Interview | Ex-Unioner Andreas Luthe - "95 Prozent der Bundesliga-Spieler würden auch für weniger oder gar kein Geld kicken"

Mi 11.12.24 | 17:21 Uhr
Andreas Luthe wurde 2022 von Union Berlin verabschiedet. (Foto: IMAGO / Nordphoto)
Bild: IMAGO / Nordphoto

Union Berlin trifft am Samstag auf den VfL Bochum. Ex-Torhüter Andreas Luthe hat für beide gespielt. Im Interview spricht er über die besondere Wirkung der Alten Försterei, seinen Karriere-Höhepunkt, mentale Probleme im Fußball und das Leben danach.

rbb|24: Herr Luthe, Sie haben im vergangenen Sommer Ihre aktive Karriere als Fußball-Profi beendet. Wie sehr verfolgen Sie noch den Fußball? Kann man jemals so richtig loslassen?

Andreas Luthe: Es fällt mir tatsächlich relativ leicht, loszulassen. Seit meinem Karriereende habe überraschenderweise keinen einzigen Fußball mehr berührt. Ich habe einen klaren Cut gemacht und genieße es aktuell, meine ehemaligen Vereine als Fan zu verfolgen. Diese Perspektive hatte ich vorher noch nie, das genieße ich sehr.

Am kommenden Wochenende kommt es zu einem Duell, dass Ihnen besonders am Herzen liegen dürfte – Ihre Ex-Klubs Union Berlin und der VfL Bochum treffen aufeinander. Was verbinden Sie mit Ihren zwei Jahren in Köpenick? Was waren die größten Höhepunkte in der Zeit?

Ich habe bei Union die erfolgreichste Zeit meiner Karriere erlebt. Ich konnte die Nummer eins in der Bundesliga sein, wir haben uns für europäische Geschäft qualifiziert. Das war der absolute Höhepunkt meiner Karriere. Das werde ich immer mit den Menschen, die dort arbeiten, verbinden. Daher habe ich immer noch eine sehr enge Bindung zu dem Verein.

Was macht denn Union so besonders?

Sie sind auf charmante Art klein geblieben – trotz dieser rasanten Entwicklung der letzten Jahre. Ich war damals ja mittendrin in dieser schnellen Entwicklung vom Aufsteiger zum stabilen Bundesligisten und sich dann sogar regelmäßig fürs internationale Geschäft zu qualifizieren. Trotzdem hat sich im Kern des Klubs wenig verändert. Die Führung ist mehr oder weniger die gleiche, auch die Menschen und das Stadion. Es fühlt sich dort immer noch wie echte Fußballromantik an, dennoch spürt man das hohe Level.

Ihre größere Liebe wird der VfL Bochum sein. Dort wurden Sie zum Profi und haben Sie über 15 Jahre gespielt. Was bedeutet Ihnen der Klub?

Ich habe mit sechs Jahren mein erstes Bundesliga-Spiel in Bochum gesehen, habe dort meine gesamte Jugend verbracht und bin dort Profi geworden. Ich wurde dort sogar Kapitän. Ich habe dieser Stadt und dem Verein mein komplettes sportliches Leben zu verdanken. Das ist eine sehr spezielle und enge Beziehung – mit dem emotionalen Highlight, letzte Saison gemeinsam die Relegation gewonnen zu haben. Das ist mein Klub.

Bochum erlebt bislang eine echte Horror-Saison, steht mit nur zwei Punkten nach 13 Spielen abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz. Haben Sie eine Erklärung für die aktuelle Lage?

Ich glaube, die gewonnene Relegation hat über einige tieferliegende Probleme hinweggetäuscht, die mit in die neue Saison genommen wurden und die so magere Punkteausbeute erklären. Das tut mir im Herzen weh, ich habe den VfL zuletzt häufiger im Stadion gesehen und es sind noch viele Spieler dabei, mit denen ich zusammengespielt habe. Den Spielern sind wenige Vorwürfe zu machen, man sieht, dass sie regelmäßig alles raushauen, aber es reicht auf diesem Level einfach nicht. Das ist die sportliche Realität.

Sie haben in Ihrer Karriere ähnliche Situationen, in denen man mit dem Rücken zur Wand stand, erlebt. Wie geht man in solchen Phasen mit Druck um? Was macht Abstiegskampf mit dem Kopf?

Das ist sehr individuell. Jeder Spieler, der in der Bundesliga spielt, hat seine Daseinsberechtigung. Aber das Problem ist, dass es nicht nur um den Körper, sondern auch um den Geist geht. Der Geist ist dann oftmals vom Fokus weggerückt, den hat man immer schwerer im Griff. Man zweifelt an sich selbst und fragt sich, ob man hier so richtig ist. Je weniger Punkte man holt, desto schlimmer wird es. In dieser Situation braucht es starke Führungskräfte, die den Spielern zur Seite stehen und Halt geben.

Was ist Ihr Bauchgefühl für das Aufeinandertreffen am kommenden Samstag? Was für ein Spiel wird das?

An der Alten Försterei laufen Spiele mehr oder weniger immer auf dieselbe Art ab. Auch als damals im Tor stand, hatte ich immer das Gefühl, dass der Gegner denkt, er habe Union im Griff. Aber letztendlich schlägt das Pendel über die Spieldauer und durch die Unterstützung der Zuschauer auf die eiserne Seite aus. Ich habe die Sorge um meinen VfL, dass es am Samstag genau so kommen wird: Dass der VfL gut in die Partie startet, sich sicher fühlt, Union es aber – auch durch die mittlerweile vorhandene individuelle Qualität – für sich entscheiden wird. Ich hoffe zwar auf einen Bochumer Punktgewinn, glaube aber an einen Heimsieg Unions.

Sie haben mit Bochum, Kaiserslautern und Union Berlin bei großen Traditionsvereinen gespielt, wo es auch mal hitzig werden kann. Dort galten Sie stets als Führungsspieler, waren auch Kapitän. Wie geht man im Sport voran?

Führungsspieler sind Spieler, die auf dem Platz über den Dingen stehen und Mitspieler mitziehen können. Ich glaube, jede Führungskraft im Fußball definiert sich in erster Linie über die eigene Leistung auf dem Platz. Ich kann nicht der große Sprecher sein, aber meine Leistung nicht im Griff haben. Spieler orientieren sich immer an Mannschaftskollegen, die sich in einer Topform befinden. Wenn darüber hinaus auch Kommunikation und soziale Fähigkeiten dazukommen, macht das einen echten Top-Führungsspieler aus. Bei Union ist Rani Khedira das perfekte Beispiel. Er ist fußballerisch immer auf einem gleichbleibenden Level, macht kaum Fehler und will immer den Ball haben. Zudem ist er sozial sehr wichtig und kommuniziert gut. Es ist aber selten, dass ein Spieler all jene Fähigkeiten vereint.

In den vergangenen Jahren haben immer mehr Fußballer – aktiv wie ehemalig – berichtet, wie groß der Druck im Profi-Fußball ist und dass er schlimme Auswirkungen auf die Psyche haben kann. Wie erklären Sie sich das?

Jeder Spieler kommt irgendwann an seine Grenzen – rein sportlich und später auch mental. In dem Moment, an dem du merkst, dass du dein Maximum erreicht hast, scheiterst du auch teilweise. Für mich persönlich war es die Conference-League-Saison, die ich mit Union spielen durfte. Das war für mich leistungstechnisch das absolute Maximum, ich habe danach ja auch nie wieder auf diesem Niveau gespielt. Wenn du diese Grenze erreichst, in der Öffentlichkeit und unter Druck stehst – und du dann auch noch Fehler machst – hat das eine Wirkung auf dich.

Haben Sie in ihrer Karriere einen gesunden Umgang damit finden können?

Ich habe zum Glück früh angefangen, Wirtschaftspsychologie zu studieren und mich mit diesen Fragen zu beschäftigen. So konnte ich erlernte Maßnahmen bei mir selbst anwenden. Der eigentliche Druck ist ja die Öffentlichkeit und wie über Spieler berichtet wird. Da ist es sehr wichtig, dass Vereine Spielern, die damit nicht gut umgehen können, Hilfe bereitstellen. Manchmal braucht man einen Außenstehenden, der einem hilft – daher halte ich Sportpsychologen im Fußball für sehr wichtig.

Wie blicken Sie im Nachhinein auf Ihre Fußballerkarriere und das Geschäft an sich? Viele Kinder träumen vom Profi-Fußball und treffen später womöglich auf eine harte Realität.

Letztendlich hat man eine etwas romantische und blumige Vorstellung von der Fußballkarriere, aber was es bedeutet, jede Woche Topleistungen bringen zu müssen, ist eine ganz eigene Erfahrung. So erkennen Spieler nach ein paar Jahren, dass es nichts für sie ist – und das ist auch vollkommen okay. Leistungsdruck gibt es ja in jedem Job, nicht nur im Fußball. Die Frage ist, ob wir damit umgehen und trotzdem den Spaß beibehalten können. Darum haben wir ja überhaupt begonnen, Fußball zu spielen – weil es uns Spaß macht, nicht weil wir sofort dachten, damit Geld verdienen zu wollen. Ich glaube, 95 Prozent der Spieler in der Bundesliga haben einfach unglaublichen Spaß am Fußball und würden auch für weniger oder gar kein Geld kicken.

Sie waren 15 Jahre Fußball-Profi, die Jahre davor in Bochums Jugendakademie. Wie schwer fällt es, sich von diesem Leben und Rhythmus zu verabschieden, und etwas Neues zu beginnen? Hatten Sie sich darauf vorbereitet?

Mir fällt es überhaupt nicht schwer, liegt aber auch daran, dass ich diesen Abgang und mein neues Leben unheimlich früh vorbereitet habe. Ich habe Wirtschaftspsychologie und BWL studiert, beginnend mit der Zeit in Berlin habe ich mich inhaltlich darauf vorbereitet, bald nicht mehr im Tor zu stehen. Gerade das letzte halbe Jahr in Bochum habe ich jeden Tag genossen, das war eine Abschiedstournee, da ich wusste, dass es im Sommer endgültig vorbei sein wird. Ich konnte so gut abschließen, auch weil ich mich weitergebildet habe, um sofort weitermachen zu können. Mich beim VfL Bochum verabschieden zu können, war perfekt.

Was haben Sie vom Fußball fürs Leben gelernt?

Der Umgang mit Krisensituationen. Das Leben geht eben nicht nur steil bergauf, auch wenn es gerade in erfolgreichen Zeiten möglich scheint. Irgendwann kommt dann doch die Krise. Ich habe gelernt, mich in sehr guten Zeiten darauf vorzubereiten, dass es auch mal wieder runtergeht. Ich bin unglaublich dankbar dafür, das gelernt haben zu dürfen, denn ich stehe nun auf soliden Füßen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Marc Schwitzky.

Sendung: rbb Der Tag, 11.12.2024, 18 Uhr

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden Kommentare, bei denen die E-Mail-Adresse in den Feldern Name, Wohnort oder Text geschrieben wurde, nicht freigegeben. Mit Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie unserer Netiquette sowie unserer Datenschutzerklärung (Link am Ende der Seite) zu. Wir behalten uns vor, Kommentare, die nicht zu einer konstruktiven Diskussion beitragen, nicht freizugeben oder zu löschen. Wir geben keine Auskunft über gelöschte oder nicht freigegebene Kommentare. Mit der Abgabe eines Kommentars erklären Sie sich mit diesen Regeln und den Kommentarrichtlinien des rbb einverstanden.

Nächster Artikel