Artenvielfalt | Rote Liste der gefährdeten Arten - Auskenner für Muscheln, Pilze und Schmetterlinge gesucht

Sa 27.05.23 | 08:21 Uhr | Von Wolfgang Albus
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Archivbild: Grosse Teichmuschel, Schwanenmuschel (Anodonta cygnea), mit sichtbarem Atem- und Kloakensyphon. (Quelle: dpa/blickwinkel)
Bild: dpa/blickwinkel

Roten Listen geben eine Übersicht, wo welche Tier- und Pflanzenarten leben - und wie viele. Auch in Brandenburg und Berlin werden diese Daten oft von Ehrenamtlichen zusammengetragen. Das stößt auch auf Kritik. Von Wolfgang Albus

Alle Jahre wieder gibt es eine große Inventur in der Natur in Brandenburg: 16 Rote Listen gibt es für unterschiedliche Artengruppen. Mal werden Armleuchteralgen gezählt, dann Libellen oder Brutvögel. Meistens bringen die neuen Erhebungen schlechte Nachrichten - aber auch an der Methode selbst gibt es Kritik.

Symbolbild: Männlicher Geißklee-Bläuling (Plebejus argus) (Quelle: dpa/Arterra)
Bild: dpa/Arterra

Am Anfang steht meist die Arbeit von Ehrenamtlern wie Jörg Gelbrecht. Der Ökologe hat unter Naturschützern als Schmetterlingsexperte einen legendären Ruf. Er kann Falter auf große Distanzen zweifelsfrei bestimmen und Tiere auseinanderhalten, die für Laien völlig gleich aussehen.

In diesen Tagen arbeitet Gelbrecht mit anderen Wissenschaftlern an einer Neuauflage der Roten Liste für Schmetterlinge. Die Untersuchung von 1.200 Großschmetterlingen und Zünslern ist noch in der Feinabstimmung und nicht veröffentlicht. Soviel aber kann Gelbrecht schon sagen: "Die Zahlen sind außerordentlich negativ." Fast alle Arten seien von einem Rückgang betroffen, sogar beim früher häufigen Schwalbenschwanz. Nur bei weniger als zehn Prozent der Schmetterlingsarten zeichne sich eine Verbesserung ab.

Wenige Fachleute, veraltete Listen

Dass es bei Schmetterlingen verlässliche Daten gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn unter Naturschützern vollzieht sich schon seit Jahren ein Generationswechsel. Nur wenige jüngere Menschen haben ein so breites Wissen über Tier- und Pflanzenarten, dass sie die Inventur eines Biotops mit der nötigen Expertise durchführen können. Selbst Hochschulabsolventen aus einschlägigen Fächern verfügen nicht immer über die notwendige Artenkunde - vor allem bei "unbeliebteren Arten" wie Muscheln ist die Zahl der Freizeitexperten überschaubar.

Dass für die Kartierungen überhaupt so stark auf Freiwillige gebaut wird, sieht man vonseiten des Nabu kritisch. "Das ist eindeutig eine staatliche Aufgabe, die völlig unzureichend wahrgenommen wird", sagt der Landesvorsitzende des Nabu Brandenburg, Björn Ellner, dem rbb. "Ohne dieses ehrenamtliche Engagement passiert wenig bis gar nichts." Den Landesbehörden fehle zwar nicht das Engagement, aber eindeutig das Personal. Viele Roten Listen in Brandenburg [lfu.brandenburg.de] seien daher hoffnungsvoll veraltet und kaum noch aussagekräftig.

Symbolbild: Ein Männchen der Speer-Azurjungfer (Quelle: dpa/Michael Post)Die Libellenart Speer-Azurjungfer ist immer seltener in der Region Berlin-Brandenburg zu sehen

Trotzdem sind die Roten Listen auch für Behörden immer noch wichtige Orientierungs- und Entscheidungshilfen.

Die "Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands" enthält nicht nur Gefährdungseinstufungen, sondern bildet die gesamte Natur ab. Sie gilt als vollständiges Inventar der aktuellen Artenvielfalt bundesweit und ist auch international vergleichbar. Die Roten Listen werden in einem Turnus von rund zehn Jahren neu aufgelegt und vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) fachlich geprüft und herausgegeben [bfn.de].

Die Aussagekraft hängt von allerdings von der Qualität der erhobenen Daten ab. Die Erhebung ist im dünn besiedelten Brandenburg naturgemäß schwierig. Auch hapert es an der Ausstattung. "Aufwändig erhobene Informationen liegen zudem manchmal nur in Papierform vor, weil für die Digitalisierung Ressourcen fehlen", beklagt Björn Ellner vom Nabu.

Viel beachtet, aber nicht rechtsverbindlich

"Rote Listen haben vor allem eine politische Bedeutung", erklärt der Schmetterlingsexperte Jörg Gelbrecht. "Sie zeigen auf, wo gehandelt werden muss, um Lebensräume zu schützen." Die Naturschutzverbände beklagen, dass Gefährdungskategorien nicht unmittelbar rechtswirksam sind, die Politik muss also auf Warnungen nicht reagieren. Das wiederum führe im Ehrenamt zu Frustrationen, heißt es.

Dabei zeigen Tier- und Pflanzenzählungen, dass Not am Mann ist. Ein Beispiel sind die Amphibien: Fachleute im Brandenburger Landesamt für Umwelt sprechen von einem regelrechten Zusammenbruch zahlreicher Populationen. Ein wichtiger Grund sind nach bisherigem Wissen die zurückliegenden Jahre mit langen Dürreperioden. Überlebenswichtige Gewässer trocknen aufgrund gefallener Grundwasserstände zu früh aus. Krötenauffangzäune entlang von Straßen bleiben immer häufiger leer - ein weiterer Indikator für den sinkenden Bestand. Aber auch Überpopulationen von Wildschweinen, Waschbären oder Marderhunden können den geschützten Arten den Garaus machen.

 

Symbolbild: Fischotter (Lutra lutra) (Quelle: dpa/Kurt Möbus)
Bild: dpa/Kurt Möbus

Wachsende Populationen von Fischottern und Greifvögeln

Rote Listen werden aber auch als Basis für Erfolgsmeldungen herangezogen. Fischotter und Biber, die in der ersten Roten Liste von 1992 noch als ausgestorben galten, sind mittlerweile wieder im ganzen Land anzutreffen. Beim Biber sogar in einer Anzahl, die teils als lästig empfunden wird. Ebenso der Wolf. Sogar Greifvögel sind in großer Zahl zurück. Gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern liegt Brandenburg bundesweit an der Spitze. Dass dürfte vor allem daran liegen, dass Brandenburg über vergleichsweise viele Schutzgebiete und eine geringe Bevölkerungsdichte verfügt.

Das LfU zieht trotzdem ein ernüchterndes Fazit: Trotz aller Programme und Anstrengungen gelten sämtliche Ziele als verfehlt, die man sich in Europa, Deutschland und eben auch Brandenburg gesteckt habe. Vor allem bei Amphibien und Insekten seien die Rückgänge immens und wenig deute auf eine Veränderung zum Positiven. "Eines haben alle Roten Listen der vergangenen Jahre gemeinsam", bilanziert Frank Zimmermann vom LfU Brandenburg: "Sie werden stetig länger."

Fast insektenfreie Agrarlandschaften

Bei den farbenprächtigen Tagfaltern, die dem Experten Jörg Gelbrecht besonders am Herzen liegen, gilt die Landwirtschaft als wesentlicher Verursacher des Rückgangs. Zwar habe Biolandbau eine Entlastung gebracht, dafür werden aber andere Flächen umso intensiver bewirtschaftet. Immer effektivere Pflanzenschutzmittel und ein Verlust von Blühstreifen am Ackerrand tun ihr Übriges. Artenreiche Wiesen seien eher Ausnahme als die Regel, sagt Gelbrecht.

Er rechnet daher damit, dass der Artenrückgang nicht zu stoppen ist, da die Ursachen weiterhin bestehen. "Wir erleben Agrarlandschaften in Brandenburg, die fast insektenfrei sind." Trotz der pessimistischen Perspektive hält er es für wichtig, dass diese Entwicklung gegenüber der Öffentlichkeit möglichst genau dokumentiert wird. Das rechtfertige auch das enorme Engagement, das Ehrenamtler in dieses Projekt investieren.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 22.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Wolfgang Albus

20 Kommentare

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  1. 20.

    So lange die Grünflächenverantwortlichen mit immer größeren Gräten bis zu vier mal im Jahr alles grün meinen hächseln zu müssen, sollte man die Landwirtschaft mal aus der Kritik nehmen. In meiner Umgebung hat sich am Umfang und der Bewirtschaftung der Agrarflächen seit Jahrzehnten nix geändert.
    Außerdem leben wir von der Landwirtschaft - Essen und trinken muss sein. Alles andere ist Zugabe.

  2. 19.

    An die App Flora Inkognita dachte ich auch gleich. Die ist Klasse. Habe damit gerade die Wiese an unserem Wohnhaus in Mitte kartiert und staune über die Vielfalt an Wildpflanzen, die sich dort etabliert hat. Aber dort gibt's auch keine Pestizide. Dennoch fiel mir auch schon auf, wie wenge Insekten dort unterwegs sind.

  3. 18.

    Ja, aber nicht erwischen lassen - Artenschutz. Einfach auf die Variante aus China ausweichen, hier eine invasive Art.
    Teichmuscheln mit Zwiebelcayenne - beliebtes Outdoorrezept

  4. 17.

    Das liegt wohl daran, dass es zur ersten „Heißzeit“ vor 56 Mio Jahren noch keine Menschen gab.
    Die Natur zeigt uns gerade, wer hier der Chef ist, wir sollten auf sie hören und jeder kann etwas tun, auf die Straße kleben und rumschreien hilft da ziemlich wenig!

  5. 16.

    Sie sprechen mir aus der Seele. Die Feinheiten und Möglichkeiten der deutschen Sprache werden immer seltener genutzt. Auch ich finde den "Auskenner" bestenfalls Grundschulniveau.

  6. 15.

    Kondome, Sterilisation, Vasektomie, Pille etc.... Es ist alles da, die Leute sollten nur endlich angehalten werden aufzuhören! Unser Sozialsystem sollte dahingehend unbedingt bearbeitet werden!

  7. 14.

    Falsch der Klimawandel ist menschengemacht und signifikant seit der Industrialisierung; und daran ändert sich nichts von alleine.
    Aber ja, solange Tipping Points nicht die Biosphäre nachhaltig ändern, erholt sich Flora und Fauna sogar sehr schnell.

  8. 13.

    „ Wir sollten Platz machen und schaffen, damit die Flora und Fauna sich von uns erholen kann! “
    Das macht die Erde doch schon ganz alleine, manche nennen es Klimawandel ;-)

  9. 12.

    Da gebe ich Ihnen Recht. Nun irgendwann haben die Koryphäen ja auch einmal die 70 überschritten. Fachleute waren immer dünn gesät, obwohl sich immer wieder v.a. junge Männer für einzelne Fachgebiete begeistern konnten u. sich zu führenden Experten bei Moose/Flechten, Kerfen etc. entwickelten. Ich habe aber ebenso absolut fachkundige Frauen kennenlernen dürfen. Alle brachten sich neben ihrer beruflichen Arbeit in ihr zeitfressendes Hobby ein. Obwohl auch Erfassungsbögen einen großen Wandel durchmachten und insgesamt pflanzensoziologische Nachweise notwendig waren. Dennoch der Bodenwasserhaushalt/-stand, war schon immer eine sehr empfindliche Randbedingung für die meisten Arten, die Abwehungen/Einträge von Dünge- und sonst. Nährstoffen = Landwirtschaft (Bockwurst und Weihnachtsbraten, Kotelettchen soll es ja auch weiterhin geben, nicht wahr?),diese aufwend. Arbeiten vor Ort wurden meist ehrenamtl. oder berufl. gemacht, aber dennoch kaumn o. nur schlecht vergütet.-- LG - eure Aufgabe!

  10. 11.

    Haben sie ja. Mit freiheitlichen Mitteln nur mit Wohlstand für alle.
    Allerdings beruht ja unser Wohlstand bisher auf der Ausplünderung der Schwellenländer.
    Gibt viele Ideen zu dem gesamten Thema, nur sind das alles längst keine Triviallösungen mehr.

  11. 10.

    Da schließe ich mich gerne an!
    Statt dessen werden wieder neue Steuer- und FInanzgeschenke an die Kinderzeuger erdacht, anstatt denen, die die Vermehrung sein lassen wenigstens 'nen Orden umzuhängen.
    Seltsame Zeiten.
    Wir sollten Platz machen und schaffen, damit die Flora und Fauna sich von uns erholen kann!

  12. 9.

    Flora Incognita ist hoffentlich ein Begriff, sollte man auch für Insekten entwickeln.

  13. 8.

    Ja, unsere Sprache wird immer knuffeliger.
    Allerdings ist "Auskennende" zu sperrig und auch nicht richtig. Es heißt nämlch "Kenner".
    Früher hätte da vielleicht auch "Experten" gestanden.
    Aber egal. Sprache ist nun mal schwierig.
    Deshalb sollte man den Inhalt vom Artikel seiner Überschrift auch nicht auf die Goldkante legen.

  14. 7.

    Vielleicht sollten sich die klugen Köpfe eher Gedanken darüber machen, wie das Bevölkerungswachstum eingedämmt werden kann.

  15. 6.

    Sind die essbar? Der Ölkäfer aus dem anderen Bericht ja nicht. Hier fehlt diese Info

  16. 4.

    "Auskennende" bitte schön ...

  17. 3.

    "Auskenner" ist umgangssprachlich / Jargon... Sie tun ja sehr seriös. Ich empfehle die Fachpresse.

  18. 2.

    Zukunftsforscher setzen nicht umsonst zukünftig aus vielerlei Gründen auf Hydroponik. Also weg von der einfachen Flächenverwertung der Erde hin zur intelligenten Volumenaufzucht.
    Sowas ließe sich auch wunderbar in Städte integrieren unter Ausnutzung der menschlichen Abfälle und regenerativer Energie (geschlossene Kreisläufe).
    Das weltweit Bevölkerungswachstum schreit ja förmlich nach intelligenten Lösungen allerdings stehen dem Lobbyismus und Gewohnheit entgegen.

  19. 1.

    @rbb "Auskenner" klingt irgendwie sehr unprofessionell. Ich stelle immer öfter sprachliche Laxheit und Schlampigkeit in Ihren Berichten fest und finde das sehr kritisch. Als Medienunternehmen ist die Sprache Ihr wichtigstes Gut. Ich bin sicher, dass es nicht nur an der Kompetenz der Journalisten liegt sondern das auch eine Unternehmenskultur ist. Mit Frau Schlesinger hatte auch in der Sprache ein Wandel eingesetzt, den der rbb selbstkritisch hinterfragen sollte.

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