Windstrom vom eigenen Dach - Warum kleine Windräder in Berlin und Brandenburg bisher selten sind
Kleine Windanlagen führen in Berlin und Brandenburg bisher ein Schattendasein. Ambitionierte Projekte auf Hochhäusern oder Funkmasten scheiterten an kompliziertem Baurecht. Jetzt steht ein Pilotprojekt in Berlin vor dem Durchbruch. Von Maren Schibilsky
- In Berlin werden auf einem Hochhaus vier kleine Windräder aufgestellt, sie sollen rund 100 Wohnungen mit Strom zu versorgen
- Auch an Funkmasten lassen sich kleine Windräder installieren
- Solche Mini-Windräder sind allerdings noch sehr selten in Berlin und Brandenburg
- Die Genehmigung ist oft aufwändig, weil im Baurecht kein Unterschied gemacht wird, ob die Windanlagen groß oder klein sind
Die Fundamente sind gegossen und stehen auf dem Flachdach bereit: in jeder Ecke eines - für vier Kleinwindanlagen. Stefan Schautes von der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge hat die Fundamente 2018 beim Neubau des Hochhauses in der Frankfurter Allee 218 gleich mitplanen lassen. "Das Haus für die Fundamente und die zusätzliche Last auf dem Dach vorzubereiten, war nicht teuer", erzählt er. "Das Hochhaus hat 21 Etagen, muss also in sich schon stabil sein. Wir haben geprüft, wie die zusätzliche Last in den Fundamenten und den Decken aufgenommen werden kann."
Schon bald sollen sich hier 20 Meter hohe Kleinwindanlagen drehen: mit jeweils drei Rotorblättern, die einen Durchmesser von zehn Meter haben und Windstrom für ein Viertel der 400 Wohnungen im Haus produzieren. Ein Pilotprojekt in Berlin.
"Wir müssen alle überzeugen, Strom dort zu produzieren, wo er verbraucht wird", sagt Stefan Schautes. "Was liegt näher als die Höhe des Hochhauses, wo der Wind kräftiger weht als auf Straßenniveau und die Anlagen kaum wahrgenommen werden und nicht stören."
"Keine klare Abgrenzung zwischen Großwind- und Kleinwindanlagen"
Bereits vor zehn Jahren hatte ein Forschungsteam unter Leitung von Jochen Twele, Professor für Regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, einen Leitfaden für den Einsatz von Kleinwindanlagen im urbanen Raum entwickelt. Grundlage waren zahlreiche Messungen an verschiedenen Standorten in Berlin. "Dabei kam heraus, dass eine wirtschaftliche Nutzung nur auf Gebäuden sinnvoll ist, deren Höhe die umliegende Bebauung deutlich überragt", sagt Jochen Twele. "Grundsätzlich haben wir über dem Stadtgebiet eine Turbulenzschicht, die erheblich dicker ist als im freien Feld. Ich würde davon ausgehen, dass die exponierte Dachsituation einen Höhenunterschied von mindestens 20 Metern benötigt." Bei dem Hochhaus in der Frankfurter Allee 218 ist das gegeben.
Es gebe viele weitere Standorte in Berlin, die sich für Kleinwindanlagen eigneten, sagt Twele. Im Gebäudebestand setze allerdings die Tragfähigkeit der Dächer für die Zusatzlast der Windanlagen Grenzen. "Beim Neubau sieht das natürlich anders aus."
Doch bisher ist wenig passiert. Viele ambitionierte Projekte scheiterten in der Vergangenheit am mangelhaften Baurecht für Kleinwindanlagen, kritisiert Joachim Sroka. Er ist zweiter Vorsitzender des Bundesverbandes für Kleinwindanlagen. "Das größte Problem ist, dass es keine klare Abgrenzung zwischen Großwind- und Kleinwindanlagen gibt", beklagt er. "Da hat einfach mal die Politik nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Selbst wenn die Baubehörden willens sind, haben sie in der Regel keine eindeutigen Handlungsanweisungen. Das ist das große Handicap."
Seit Jahren fordert Joachim Sroka eine klare Unterscheidung. Eine Kleinwindanlage unter 50 Metern habe doch "eine ganz andere Raumbedeutsamkeit im Vergleich zu einer Großwindanlage, die 200 Meter hoch ist", erklärt er. "Viele Baubehörden legen aber in der Praxis Maßstäbe aus Genehmigungsverfahren von Großwindanlagen an, weil die Maßstäbe für die kleinen Windanlagen fehlen." Das habe der Marktentwicklung für Kleinwindanlagen stark geschadet. "Ein Großteil der Hersteller hat aufgegeben, weil die Hürden zu hoch sind", sagt Sroka.
"Wir haben die ersten tausend Turbinen produziert"
In Berlin hat ein Start-up überlebt, die Mowea GmbH. Aber auch nur, weil sich Unternehmensgründer Till Naumann mit seinen Mikro-Windturbinen auf industrielle Anwendungen konzentriert. Mowea steht für "Modulare Windenergieanlagen" und ist eine Ausgründung der TU Berlin.
Auf dem Dach des Firmensitzes in der Storkower Straße 115A sind zwei Windturbinen aufgebaut, die mit einer Solaranlage gekoppelt sind. "Wir sind in der Lage, eine beliebige Anzahl von Mikro-Windturbinen zu einem Energiesystem zusammenzuschalten", erklärt Till Naumann.
Eine Einzelturbine hat eine Nennleistung von 500 Watt und kann bis zu 1.000 kW/h im Jahr erzeugen. "Wir haben die ersten tausend Turbinen produziert. Davon gehen über 700 Turbinen in den Bereich der Telekommunikationsbranche", sagt der Unternehmensgründer. "Wir bauen den ersten Telekommunikationsmast mit unseren modularen Windenergiesystemen hier in Berlin auf."
Einfachere Genehmigungsverfahren sind erforderlich
Ende Januar soll es losgehen. Über das Jahr ist geplant, mehr als 50 Funkmasten eines großen Mobilfunkanbieters mit Mikro-Windturbinen auszustatten. "Wir speisen den Windstrom direkt in das Funknetz ein und reduzieren damit den Bedarf am elektrischen Verbundnetz", sagt Till Naumann.
Im Prüflabor am Firmensitz in der Storkower Straße wird die Turbinensoftware weiter optimiert, um die Anlagen auf Schwachwind und Effizienz zu trimmen. "Wir regeln unsere Turbinen nicht zentral, sondern jede Turbine im System hat ihr 'eigenes Gehirn' und regelt sich nach den lokalen Windverhältnissen", sagt Naumann.
Er und sein Team wollen sich zunächst weiter auf Industrieanwendungen konzentrieren. Für einen breiteren Einsatz brauche es noch einfachere Regeln und eine größere Unterstützung in der Bevölkerung. "Um in den städtischen Wohnungsmarkt einzusteigen, braucht es geringere Akzeptanzhürden durch die Politik, einfachere Genehmigungsverfahren und das Verständnis von jedem einzelnen, was eine Kilowattstunde ist und wie gut es ist, wenn man sie selber produziert."
Die Bewohner der Frankfurter Allee 218 erwarten die nächsten Wochen mit Spannung. Die vier geplanten Kleinwindanlagen auf dem Hochhausdach stehen kurz vor der Musterzulassung. Stefan Schautes, Bereichsleiter für Neubau bei der Howoge ist sich sicher: "Wenn das hier funktioniert, wird das auch auf andere Projekte ausstrahlen. Wir müssen die Stadt darauf vorbereiten, dass sowas künftig zur Energie, zur Stadt, zum Wohnen dazu gehört."
Sendung: rbb24 Abendschau, 03.01.2023, 19:30 Uhr