Interview | Autofahrer vs. Klima-Aktivisten - "Ich rechne damit, dass die Auseinandersetzungen noch zunehmen"

Mi 08.02.23 | 11:43 Uhr | Von Phil Beng
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An der Autobahnausfahrt A100 und A115 haben sich gegen am Morgen mehrere Aktivisten der letzten Generation festgeklebt. Es kam zu mehreren Auseinandersetzungen mit Autofahrern. (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: rbb24 Inforadio | 08.02.2023 | Nachrichten | Matthias Bartsch | Bild: Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Die Proteste der "Letzten Generation" provozieren. Vermehrt kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen Aktivisten und genervten Autofahrern. Stressforscher Mazda Adli erklärt, wieso solche Situationen immer wieder eskalieren.

Die Szene, die sich am Montagmorgen am Messedamm in Berlin abspielt, schockiert: Eine Gruppe Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" blockiert die Fahrbahn, als ein Autofahrer sein Fahrzeug so manövriert, dass ein Vorderrad auf dem Fuß eines sitzenden Teilnehmers zum Stehen kommt.

Es folgen Schmerzensschreie, Beschimpfungen. Ob Absicht oder nicht - inzwischen ermittelt die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Fahrer. Es ist nicht die einzige Situation, in der Betroffene bei ähnlichen Protesten handgreiflich gegen die Demonstranten werden. Immer wieder nehmen es Autofahrer in die eigenen Hände, Sitzblockaden aufzulösen, indem sie die Protestierenden aus dem Weg zerren. Wir zeigen die Bilder Stressforscher Mazda Adli.

rbb|24: Herr Adli, Sie haben die jüngsten Bilder der Klimaproteste gesehen. Wie erklären Sie sich, dass Menschen immer wieder so aggressiv – auch körperlich – auf Straßenblockaden von Klimaaktivisten reagieren?

Mazda Adli: Die Straßenblockaden lösen bei den Betroffenen Territorialstress aus. Das ist eine Form von Stress, die durch die Evolution seit jeher in uns steckt und die dafür sorgt, dass wir mit maximaler Anspannung reagieren, wenn uns der Weg versperrt oder der Raum um uns herum in Frage gestellt wird. Das ist in unseren Genen vorgeschrieben. Und das erklärt auch, warum die Autofahrer teils so ungestüm und emotional aus der Haut fahren.

Ist es auch das Drumherum – der Berufsverkehr, die Rush Hour – was dafür sorgt, dass sonst entspannte Leute plötzlich dünnhäutig werden?

Ja. Wenn Berufsverkehr und Zeitdruck zusammenkommen, ist das Ergebnis für einige eine richtige Stress-Spitze. Die löst Anspannung aus, macht aggressiv, richtig wütend. Und das ist natürlich auch eine emotionale Reaktion, die in Teilen vom Gegenüber so mit eingeplant ist.

Wenn wir uns aufregen und das Gegenüber geht in keiner Weise darauf ein, dann fühlen wir unser eher herabgewürdigt. Das kränkt und macht noch aggressiver.

Mazda Adli, Stressforscher

Sie meinen, die Aktivisten wissen um die angespannte Stimmung der Fahrer und spielen bewusst mit dem Feuer?

Die Aktivisten wollen natürlich gesehen werden, sie wollen gehört werden. Deswegen suchen sie sich auch neuralgische Punkte - und auch Zeitpunkte – aus, um den Weg zu blockieren. Sie suchen ja Aufmerksamkeit.

Zur Person

Archivbild: Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher, Theodor Fliedner Stiftung. Berlin, 18.07.2019. (Quelle: Picture Alliance/Janine Schmitz)
Picture Alliance/Janine Schmitz

Prof. Dr. Mazda Adli ist Psychiater und leitet die Fliedner Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin. Er forscht unter anderem zu den Themen Depression und Stress. 2015 half er, das interdisziplinäre Forum "Neurourbanistik" zu gründen, in dem Stadtplaner, Architekten, Soziologen und Neurowissenschaftler gemeinsam das Phänomen Stadtstress untersuchen.

Oft sehen wir tobende Autofahrer, denen von Aktivistenseite mit stoischer Ruhe und Schweigen begegnet wird. Verschärft das die Spannungen noch?

Das kennt jeder aus dem eigenen Alltag: Wenn wir uns aufregen und das Gegenüber geht in keiner Weise darauf ein, dann fühlen wir unser eher herabgewürdigt. Das kränkt und macht noch aggressiver. Darin liegt auch ein Risiko bei solchen Protestformen, die Reaktion nicht durch Worte, sondern durch Verhalten auslösen wollen: Dass nämlich die Gesellschaft polarisiert wird und dass sie am Ende genervt oder entrüstet wegschaut. Dann wäre genau das Gegenteil erreicht. So einen Effekt haben zuletzt die Suppenattacken in den Museen ausgelöst.

Gegen den Autofahrer, der einem Aktivisten mutmaßlich absichtlich über den Fuß fuhr, ermittelt jetzt die Polizei wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Sehen Sie da eine Handlung im Affekt?

Viele der Reaktionen, die wir in diesen Szenen gesehen haben, sind aus dem Affekt heraus entstanden. Die Leute schreien und schimpfen. Was ich als Psychiater raten würde, ist, die Stress-Spitzen gar nicht erst ganz hochfahren zu lassen, sondern sich zu beruhigen, zu gucken, ob man nicht auch besonnener reagieren kann.

Und wie schafft man das, die Ruhe zu bewahren, wenn doch das Stresslevel so hoch ist?

Was hilft, ist sich in dem Moment zu überlegen: Wie schlimm ist es denn eigentlich, wenn ich jetzt etwas zu spät zur Arbeit komme? Oder wenn mein Kind zu spät zur Schule kommt? Ist es den Ärger oder die riesige Wut wert? Oder kann ich es mir vielleicht auch leisten, ruhiger zu bleiben? Vielleicht lohnt es sich sogar, den Moment zu nutzen und zu versuchen, sich zu überlegen, was in den Klimaklebern vorgehen könnte. In der Psychotherapie würde man so eine Übung Perspektivwechsel nennen. Dem eigenen emotionalen Wohlbefinden tut sowas gut.

Erwarten Sie, dass solche Situationen in Zukunft zunehmend eskalieren? Oder nutzt sich diese Protestform der Straßenblockade irgendwann ab?

Ich rechne damit, dass diese Auseinandersetzungen grundsätzlich noch zunehmen, vielleicht auch aggressiver und gereizter verlaufen - wenn wir nicht alle zusammen jetzt eine gute Form des Dialogs finden. Der Klimawandel ist etwas, das uns als Gesellschaft enorm unter Druck setzt. Die Sorgen um die Folgen des Klimawandels werden größer. Solche Klimaängste sehen wir Psychiater:innen und Psychotherapeut*innen übrigens immer häufiger. Insbesondere bei jüngeren Menschen sorgen diese Ängste mitunter für richtige psychische Probleme. Wir sprechen von Solastalgie. Das ist die Angst, die Trauer, die emotionale Reaktion, die angesichts des Klimawandels entsteht.

Aber ist es denn zu rechtfertigen, aus dieser Sorge heraus einzelne Gruppen von Autofahrern zum Stillstand zu zwingen?

Den Protest der Klimaaktivisten darf man natürlich nicht persönlich auf sich selbst beziehen. Wenn ich zufällig als Autofahrer in eine Straßenblockade gelange, dann richtet sich der Protest ja nicht gegen mich als Person, sondern gegen eine gesellschaftliche Haltung. Auch bei einer solchen Form von Aktivismus spielt übrigens affektgeladenes Handeln eine Rolle. Da werden Aktionen befeuert, die bei vielen Menschen dazu führen, dass sie von den inhaltlich ja überwiegend richtigen Forderungen der Klimaschützer abrücken und sich damit gar nicht mehr auseinandersetzen.

Würde es dann nicht helfen, wenn die Protestierenden in der Konfliktsituation den Austausch mit den Autofahrenden suchen würden um ihnen klarzumachen: Es geht um uns alle?

Mein Rat wäre es, zu reden und die Situation zu erklären. Dann wird nicht nur viel eher eine unterstützende emotionale Reaktion ausgelöst, sondern vielleicht auch ein Umdenken erreicht. Und das ist ehrlich gesagt ja genau das, was wir brauchen. Als Psychiater ist normalerweise meine Aufgabe, Ängste zu beschwichtigen. Beim Thema Klima muss ich aber leider sagen: Die Angst ist berechtigt. Das Weggucken ist viel eher das Problem. Insofern kann man durch Kommunikation hoffentlich noch mehr Menschen erreichen als durch wortlosen Protest. Nötig wär’s.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Phil Beng.

Sendung: rbb24 Abendschau, 07.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Phil Beng

101 Kommentare

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  1. 101.

    Es soll Leute geben die zur Arbeit müssen und es gibt Wege in Berlin, die sich mit dem Auto um 30-60 min verkürzen lassen.
    Es soll Eltern geben die ihre Kinder vom Hort oder Kita pünktlich abholen müssen, weil auch die Erzieher zu ihren Kindern müssen und dies machmal schneller ist, wenn man zwei Einrichtungen abfährt. Es soll Leute geben die als Handwerker arbeiten und der Kunde wartet, weil er zur Arbeit muss. Es soll Leute geben die als mobile Pflegekraft zu ihren Patienten müssen. Usw...
    Und es gibt Leute bei denen sich der Horizont nur um sich dreht.

  2. 100.

    Sie ziehen etwas gleich, was in Wirklichkeit sehr ungleich ist.
    Die Asylpolitik mögen die einen so sehen, die anderen so. Das ist in keinem einzigen Fall mit einem dörflichen, städtischen, regionalen oder nationalen "Untergang" verbunden.

    Die Klimakatastrophe mitsamt all ihrer gravierenderen Auswirkungen aber ist treffsicher belegt. Dass das Menschen, die 4/5 Ihres Lebens noch vor sich haben, kalt lässt, kann getrost nicht erwartet werden. Über alles andere - wo & wie - lässt sich (dagegen) streiten, ohne dabei ausfällig werden zu müssen.

    Wie betont: Der Straßenverkehr ist von Blockaden geradezu geprägt. Das Meiste davon sind die Selbstblockaden des Autoverkehrs unter sich. Im Weiteren gibt es Übergriffe auf die Wege des Fußverkehrs, des Tram- und Busverkehrs, ggü. dem Radverkehr gewiss in beiderlei Richtung. Das soll kein Nullsummenspiel werden, doch die Proportionen geraderücken.

  3. 99.

    Es fehlt eine Autofahrer-Gewerkschaft, die mit eigenem Personal vor Ort dokumentieren, die Genötigten beraten und Sammelklagen vorbereiten könnte. Das könnte auch die Situation vor Ort befrieden.

  4. 98.

    Was diese Kleblinge machen ist doch eigentlich feige. Kleben sich auf die Straße weil sie wissen das genug Medienmitarbeiter um sie herumstehen und nach wenigen Minuten die Polizei vor Ort ist und sie beschützt!
    Auffällig ist doch auch das sie an Verkehrsschwerpunkten wie Kotti oder Hermannplatz niemals behindern.
    Wenn die deutsche Polizei die Möglichkeiten ihrer franz. Kollegen hätten wäre der Spuk längst vorbei!

  5. 96.

    Schreien gehört mit zum Handwerk der Serienstraftäter, Dazu gibt es genügend Videos im Internet, egal ob aus Frankreich oder von einer Serientäterin aus Berlin. Selbstjustiz ist dabei zunächst illegal Fall illegal, egal ob von der Vereinigung "Letzte Generation" oder seitens der Opfer derer Nötigungen. Es käme ggf. aber Notwehr als Maßnahme gegen die Klimakleber in Frage oder auch das Jedermannsrecht der vorläufigen Festnahme, bei der auch Zwang gegen die sogenannten Aktivisten ausgeübt werden dürfte. Nur werden das letztendlich wohl erst Gerichte klären.

    Inwieweit die Forderung der Vereinigung Letzte Generation laut dem Psychiater berechtigt ist, den Artikel 20 Grundgesetz außer Kraft zu setzen, sei einmal dahingestellt.

  6. 95.

    Ich verstehe Ihre Antwort so, dass die Polizei sich zu Fuß-Überfahr-Episode ermittelnd bisher noch nicht geäußert hat. Früheren Meldungen war zu entnehmen, dass sie das bis gestern hat tätigen wollen. Ich persönlich habe große Zweifel an den bisher auch vom RBB veröffentlichten Darstellungen. Mit einem Auto über einen Fuß zu fahren kann erhebliche Schäden hinterlassen. Bei dem im Video gezeigten PkW lasten auf dem Vorderrad 400 bis 500 kg. Leider ist das Video in der entscheidenden Passage verpixelt, zu sehen ist allerdings, wie das Opfer sich nicht nur sofort wieder ganz normal benimmt, sondern den Fuß auch gleich wieder vor das Rad stellt wie „Darf ich nochmal?“ An einer amtlichen Überprüfung per Sachverständigem und Gericht scheint die "Letzte Generation" nicht interessiert zu sein, denn Strafanzeige wegen Körperverletzung wurde nicht gestellt.

  7. 94.

    Stellen Sie sich mal vor, Aktivisten wollen, dass Menschen nicht mehr U-Bahn fahren und blockieren die Ausgänge, weil U-Bahnen auf durch Kohle erzeugten Strom zurückgreifen.
    Da wäre das mediale und psychologische Verständnis für die Ausgangs-Blockierer gleich Null.
    Das Verständnis für Straßenblockierer ist nur deshalb so groß, weil sie aus dem Grünen Klimamilieu entstammen.
    Würden AfD-Wähler die Straßen blockieren, hätte man schon längst Schlagstöcke empfohlen.

  8. 93.

    Vorhersehbar, was hier passiert. Nach monatelangen Nötigungen , gegen die der Staat die Betroffenen nicht schützt, greifen die Betroffenen zur Selbsthilfe. Keine Überraschung. Das wird noch mehr werden. Der vorhersehbare Alltagsablauf steht auf dem Spiel und damit der Gesellschaftsfriede. Die Guthitzköpfe treiben es so weit, wie man sie lässt. Erinnere mich an Startbahn West...

  9. 92.

    Eine sehr eindimensionale, extreme Ansicht.

    Das führt zu Extremismus, s. verurteilte Klimakleber.

  10. 91.

    Ich würde mich niemals auf eine Fahrbahn legen noch meine Beine vor ein fahrwilliges Auto legen.
    Mit welchem autoritären Geist sind Straßenblockierer unterwegs, die meinen: Wenn wir uns auf die Straße legen, haben alle anderen zu parieren.
    Hallo?
    Der rbb sollte anstatt Autofahrer psychisch zu analysieren lieber mal darlegen, was mit Straßenblockierern nicht stimmt bzw. welche Firmen dahinter stehen.
    Würden sich übrigens Menschen z. B. vor Parteizentralen ankleben und gegen die Asylpolitik protestieren, würde der rbb doch auch nicht fragen, wie Politiker ihr Verhalten ändern müssen.
    Da würde man die Ankleber wohl eher stigmatisieren und diese für extrem gefährlich abstempeln.

  11. 90.

    Ich sag das jetzt mal viel kürzer: Die Festkleber sollen verpflichtet werden, Solarpaneele zu montieren. Als Wiedergutmachung des Schadens, den sie der Gesellschaft angetan haben ;-)

  12. 88.

    Das sehe ich genauso. Es soll ja noch Leute geben, die ihren Lebensunterhalt schlichtweg durch Arbeit verdienen.
    Perspektivwechsel, Wasser predigen und dann ab nach Thailand, als Privatmensch natürlich.

  13. 86.

    "So lange diese Kleingeister Dritte nötigen,..." - Ich lasse Ihre Beleidigung (§185 StGB) einmal unkommentiert. Aber halten Sie Autofahrer, die sich der Körperverletzung (§223 StGB) schuldig machen, für "Großgeister"?

    Überwinden Sie Ihren Hass, liebe Lieselotte. Der Stressforscher schlägt einen Perspektivwechsel vor. Schon einmal probiert?

    Die Demonstrierenden wollen Aufmerksamkeit für ihr Thema. Mehr Aufmerksamkeit als gegenwärtig (auch von Ihnen) ist kaum vorstellbar. Ziel erfüllt.

  14. 85.

    Jaja, es ist schon so: Deutschland ist ein Land der Autofahrer. Sie können vieles ertragen, aber wehe, sie haben keine freie Fahrt. Dann werden sie zu lautstarken Revoluzzern.

  15. 84.

    Na, Sie sind ja lustig. Der, der die ursprüngliche Behauptung aufstellt, muss seine Aussage beweisen, nicht der, der diese in Zweifel zieht.
    Und was jetzt die "ehemaligen Genossen" damit zu tun haben, kann ich auch nicht nachvollziehen.

  16. 83.

    1»Letzte Generation«

    Auf bestem Weg aus der Pubertät

    Eine Kolumne von Ursula Weidenfeld
    Zwei Klimakleber fliegen nach Bali. Klingt wie ein Witz, hämische Kritik ist aber fehl am Platz. Die beiden haben nur vorgeführt, was alle Jugendlichen durchmachen: Sie werden erwachsen – und kompromissbereiter.“

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/letzte-generation-auf-bestem-weg-in-die-pubertaet-kolumne-a-99afbbf7-9ae2-4d01-a58d-87be4fa9948b

    (Leider Paywall)

  17. 82.

    Können Sie das Gegenteil beweisen?

    Meine ehemaligen Genossen gingen damals überwiegend nicht arbeiten, studierten, wurden alimentiert oder waren beim Staat angestellt.

    Ausnahmen bestätigten auch damals die Regel.

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