Interview | Autofahrer vs. Klima-Aktivisten - "Ich rechne damit, dass die Auseinandersetzungen noch zunehmen"
Die Proteste der "Letzten Generation" provozieren. Vermehrt kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen Aktivisten und genervten Autofahrern. Stressforscher Mazda Adli erklärt, wieso solche Situationen immer wieder eskalieren.
Die Szene, die sich am Montagmorgen am Messedamm in Berlin abspielt, schockiert: Eine Gruppe Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" blockiert die Fahrbahn, als ein Autofahrer sein Fahrzeug so manövriert, dass ein Vorderrad auf dem Fuß eines sitzenden Teilnehmers zum Stehen kommt.
Es folgen Schmerzensschreie, Beschimpfungen. Ob Absicht oder nicht - inzwischen ermittelt die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Fahrer. Es ist nicht die einzige Situation, in der Betroffene bei ähnlichen Protesten handgreiflich gegen die Demonstranten werden. Immer wieder nehmen es Autofahrer in die eigenen Hände, Sitzblockaden aufzulösen, indem sie die Protestierenden aus dem Weg zerren. Wir zeigen die Bilder Stressforscher Mazda Adli.
rbb|24: Herr Adli, Sie haben die jüngsten Bilder der Klimaproteste gesehen. Wie erklären Sie sich, dass Menschen immer wieder so aggressiv – auch körperlich – auf Straßenblockaden von Klimaaktivisten reagieren?
Mazda Adli: Die Straßenblockaden lösen bei den Betroffenen Territorialstress aus. Das ist eine Form von Stress, die durch die Evolution seit jeher in uns steckt und die dafür sorgt, dass wir mit maximaler Anspannung reagieren, wenn uns der Weg versperrt oder der Raum um uns herum in Frage gestellt wird. Das ist in unseren Genen vorgeschrieben. Und das erklärt auch, warum die Autofahrer teils so ungestüm und emotional aus der Haut fahren.
Ist es auch das Drumherum – der Berufsverkehr, die Rush Hour – was dafür sorgt, dass sonst entspannte Leute plötzlich dünnhäutig werden?
Ja. Wenn Berufsverkehr und Zeitdruck zusammenkommen, ist das Ergebnis für einige eine richtige Stress-Spitze. Die löst Anspannung aus, macht aggressiv, richtig wütend. Und das ist natürlich auch eine emotionale Reaktion, die in Teilen vom Gegenüber so mit eingeplant ist.
Sie meinen, die Aktivisten wissen um die angespannte Stimmung der Fahrer und spielen bewusst mit dem Feuer?
Die Aktivisten wollen natürlich gesehen werden, sie wollen gehört werden. Deswegen suchen sie sich auch neuralgische Punkte - und auch Zeitpunkte – aus, um den Weg zu blockieren. Sie suchen ja Aufmerksamkeit.
Oft sehen wir tobende Autofahrer, denen von Aktivistenseite mit stoischer Ruhe und Schweigen begegnet wird. Verschärft das die Spannungen noch?
Das kennt jeder aus dem eigenen Alltag: Wenn wir uns aufregen und das Gegenüber geht in keiner Weise darauf ein, dann fühlen wir unser eher herabgewürdigt. Das kränkt und macht noch aggressiver. Darin liegt auch ein Risiko bei solchen Protestformen, die Reaktion nicht durch Worte, sondern durch Verhalten auslösen wollen: Dass nämlich die Gesellschaft polarisiert wird und dass sie am Ende genervt oder entrüstet wegschaut. Dann wäre genau das Gegenteil erreicht. So einen Effekt haben zuletzt die Suppenattacken in den Museen ausgelöst.
Gegen den Autofahrer, der einem Aktivisten mutmaßlich absichtlich über den Fuß fuhr, ermittelt jetzt die Polizei wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Sehen Sie da eine Handlung im Affekt?
Viele der Reaktionen, die wir in diesen Szenen gesehen haben, sind aus dem Affekt heraus entstanden. Die Leute schreien und schimpfen. Was ich als Psychiater raten würde, ist, die Stress-Spitzen gar nicht erst ganz hochfahren zu lassen, sondern sich zu beruhigen, zu gucken, ob man nicht auch besonnener reagieren kann.
Und wie schafft man das, die Ruhe zu bewahren, wenn doch das Stresslevel so hoch ist?
Was hilft, ist sich in dem Moment zu überlegen: Wie schlimm ist es denn eigentlich, wenn ich jetzt etwas zu spät zur Arbeit komme? Oder wenn mein Kind zu spät zur Schule kommt? Ist es den Ärger oder die riesige Wut wert? Oder kann ich es mir vielleicht auch leisten, ruhiger zu bleiben? Vielleicht lohnt es sich sogar, den Moment zu nutzen und zu versuchen, sich zu überlegen, was in den Klimaklebern vorgehen könnte. In der Psychotherapie würde man so eine Übung Perspektivwechsel nennen. Dem eigenen emotionalen Wohlbefinden tut sowas gut.
Erwarten Sie, dass solche Situationen in Zukunft zunehmend eskalieren? Oder nutzt sich diese Protestform der Straßenblockade irgendwann ab?
Ich rechne damit, dass diese Auseinandersetzungen grundsätzlich noch zunehmen, vielleicht auch aggressiver und gereizter verlaufen - wenn wir nicht alle zusammen jetzt eine gute Form des Dialogs finden. Der Klimawandel ist etwas, das uns als Gesellschaft enorm unter Druck setzt. Die Sorgen um die Folgen des Klimawandels werden größer. Solche Klimaängste sehen wir Psychiater:innen und Psychotherapeut*innen übrigens immer häufiger. Insbesondere bei jüngeren Menschen sorgen diese Ängste mitunter für richtige psychische Probleme. Wir sprechen von Solastalgie. Das ist die Angst, die Trauer, die emotionale Reaktion, die angesichts des Klimawandels entsteht.
Aber ist es denn zu rechtfertigen, aus dieser Sorge heraus einzelne Gruppen von Autofahrern zum Stillstand zu zwingen?
Den Protest der Klimaaktivisten darf man natürlich nicht persönlich auf sich selbst beziehen. Wenn ich zufällig als Autofahrer in eine Straßenblockade gelange, dann richtet sich der Protest ja nicht gegen mich als Person, sondern gegen eine gesellschaftliche Haltung. Auch bei einer solchen Form von Aktivismus spielt übrigens affektgeladenes Handeln eine Rolle. Da werden Aktionen befeuert, die bei vielen Menschen dazu führen, dass sie von den inhaltlich ja überwiegend richtigen Forderungen der Klimaschützer abrücken und sich damit gar nicht mehr auseinandersetzen.
Würde es dann nicht helfen, wenn die Protestierenden in der Konfliktsituation den Austausch mit den Autofahrenden suchen würden um ihnen klarzumachen: Es geht um uns alle?
Mein Rat wäre es, zu reden und die Situation zu erklären. Dann wird nicht nur viel eher eine unterstützende emotionale Reaktion ausgelöst, sondern vielleicht auch ein Umdenken erreicht. Und das ist ehrlich gesagt ja genau das, was wir brauchen. Als Psychiater ist normalerweise meine Aufgabe, Ängste zu beschwichtigen. Beim Thema Klima muss ich aber leider sagen: Die Angst ist berechtigt. Das Weggucken ist viel eher das Problem. Insofern kann man durch Kommunikation hoffentlich noch mehr Menschen erreichen als durch wortlosen Protest. Nötig wär’s.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Phil Beng.
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.02.2023, 19:30 Uhr