Hertha wählt neuen Präsidenten - Das Bernstein-Paradoxon
Fünf Kandidaten bewerben sich um das Präsidentenamt von Hertha BSC und damit um die Nachfolge von Kay Bernstein. Dabei ist eine ganz spezielle Anforderung kaum zu erfüllen. Von Ilja Behnisch
Vielleicht wird es das letzte große Gedenken. Die Mitgliederversammlung von Hertha BSC am 17. November, bei der ein Nachfolger für den im Januar unerwartet verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein gewählt wird.
Allein deshalb wird er noch einmal allgegenwärtig sein. Und dann ist da der Tagesordnungspunkt "Satzungsänderungsantrag". Eingebracht noch von Bernstein selbst "für die erste Mitgliederversammlung im Jahre 2024". So der Wortlaut, nachzulesen auf der Website des Vereins [content.herthabsc.com]. Von ihm unterschrieben. Mit Stempel-Vermerk "Eingang 15. JAN. 2024". Einen Tag vor seinem Tod.
"Berliner Weg" war vor allem Kay-Bernstein-Weg
"Dabei bekennt sich der Verein zur Nachhaltigkeit, insbesondere in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales", soll es zukünftig in Paragraf zwei, Absatz eins der Satzung des e.V. zusätzlich heißen. Es wirkt, als nähme der Verein damit auch das Erbe von Kay Bernstein in seine Satzung auf.
Weil der Mensch im Guten wie im Schlechten schnell vergisst, weil er die Dinge so rasend schnell als gegeben nimmt, muss man immer mal wieder zurückblicken auf die Anfänge. Denn ehe Bernstein sich auf der Hertha-Mitgliederversammlung vom 26. Juni 2022 überraschend gegen den CDU-Politiker Frank Steffel durchsetzte, wurde er als Präsidentschaftskandidat vor allem auch eines: belächelt. Der ehemalige Ultra-Vorsänger, der zwischenzeitlich Stadionverbot hatte und immer diese eine, blau-weiße Jacke trug. Der keinerlei Erfahrung in Vereinsarbeit hatte, dafür von "Pressekonferenzen mit Mehrwert" sprach, von Livestreams der Gremien-Sitzungen oder einem elektrisch betriebenen Mannschaftsbus.
Zumindest der Unterhaltungswert der Pressekonferenzen stieg zwischenzeitlich tatsächlich signifikant an, was aber eher am ungarischen Entertainment-Riesen und Teilzeit-Trainer Pal Dardai lag. Vieles andere kam über den Status "geschriebenes Wort" nicht hinaus. Manches entpuppte sich gar als gebrochenes Versprechen. "Stell dir vor, Hertha BSC verzichtet auf die schmutzige Sportwetten-Kohle", hieß es in Bernsteins Programm. In der Realität warb wenig später ein Wettanbieter auf Herthas Trikots.
Überhaupt war seine Bilanz eher durchwachsen denn rosig. Bernstein sprach von durchfinanzierten Spielzeiten, um kurz darauf doch neue Schulden machen zu müssen, und erneut und drastischer als zuvor um die Lizenz bibbern zu müssen. Unter Bernstein löste ein Investor den anderen ab. Unter Bernstein stieg die Mannschaft in die zweite Liga ab.
Angelastet wurde ihm das selten bis nie. Weil Bernstein es oft so wirken lassen konnte, als sei all das Schlechte nicht abzuwenden gewesen. Als stünde alles Gute nun aber ganz bald bevor. Man müsse ihn nur weitergehen, den "Berliner Weg", der eigentlich vor allem eines war: der Kay-Bernstein-Weg.
Jede Menge Probleme — und eine besonders schwere Aufgabe
Es ist das Bernstein-Paradoxon, dass es Hertha auch unter ihm und auf fast allen Ebenen zunehmend schlechter erging, während es den Menschen, die den Verein mit Bedeutung aufladen, sich mit ihrer Zuneigung zunehmend besser fühlten. Weil es vielleicht gar nicht so sehr ums Gewinnen oder Verlieren geht, um erste oder zweite Liga, sondern darum, es auf die richtige Weise zu versuchen. "Unsere Alte Dame liegt auf der Intensivstation", hatte Bernstein nach seiner Wahl im Sommer 2022 gesagt. Mehr als zwei Jahre später könnte man meinen, sie liegt noch immer dort. Nur die Stimmung im Raum ist plötzlich prächtig.
Hertha BSC muss in naher Zukunft gehörige Probleme lösen. Da ist die 40-Millionen-Euro-Anleihe, die bis zu 60 Millionen Euro teuer werden könnte und irgendwann bedient werden muss. Da ist das negative Eigenkapital. Da sind garantiert sinkende TV-Einnahmen. Und damit sind wir noch nicht einmal beim Sport. Oder der ewig dräuenden Stadion-Frage.
Auch Herthas künftiger Präsident, das scheint im Wahlkampf-Getöse um die Bernstein-Nachfolge immer mal unter den Tisch zu fallen, ist lediglich der Präsident des Hertha BSC e.V.; sein Einfluss wird gern überschätzt. Dass es Bernstein - auch durch unermüdliche Präsenz auf der Hertha-Geschäftsstelle - schaffte, es anders wirken zu lassen, war eine erstaunliche Leistung.
Bei seiner Wahl im Sommer 2022 genügten ihm 1.670 Stimmen der anwesenden Mitglieder, um sich gegen Frank Steffel (1.280 Stimmen) durchzusetzen. Dass Bernstein es im Nachgang schaffte, gefühlt und trotz aller ungelösten Probleme auch alle anderen, mehr als 50.000 Hertha-Mitglieder hinter sich und seiner Sicht der Dinge zu vereinen, war seine erstaunlichste Leistung. Das nachhaltigste Gedenken an ihn wäre, dieses Erbe nicht zu verspielen. Trotz der Fülle der Herausforderungen - es dürfte die größte sein, die der kommende Hertha-Präsident zu bewältigen hat.
Sendung: radioeins vom rbb, 13.11.2024, 15:10 Uhr