Proteste gegen LNG-Gipfel in Berlin - Ungeladene Gäste
Erstmals findet der "World-LNG-Summit" in Deutschland statt. Während sich Lobbyisten und Politiker in Berlin hinter verschlossenen Türen treffen, protestieren hunderte Menschen davor. Es gibt Festnahmen und gegenseitige Gewaltvorwürfe. Von Birgit Raddatz
In einem Café in der Nähe der Berliner Friedrichstraße beugt sich Claudia Röseler über ein großes Glas Tee. Sie will sich noch einmal aufwärmen, bevor es raus in die Kälte und zur Demonstration geht. Zu der hatten mehr als 40 Aktionsbündnisse aufgerufen, gegen den LNG-Gipfel vor dem Luxushotel Adlon.
Die 29-Jährige engagierte sich erst bei "Fridays for Future" und fühlt sich heute bei Queermany zu Hause, eine queerfeministische Klimagruppe. Lang allein bleibt die Studentin nicht. Friedrich-Janine kommt dazu, außerdem Tim, die ihre Nachnamen nicht öffentlich lesen möchten. Tim ist bei "Extinction Rebellion" organisiert. Später werden sie mit mehr als 600 anderen Menschen nahe des Hotels Adlon friedlich protestieren. "Für mich geht ein Wunsch in Erfüllung, den ich schon seit Jahren habe, nämlich, dass verschiedene Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenkommen, um gegen die Gas-Lobby zu protestieren", sagt Claudia Röseler.
Grüne Farbe, Partyhüte und Pfefferspray
Am Morgen hatten unter anderem Klimaorganisationen wie "Ende Gelände" und "Letzte Generation" bereits rund 300 Menschen mobilisiert. Mit Partyhüten zogen sie vor das Hotel, um "der Lobby die Party zu vermiesen". "Ende Gelände"-Pressesprecherin Fran Leitner hatte einen Tag zuvor angekündigt: "Wir gehen an Orte der Zerstörung, aber auch an Orte, wo Entscheidungen über Zerstörungen getroffen werden."
Das Luxushotel in der Nähe des Brandenburger Tores war bereits von gut 100 Beamten der Berliner Polizei gesichert worden, eine Handvoll Aktivist:innen der "Letzten Generation" schafften es trotzdem über die Polizeiabsperrung. Sie verschütteten grüne Farbe und klebten sich fest. Die Polizei schien überrumpelt – nahm kurzzeitig mehr als 200 Personen fest und stellte nach eigenen Angaben über 150 Strafanzeigen wegen Landfriedensbruchs, 36 wegen Nötigung und vier wegen Sachbeschädigung.
Jule Fink ist Pressesprecherin bei "Ende Gelände" und war am Morgen am Hotel Adlon. Sie macht das Vorgehen der Polizei wütend. Man habe sie auseinandergetrieben. "Menschen haben sehr viel Pfefferspray abbekommen, wurden zu Boden gerungen und dann stundenlang eingekesselt und von vier Seiten gefilmt. Am Ende durften die meisten dann gehen", berichtet Fink.
Polizeisprecher Florian Nath bestätigt gegenüber rbb|24, man habe Pfefferspray "gegen besonders gewalttätige Demonstrierende" eingesetzt. Aber auch ein Polizeibeamter soll dadurch verletzt worden sein. Das Spezialteam, das sich mit dem Lösen der Klimaaktivisten auskennt, wurde laut Nath erst später dazugerufen. Durch das gewaltsame Lösen sollen einige der Demonstrierenden besonders schmerzhafte Verletzungen an den Händen erlitten haben. Mindestens zwei Aktivist:innen wurden laut Polizei wegen Unterkühlung und Kreislaufproblemen ärztlich behandelt. Am Nachmittag war die Polizei dann mit 500 Beamten im Einsatz, unterstützt aus Brandenburg und von der Bundespolizei.
Deutschland im Zentrum der Gas-Lobby
Währenddessen kann die Gas-Branche relativ ungestört im Hotel Adlon unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Der "World-LNG-Summit" findet zum ersten Mal in Deutschland und noch bis Donnerstag statt. Rund 750 Unternehmenschefs und Lobbyisten aus 50 Ländern kommen laut Veranstaltern dort zusammen. Die Ticketpreise sollen bei rund 4.000 Euro beginnen. Auch Vertreter der Bundesregierung, etwa Wirtschafts- und Umweltschutz-Staatssekretär Stefan Wenzel (Grüne), sprachen bei dem Gipfel.
Für Jean-Christian Heintz ist der LNG-Gipfel ein wichtiges Ereignis. Er wird am Donnerstag auf zwei Podien sprechen. Seine Klienten seien öffentlicher und privater Natur und kämen vorwiegend aus Afrika und Asien, erzählt der LNG-Berater. Heintz ist der Überzeugung, dass es nicht ohne Erdgas gehe: "Der Energieverbrauch allein durch den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz ist enorm." Ob Windkraft oder Gas - am Ende entscheide vor allem der Preis, für welche Energieform sich seine Kunden entscheiden, sagt der Schweizer Lobbyist.
Dass Deutschland in diesem Jahr im Zentrum der Gas-Lobby steht, ist nicht verwunderlich. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wollte die Bundesregierung schnell eine Alternative zu russischem Gas präsentieren. LNG solle als "Übergangstechnologie" eingesetzt werden, hieß es immer wieder. Im Eilverfahren entstanden sechs Terminals an vier deutschen Häfen, um das Flüssiggas zu importieren - mit Laufzeiten bis mindestens 2046. Das Erdgas stammt zum überwiegenden Teil aus den USA, dort wird es mithilfe von Fracking, also dem Herauspressen des Gases aus dem Boden, gewonnen.
Eine Studie der US-amerikanischen Cornell University kam Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass LNG damit klimaschädlicher ist als Kohle, wenn die Transport- und Förderungsbedingungen mitgerechnet werden. Dem LNG-Gipfel verleihen die Protestierenden am Abend deshalb symbolisch den Negativpreis für "herausragendes Greenwashing". Zu ihrem Bedauern kommt niemand, um die Auszeichnung abzuholen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.12.2024, 07:30 Uhr