die Katze: Nur wenige Klicks sind nötig und keine 15 Minuten später klingelt es an der Tür. In Berlin tragen Fahrer des Schnell-Lieferdienstes Gorillas Lebensmittel und viele andere Produkte in einer Rekordzeit auf Fahrrädern aus.
Das Unternehmen ist eines der spannendsten und umstrittensten Start-ups in Deutschland - und dass es nicht zur Ruhe kommt, zeigt sich nirgendwo so deutlich wie in Berlin. Erst am Montagmorgen wurde wieder ein Warenhaus des Lieferdienstes in Tempelhof kurzerhand für zwei Tage geschlossen. Das teilte das "Gorillas Workers Collective" (GWC), das sich nach eigenen Angaben für die Rechte von Gorillas-Mitarbeitern einsetzt, rbb|24 am Montag mit.
Für die in der Umgebung ansässigen Berlinerinnen und Berliner bedeutet das: Selbst zum Einkaufen fahren oder auf die Konkurrenz umsatteln. Der Schließung im Bergmannkiez waren drei Tage zuvor Proteste mehrere Gorillas-Fahrer, sogenannter "Rider", vorausgegangen. Symbolisch kippten die Mitarbeiter ihre Fahrräder vor dem Lager am Kaiserkorso 154 um und protestierten für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Zeitgleich wurde auch in der Schöneberger Filiale in der Martin-Luther-Straße 12 gestreikt.
"Seht uns nicht als Nummern oder Maschinen"
Am Montagmittag setzte sich der Arbeitskampf fort: Gorillas-Mitarbeiter protestierten vor dem Warenhaus in der Schwedenstraße 14 in Gesundbrunnen. Die Forderungen der Rider sind vielfältig: Zwölf Euro Stundenlohn, schnelle Instandhaltung der Fahrräder, bessere Zuweisung der Schichtdienste, Zwischenpausen und Angaben darüber, wie schwer die mit Lebensmitteln gefüllten Taschen eigentlich sind.
Auch eine gesellschaftskritische Relevanz hatten die an die Unternehmensführung gerichteten Forderungen: "Stoppt Sexismus und Rassismus im Management", "Stoppt ungerechte Kündigungen" und "Seht uns nicht als Nummern/Maschinen", heißt es auf einem Plakat, welches das Kollektiv GWC auf Twitter veröffentlichte.
"Gorillas Workes Collective" gegen Gorillas
Gorillas könnte nach Medienberichten bald einen Unternehmenswert von mehreren Milliarden Euro haben. Der Schnell-Lieferdienst wird durch Investorengelder finanziert und ist auf Expansionskurs. Da kommen die seit Monaten andauernden Proteste gegen das Management von Gorillas zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Das "Gorillas Workers Collective" organisiert die Proteste.
Die Gruppe meidet in der Regel Interviews mit Journalisten, nutzt aber soziale Medien wie Twitter verstärkt aus, um Fahrerinnen und Fahrer zusammenzubringen und Gorillas in der Öffentlichkeit an den Pranger zu stellen. Das Kollektiv versucht sich zu professionalisieren - inzwischen hat es sogar einen Fond eingerichtet und nach eigenen Angaben aktuell 7.300 Euro in der Kasse. Das Geld werde gebraucht, um juristische Kosten zu decken und die Community zu strukturieren. Außerdem sei streiken teuer: Allein die am vergangenen Freitag durchgeführten Streiks hätten Kosten in Höhe von 1.400 Euro verursacht - dazu zählt das Kollektiv etwa auch den Wegfall von Trinkgeld für die streikenden Fahrer.
CEO Sümer: Rider verdienen 10,50 Euro pro Stunde
Einen ganz anderen Blick auf die Ereignisse der vergangenen Monate hat Unternehmensgründer Kagan Sümer. Als CEO von Gorillas steht der aus Istanbul stammende Gründer im Zentrum der Vorwürfe. In einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAZ)" [Bezahlschranke] beteuerte er vergangene Woche, dass bei Gorillas niemand ausgebeutet werde. Im Gegenteil: Die Fahrer seien fest angestellt, inklusive Sozialversicherungen. "Damit heben wir uns bewusst von der Konkurrenz ab", so Sümer.
Die Kritik nehme er ernst – doch sie habe "auch viel mit der anstehenden Wahl eines Betriebsrats bei uns zu tun. Da haben manche den Weg an die Öffentlichkeit gesucht."
Was die Bezahlung angeht, sagt Sümer: Der Verdienst eines Rider pro Stunde liege bei 10,50 Euro. Mit Trinkgeld kämen Fahrer auf 13 bis 15 Euro.
Rider: "Das ist alles nur Politik, da machen nicht alle mit"
Was die schweren Taschen und die Gesundheit der Fahrerinnen und Fahrer angeht, sei Besserung in Aussicht. In Deutschland, den Niederlanden und Belgien werde das Unternehmen auf Lastenräder umstellen, "sodass die Rider gar kein Gewicht auf dem Rücken haben", sagte Sümer in dem Interview weiter.
Wie viele Mitarbeiter aktiv hinter den Protesten stehen, ist unklar. Tatsächlich dürfte es nur ein Teil sein, ging der Betrieb in Berlin in den vergangenen Monaten in der Regel weiter. Ein angesprochener Rider nahe des Checkpoint Charlie beteuerte gegenüber rbb|24: "Das ist alles nur Politik, da machen nicht alle mit."
"No pasarán!"
Wie ernst die Lage aber zumindest für Teile der Belegschaft ist, zeigte sich am Montagnachmittag. Weil nach der Schließung der Filiale im Bergmannkiez einige Mitarbeiter Zutritt zu ihrer Arbeitsstätte forderten, habe die Leitung kurzerhand eine Sicherheitsfirma beauftragt. Das "Gorillas Workers Collective" veröffentlichte auf Twitter ein Foto, darauf zu sehen war ein Mann mit blauer Weste - über ihm eine Protestfahne mit der Aufschrift: "No pasarán!", bedeutet: "Sie kommen nicht durch!"
Sendung: Inforadio, 04.10.2021, 7:35 Uhr