Kommentar | Gescheiterter Insektenschutz - Den Schuss nicht gehört

Do 15.12.22 | 21:13 Uhr | Von Hanno Christ
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Ein Schmetterling der Art Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) sitzt an einem Feldrand auf einer Roggenähre. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

Der Insektenschwund in Deutschland nimmt seit Jahren dramatische Formen an. Forscher warnen. Und in Brandenburg: Fährt die Regierungs-Koalition ein landeseigenes Insektenschutz-Verfahren gegen die Wand. Ein Kommentar von Hanno Christ

Das Timing hätte kaum schlechter sein können: Während sich im kanadischen Montreal Forscher und Politiker den Kopf zermartern, was gemeinsam gegen den weltweit zu verzeichnenden rasanten Artenschwund zu tun ist, kriegen Verbände und Politiker im kleinen Brandenburg ein vergleichsweise winziges Insektenschutz-Programm nicht gebacken.

Zwei Volksinitiativen, viele Gespräche, Ausschusssitzungen und zwei Jahre später stehen Naturschützer und Politiker vor dem Nichts. Der sogenannte Insektendialog ist krachend gescheitert. Peinlich - und ein Armutszeugnis für die Landespolitik.

Wirkungsvoller Insektenschutz sieht anders aus

Den letzten Rückzieher hatten die Initiatoren der Volksinitiative selbst gemacht. Ihre Begründung: Man wolle sich nicht mit einem Kompromiss zufriedengeben, der auf mehr freiwilligem statt verpflichtenden Insektenschutz hinausgelaufen wäre. Ihr Rückzieher ist konsequent. Was am Ende ausverhandelt war, wäre in Beliebigkeit versandet. Die Regierungs-Parteien hätten sich zwar die Befriedung eines lange schwelenden Konfliktes auf die Haben-Seite buchen können.

Doch wirkungsvoller Insektenschutz, staatlich gesteuert, sieht anders aus. Nun zeigen alle mit dem Finger auf die anderen. Der Schaden ist perfekt. Das Anliegen, Schöpfung zu bewahren, ist im Parteienstreit zerrieben. Die Leidtragenden sind zunächst die Insekten, später aber auch wir Menschen. Die schwindende Zahl von Insekten wird nicht folgenlos für Landwirtschaft und unsere Ernährung sein.

Insektenschwund ist Teil einer gigantischen Kettenreaktion

Es wirkt, als habe mancher den Schuss nicht gehört. Der Schwund an Insekten hat laut übereinstimmenden Studien einen dramatischen Stand erreicht. Wer keine Studien liest, der kann es vereinfacht zuweilen an seiner Autoscheibe ablesen. Früher war die im Sommer voll mit Insekten, heute hat das schon Seltenheitswert. Es summt nicht mehr wie einst.

Der Schwund der Insekten ist nur ein Teil einer gigantischen Kettenreaktion, bei der noch nicht klar ist, wo Ursache und Wirkung zu sehen sind. Die Landwirtschaft trägt sicherlich einen Teil dazu bei, den Tieren das (Über-)Leben schwer zu machen. Letztlich müssen alle ran. Doch all das zutage geförderte Wissen über das problematische Miteinander von Mensch und Natur reicht offenkundig nicht, um daraus konsequente politische Schlüsse zu ziehen und wirtschaftliche Einzelinteressen zu überwinden.

Landwirte hatten Zweifel - und mit ihnen SPD und CDU

Im Fall der Brandenburger Volksinitiativen galt es, Insektenschutz mit den wirtschaftlichen Interessen zu versöhnen. Das Land war bereit, wirtschaftliche Einbußen zu kompensieren, die etwa durch ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten und Flora-Fauna-Habitat-Gebieten entstanden wären. Die Landwirte hatten Zweifel daran. Und mit ihnen SPD und CDU. Ende. Aus.

Sicher: Politik ist immer das Geschäft von Kompromissen. Gerade in einer Demokratie. Mittlerweile haben wir aber solange getrödelt, dass wir unsere Lebensgrundlagen nicht mehr allein mit Kompromissen, sondern nur noch mit beherztem Handeln sichern. Wenn solche Mini-Einigungen nicht mal im kleinen Brandenburg erzielt werden, wie soll das erst weltweit gelingen?

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.12.2022, 12:40 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

24 Kommentare

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  1. 24.

    Das freut mich wirklich. Kleiner Tipp, wenn noch Platz ist und/oder keine kleinen Kinder rumtoben. Wilder Wein versorgt z.B. den Hausrotschwanz, den Kleiber u.a. bis weit in den Winter. Es sieht zum "piepen" aus, wenn der Letztere kopfüber an Gehölzen runterklettert. Bei Eiben kann man Glück haben und z.B. einen Kernbeisser beobachten. Dazu eine schöne Wildblumenwiese - eigentlich gar kein Sommerurlaub mehr nötig ;-).

  2. 23.

    Quintessenz: Der Mensch ist definitiv NICHT das intelligenteste wesen. Sieht man ja an den Klimaklebern, deren Klebstoff mit Sicherheit nnicht mit dem blauen Engel bewertet wurde.

  3. 22.

    Insekten sind denen nicht wichtig genug, Symbole wie T100 aber schon. Da sieht man die (gängelnde) Moral...

  4. 21.

    "Die Landwirte hatten Zweifel daran. Und mit ihnen SPD und CDU. Ende. Aus."
    Wenn Sie den Artikel gelesen haben ist Ihr Grünen Bashing noch dümmer.....
    Aber vielleicht können Sie erklären was Pestizide in Naturschutzgebieten zu suchen haben....
    Klimawandel, Artensterben verursacht durch die Menschheit, wird Zeit das das Sie sich selbst abschafft.....getan wird jedenfalls alles dafür.

  5. 20.

    Sehr schön Lucky, das in die Gehörgänge aller Englischen Rasenliebhaber! Wer den engl.. Rasen mag, sollte das nicht zulasten des Wasserverbrauches hier und blühender Wiesen verwirklichen. Garten umfasst auch Bäume! Obstbäume, und wenn es auf größeren Grundstücken auch Laubbäume sind, unschlagbar! Im hiesigen Klima mit kontinentalen Einflüssen ausgreifenden sich durchaus manifestierenden Witterungsperioden ein Jammer für den Rasen: Gras schreit nicht. Gedankenlos, geschmacklos und auch ganz schön verbohrte Gedankengänge. Sollten wir uns eher über blühende Wiessen freuen, nämlich hier! Da muss man nicht ins Ausland fahren oder fliegen....

  6. 19.

    Ich bin so glücklich eine Eberesche/Vogelbeere im Garten zu haben, der war voll mit Beeren. Ich schätze morgen ist alles weggefuttert. Noch nie hatten wir so viele Singdrosseln, Stare, Amseln, Blaumeisen, Haubenmeisen, Kohlmeisen, Rotkelchen, Zaunkönig. Es wird von mir und anderen Nachbarn mit Vogelfutter zugefüttert, seit es so kalt ist. Mein Mann hat eine beheizbare Wassertränke gebastelt, und es wird sehr gerne zum Trinken und sogar zum baden genutzt. Also, wer den Insekten im Frühjahr und den Vögeln im Winter was Gutes tun will, pflanzt eine Eberesche und Schatten gibt's auch ;-)

  7. 18.

    Der Kommentar ist sehr gut und sagt alles. Geht es so weiter, wird die Menschheit noch manch einen traurigen Haken setzen müssen. So eine kleine Schönheit flatterte noch durch die Zeit meiner Berufstätigkeit, in der es noch wichtig war, Zustände (in) der Landschaft zu erfassen. Der nicht allzugroße aber in der Farbe und der Strahlkraft ziemlich auffällige Himmelblaue Bläuling, den man korrekterweise bei zugeklappten Flügeln bestimmt, ist aber auch so sehr markant! Da muss alles stimmen, das Wetter, die Nähe der Fraßpflanzen, damit das Räupchen gut fressen kann und so weiter. Spannender als manch Mord & Totschlag im abendl. TV. Man kann nur achten/schützen, was man kennt (und für wertvoll befindet). Die Wurst/das Fleisch jeden Tag auf dem Teller ist halt wichtiger! Haken dran!

  8. 17.

    Die Grünen und die Koalitionsfrage stellen. Einerseits gut, dann wäre sie vielleicht endlich weg vom Fenster. Andererseits sind die Grünen viel zu machtbesessen und gehen das Risiko nicht ein. Übrigens Letzte Generation will das 9,-Ticket und 100 Km/h auf der Autobahn, mit Insekten und Vögeln ham die es nicht.

  9. 16.

    Bei dem Hintergrund ist es für mich erst recht rätselhaft weshalb mehrmals im Jahr Mittel- und Randstreifen, Baumteller und Grünanlagen gemäht bzw. bearbeitet werden.
    Diese bestehen bei weiten nicht nur aus Rasen und können zuweilen recht bunt und vielfältig sein.
    Aber nein, lieber der "Vorschlag" Insektenhotels auf Balkonen und Terrassen aufzustellen.
    Dann noch die immer zahlreicher werdenden Stadt-Imker, durch die, einem anderen Bericht zufolge, auch viele andere Insekten verdrängt werden.
    Also die Ursache ist nicht ausschließlich die Autoscheibe.

  10. 15.

    Ja, das hätte vielleicht sogar den Weg frei gemacht für einen Kompromiss. Leider sind die Grünen aber Teil des Problems, wenn sie auf ihren Maximalforderungen bestehen und diese sogar beständig ausweiten. Gerade beim Insektenschutz wären schon kleine Schritte ein Riesenfortschritt und man kann die durchaus berechtigten Interessen der Beteiligten bzw. Betroffenen nicht einfach beiseite wischen und ignorieren. Viele Bauern wären durchaus bereit, etwas zu ändern, aber es darf sie eben wirtschaftlich nicht benachteiligen. Das wäre unsere dringende gesellschaftliche Aufgabe gewesen, genau das sicher zu stellen. Ohne Insekten geht die ganze Biodiversität flöten, sowohl bei Pflanzen, als auch bei Tieren. Auch der Vogelschwund ist eine Folge davon. Da müssen wir eben auch etappenweise Verbesserungen in Kauf nehmen, die dann alle Seiten versöhnt. Ist immer noch um Welten besser, als gar nichts zu erreichen.

  11. 14.

    Die Situation ist sehr dramatisch. Keine Insekten=keine Vögel. Und die fehlen! Selten einen so ruhigen Winter erlebt.

  12. 13.

    So einfach, mit Nichtstun und Anweisungen, wie sonst immer, geht es nicht. Die einen wollen einfach verbieten, was andere zu tun haben, die anderen wollen dafür nicht zahlen. So wie sonst, EU-Mittel weiterreichen, ist schon deshalb keine anwendbare Lösung, weil es komplexe Prozesse sind. Moore kann man nach 10 Jahren, wenn das fremde Geld alle ist, wieder verfallen lassen aber Insekten kommen nicht so einfach wieder.
    Nochmal, bloße Anweisungen und gönnerhafte Zahlungen (von fremden Geld) reichen nicht aus. Die Arbeit muss gemacht werden. „Feststeller*innen“ haben wir genug.

    #“Paulchen“- Was haben die Grünen damit zu tun? Grün ist nicht Naturschutz. Beispiele gefällig?

  13. 12.

    Die Grünen im Landtag hätten bei dem wichtigen Thema die Koalitionsfrage stellen müssen.
    Unglaublich was hier passiert. Mein Verständnis für die letzte Generation wächst täglich.

  14. 11.

    Unfassbar traurig, erschüttert... Das beschreibt am Ehesten, die Gefühle, wenn ich lesen muss, dass der Insektengipfel zum Schutz unserer Insekten in Brandenburg nach 2 Jahren nunmehr gescheitert ist. Hier wurde eine große Chance vertan. Was nützt die Erkenntniss ohne den Umsetzungswillen...

  15. 10.

    Hauptsache ständig über Klimaschutz reden. Der spült nämlich unendlich viel Geld aus den Staatskassen in private Taschen und die Maßnahmen sind sehr zweifelhaft. Wenn es um echte, dringend notwendige Maßnahmen für Natur und Umwelt geht und kein Geld verdient werden kann ist Schluss. Mitverantwortlich sind ausgerechnet die Grünen. Für die Regierungsbeteiligung haben die sogar ihre Lieblingsverbände verraten.

  16. 9.

    Das der Kompromiss gescheitert ist, ist sehr bedauerlich. Schuld daran sind aus meiner Sicht die Grünen, die mit immer neuen Forderungen aufwarten. Mit Grauen denke ich dabei an die Vorstellung der neuen Landestierschutzbeauftragten. Es wird immer vom Miteinander gesprochen, aber davon sind wir weit entfernt.

  17. 8.

    wenn ich sehe, wie im dezember noch die flächen neben den strassen gemäht werden, wo bestimmt viele insekten überwintern, kann ich immer nur den kopf schütteln. zumal so eine energie verschwendung ,..unglaublich

  18. 7.

    Danke für diesen Bericht!!! Er trifft vom kleinsten Lebewesen bis hin zur globalen Sichtweise den Kern.

  19. 6.

    Ein sehr klarer Kommentar, der alles sagt - perfekt.

  20. 5.

    Der Direktor des Berliner Naturkundemuseums hat offenbar Recht , wenn er nur auf die Gesellschaft setzt bei Klima und Biodiversität. Wir müssen über unsere Lebensgrundlagen offenbar in einem Volksentscheid ein Ergebnis herbeiführen, damit Politik endlich handelt.

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