Kritik | 75 Jahre Rio Reiser an der Volksbühne - Ein Abend der Freundschaft
Jahrhunderttalent, Anarcho, König von Deutschland: Ton Steine Scherben-Frontmann Rio Reiser hat die deutsche Musiklandschaft trotz seines frühen Todes tief geprägt. Am Donnerstag wäre er 75 Jahre alt geworden. Die Volksbühne hat groß an ihn erinnert. Von Annette Kufner
Einen schillernden Abend hatten die Veranstalter angekündigt. Und so kam es auch. Das Große Haus der Volksbühne war bis zum letzten Platz besetzt. Im Publikum: Junge wie alte Fans. Auf der Bühne: Musiker, Freunde und Weggefährten von Rio Reiser.
12 Musikacts traten auf, unter ihnen die Frontfrau der Elektropop-Band Mia, Mietze Katz, sowie Volksbühnen-Urgestein und Gundermann-Darsteller Alexander Scheer. Mit dabei war auch Sebastian Krumbiegel von den Prinzen, der Rio Reiser kennenlernte, als dieser einmal unverhofft bei Studioaufnahmen auftauchte und für die Band Essen kochte.
Die meisten der Künstlerinnen und Künstler kannten Rio Reiser persönlich. Manche haben mit ihm zusammengelebt. Andere sind ihm nur flüchtig begegnet. Viele von ihnen traten an diesem Abend barfuß auf, so wie Rio Reiser es immer gerne tat. Gemeinsam ließen sie seine Musik an diesem Abend noch einmal aufleben.
Zu kurzes Leben
Es ist ein Abend für einen, dessen Leben viel zu kurz war. Geboren wurde Rio Reiser am 9. Januar 1950 in Berlin - unter seinem bürgerlichen Namen Ralph Möbius. Er wuchs auf in Frankfurt am Main, brach erst die Schule, dann seine Ausbildung ab. Mit 17 ging er nach West-Berlin und geriet in den Sog der Studentenbewegung. Er spielte Theater und machte Musik. 1970 nahm er mit drei Freunden in einem Kreuzberger Tonstudio seine erste Single auf: den Anarcho-Hit "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Die Band Ton Steine Scherben war geboren.
1985 löste die Band sich auf. Rio Reiser machte Solo weiter; schrieb seine wohl größten Songs "Junimond" und "König von Deutschland". Für viele Fans der ersten Stunde markierte dies das Ende von Reisers Glaubwürdigkeit. Der Mainstream hingegen feierte ihn. Musikkritiker lobten seine Texte und seine "erotische" Stimme. Die feministische Zeitschrift Emma verehrte ihn - und wählte ihn 1986 beinahe zu einer der "10 Frauen des Jahres". 1996 starb Rio Reiser mit nur 46 Jahren an einer inneren Blutung.
Das Vermissen schwingt mit
Bei seiner Geburtstagsfeier an der Volksbühne schwingt das Vermissen immer mit. Einziger Ausweg: Die Musik. "Den Schmerz über den Verlust, den kriegen wir nur bewältigt, indem wir unsere Musik spielen und in die Welt bringen", sagen die noch lebenden Mitglieder von Ton Steine Scherben, die um kurz vor null Uhr die Bühne betreten.
Um Mitternacht wird ein Video abgespielt. Es zeigt einen jungen Rio Reiser, der über den Tod spricht: "Ich glaube nicht, dass das Leben mit dem Tod aufhört. Es gibt doch so viele Möglichkeiten, außer Angst vor dem Tod zu haben – oder ihn als ein tolles Abenteuer auch zu erwarten."
Es ist ein herzerwärmender aber auch nachdenklicher Abend – vor allem aber ein Abend der Erinnerung und der Freundschaft.
Sendung: radioeins, 09. Januar 2025, 08:30