Interview | Jenni Zylka zum Rammstein-Skandal - "Ich glaube nicht, dass es generell für die deutsche Rockmusik ein großes Problem ist"
Mehrere Frauen werfen Rammstein-Sänger Till Lindemann vor, sie bei Konzerten rekrutiert und sexuell ausgenutzt zu haben. Die Journalistin Jenni Zylka hält die Vorwürfe für schwerwiegend. Die Musik-Branche sei männlich geprägt und sexistisch.
Junge Frauen erheben Vorwürfe gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann. Bei Konzerten der Berliner Band sollen Frauen offenbar gezielt für Sex mit dem 60-Jährigen rekrutiert worden sein. Lindemann weist die Vorwürfe, sich auf Partys sexuell übergriffig verhalten zu haben, zurück. Seine Interessen lässt er nun anwaltlich vertreten.
rbb: Frau Zylka, wie verbreitet ist sexueller Machtmissbrauch im deutschen Musikgeschäft?
Jenni Zylka: Mich wundert ein bisschen der Aufschrei, der jetzt durch die Medien geht: 'Oh Gott, im Musik-Business gibt es MeToo und misogyne Strukturen und Sexismus.' Natürlich gibt es die da. Unsere ganze Gesellschaft ist so geprägt. Darum ist das logisch, gerade in der Musikbranche, in der eh jedes Genre männlich geprägt ist, egal ob Klassik, Pop, Rock oder Jazz. Insofern ist es eigentlich nicht verwunderlich - und trotzdem extrem ärgerlich.
Ich glaube aber nicht, dass das für die gesamte deutsche Rockmusik prinzipiell ein Problem ist, trotz der genannten Strukturen, die eben misogyn sind, das heißt, weniger Frauen machen Musik, weniger Frauen sind Chefinnen von Labels, von Festivals, von irgendwelchen musikalischen Institutionen. Über den Sexismus im Deutschrap brauchen wir gar nicht zu sprechen, das ist bekannt, da gab es vor ein paar Jahren ja sogar Vergewaltigungsvorwürfe, aber auch dort gibt es endlich ein Gespräch über MeToo und frauenfeindliche Texte.
Wie üblich ist so ein "Casting", das Aussuchen von Fans für Partys im Business, wie es das bei Rammstein gegeben haben soll?
Also, ich glaube, wir müssen uns nicht darüber unterhalten, dass normativ "schöne Menschen", heteronormativ "schöne Frauen", anders angeguckt werden und anders durch die Welt gehen als andere Menschen. Solche "schönen jungen Frauen", die kommen natürlich auf alle möglichen Partys oder werden dann eben reingelassen von Männern, die an den Schaltstellen sitzen. Das gibt es in allen möglichen Bereichen, und auf vielen Partys frage ich mich, warum diese große Gruppe von Leuten da ist, die mit der jeweiligen Branche überhaupt nichts zu tun hat, während andere Menschen nicht eingeladen sind. Und das hat alles mit Lookismus zu tun. Lookismus basiert auf Sexismus.
Was macht aus Ihrer Sicht die Vorwürfe gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann besonders?
Wenn das so ist, wie die Frauen sagen – das ist bis jetzt nur mutmaßlich – dann ist das wirklich schockierend. Das müssten Leute im Umfeld gewusst haben und darunter sind natürlich auch viele Frauen. Till Lindemann würde sein gesamtes Wirtschaftsunternehmen Rammstein in den Dreck ziehen, inklusive seiner Bandkollegen.
Also an Flakes Stelle [Christian "Flake" Lorenz ist Keyboarder der Band Rammstein und für Radioeins tätig; Anm.d.Red. ] würde ich mich echt distanzieren. Es wird für die immer schlimmer werden. Sie werden auch nicht mehr touren können und nicht in den USA auftreten. Ich denke ja, dass sie ein bisschen was gewusst haben. Dieses Pornovideo existiert seit Jahren im Netz. Aber warum gehe ich die Gefahr ein, als großer Rockstar, der ein bekanntes Gesicht hat, mein Gemächt einfach so ins Netz zu stellen?
Welche Rolle spielen hier die Texte von Till Lindemann und Rammstein?
Bei den Texten würde ich schon danach gehen, dass ich tatsächlich Kunst und Künstler oder Künstlerin trennen möchte. Und es gibt auch andere furchtbare Texte. Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass er seine sexuellen Fantasien, wenn das seine Fantasien sind, tatsächlich auslebt, nur weil er die aufschreibt. Das machen auch andere Leute. Das wäre eine Vorverurteilung.
Haben Musikjournalisten bei den Vorwürfen gegen Till Lindemann weggeguckt?
Wenn man zum Konzert geht, also ganz normal zur Berichterstattung, ist man nicht in der "Reihe Null" [der Sicherheitsbereich direkt vor der Bühne; Anm.d.Red.], sondern kriegt einen Platz und guckt sich das an. Natürlich: Wenn man jetzt eine Reportage mit vielen Till-Lindemann-Fans machen würde, könnte es sein, dass man auch an Frauen gerät, die – wenn das stimmt – so was erlebt haben.
Dann ist aber die Frage, ob die das erzählen würden. Es ist nicht so einfach, solche Anschuldigungen gegen so große Stars zu bringen. Da ist dieses Phänomen, dass Frauen etwas machen, was sie eigentlich nicht wirklich wollen. Das ist leider auch nicht auf die Musik oder auf das Groupie- oder Fansein beschränkt. So geht es auch Frauen in toxischen Beziehungen.
Glauben Sie, dass Musikjournalist:innen kritischer sein müssen?
Musikjournalismus sollte generell kritisch sein. Wenn ich irgendwas nicht brauche, ist es affirmativer Journalismus, der halt sagt, Rammstein haben gespielt, war super oder irgendjemand hat gespielt, war super. Es geht immer darum, alle möglichen Seiten zu beleuchten und natürlich sollte man immer aufmerksam sein, ob es da irgendwas gibt, was komisch ist oder wer daran Geld verdient. Die Machtstruktur muss man immer im Blick haben.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führten Nathalie Daiber und Marie Röder für rbb Kultur
Sendung: rbb Kultur, 10.06.2023, 18:30 Uhr