Urteil in Restitutionsfall - Familie muss Grundstück in Wandlitz an jüdische Organisation zurückgeben

Mi 11.12.24 | 19:57 Uhr
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Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt über Restitution von Haus der Familie Lieske in Wandlitz nach Enteignung von Juden (Quelle: rbb)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 11.12.2024 | S.Tzischke/G.-S. Russew | Bild: rbb

In Wandlitz lebt seit Jahrzehnten eine Familie in einem Haus, das einst zwei Jüdinnen gehörte. Der NS-Staat hatte sie zwangsenteignet. Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in dem Fall entschieden.

Eine Familie in Wandlitz (Barnim) muss ihr Grundstück wegen Rückübertragungsansprüchen zurückgeben. Eine Revision in dem Fall ist am Mittwoch vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen worden. Die Rückübertragung an den Rechtsnachfolger der ursprünglichen Besitzer sei rechtens, hieß es in der Begründung.

Der NS-Staat hatte das Areal, das zwei Jüdinnen gehörte, zwangsenteignet. Die jüdischen Eigentümer hatten das Grundstück 1932 erworben und ein Feriendomizil für jüdische Kinder betrieben. Von den Nazis wurden sie schließlich zum Verkauf gezwungen. Der Großvater der heutigen Besitzerin hatte es 1939 von einem Makler gekauft.

Nun muss das Grundstück an die Jewish Claims Conference (JCC), einem Zusammenschluss von 23 jüdischen Organisationen, als Rechtsnachfolgerin der zwei in Auschwitz ermordeten Jüdinnen gehen.

"Wir wissen nicht, wohin"

Die Familie Lieske lebt seit mehreren Generationen in dem Haus in Wandlitz. 2015 erhielt die Familie einen Brief des Bundesamtes für Offene Vermögensfragen. Weil es keine lebenden Nachfahren der im Konzentrationslager ermordeten jüdischen Frauen - Alice Donat und Helene Lindenbaum - mehr gebe, sollten Haus und Grundstück an die Jewish Claims Conference zurückgegeben werden. Dagegen klagte die Familie - und hat nun vor dem Bundesverwaltungsgericht verloren.

Für sie breche eine Welt zusammen, sagte die 85-jährige Klägerin nach der Entscheidung. "Ich habe mein ganzes Leben in dem Haus verbracht und meine Eltern gepflegt." Die Familie stehe vor dem Nichts, ergänzte ihr 61 Jahre alter Sohn. "Wir wissen nicht, wohin". Die Familie würde sich von der Polizei räumen lassen, sagte er einem rbb-Reporter.

Für die Jewish Claims Conference erklärte ihr Repräsentant in Deutschland, Rüdiger Mahlo, der Enkelin des Hauskäufers sei bereits ein lebenslanges Wohnrecht angeboten worden. Dieses Angebot "bleibt auch nach der Rückübertragung weiterhin bestehen".

JCC unterstützt Holocaust-Überlebende

Die Jewish Claims Conference wurde 1951 in New York geschaffen und vertritt Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer der Nazis und Holocaust-Überlebender. 1952 erkannte die Bundesrepublik die JCC als Verhandlungspartnerin für Entschädigungszahlungen und Restitutionsansprüche an.

Mit den Geldern unterstützt die JCC nach eigenen Angaben Holocaust-Überlebende finanziell. Im Jahr 2024 gehen etwa 535 Millionen Dollar an etwa 115.000 Überlebende in über 80 Ländern, schreibt die JCC auf ihrer Webseite [jcc.org]

Während in der Bundesrepublik bereits in den 1950er Jahren gesetzliche Regelungen für Rückerstattungen und Wiedergutmachungen beschlossen wurden, wurden die Besitzverhältnisse in der DDR zunächst kaum in Frage gestellt.

Einer der letzten Restitutionsfälle

Die Bedingungen änderten sich erst mit der deutschen Einheit. Damals erließ die Bundesregierung das "Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen", welches unter anderem die Wiedergutmachung von Vermögensverlusten im Zweiten Weltkrieg und Rechtsnachfolgen klären soll. In Fällen, in denen die Opfer selbst keine Ansprüche geltend machen konnten, wurde die JCC als Rechtsnachfolgerin eingesetzt. In Fällen, in denen die Opfer selbst keine Ansprüche geltend machen konnten, erkennt das "Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen" aus dem Jahr 1990 die JCC als Rechtsnachfolgerin an.

Mehr als 34 Jahre nach der Wiedervereinigung sind fast alle Fälle von Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüchen in Brandenburg abgearbeitet, die im Zusammenhang mit der Wiedergutmachung von verfolgungsbedingten Vermögensverlusten zur NS-Zeit stehen.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 11.12.2024, 19:30 Uhr

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118 Kommentare

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  1. 118.

    Das hat rechtliche Gründe, weil man damit ja die Rechtsposition der Gegenseite akzeptiert. Und genau das will die Familie ja nicht, sondern geht gegen die Rechtsauffassung der JCC juristisch vor, aus grundsätzlichen Erwägungen.

  2. 117.

    Warum lehnt man ein grosszügiges Wohnrecht ab ?? Es ist kaum zu glauben das manche Menschen sich lieber selbst schaden als den Weg der Vernunft zu gehen….

  3. 116.

    ......nicht nur Ihre, volle Zustimmung, das sehe ich genauso wie Sie.

  4. 115.

    Ich habe im Leben nie (in Zahlen Null mal) die Notlage eines anderen ausgenutzt. Das ist nicht meine Art. Da könnte ich nachts nicht schlafen. Mein Geld verdiene ich mit eigener Leistung. Was ich besitze habe ich auch alles bezahlt.

  5. 114.

    Gnädig finde ich es, den Bewohnern freiwillig ein kostenfreies Wohnrecht bis zum Lebensende anzubieten. Hochmütig finde ich es, das abzulehnen. Aber das sind nur meine persönlichen Empfindungen.

  6. 113.

    Wollen Sie das wirklich wissen liebe Martina? Mich stört ganz einfach ihre stetige, aggressive Art, die Sie den hier kommentierenden entgegen bringen! Geht's nicht vielleicht ein Ticken menschlicher, ohne den Obermacker zu geben! Lieber rbb24, bitte veröffentlichen Sie den Kommentar, da ich darum gebeten wurde, auf den Kommentar zu antworten. Danke!

  7. 112.

    Warum denn so gehässig?Kennen sie die Leute persönlich?Menschen,welche bei solch einer Sache auch noch verbal nachtreten,ohne irgend einen persönlichen Bezug ausmachen zu können...Sehr mutig,das muß man sagen.

  8. 111.

    Klar, müssen die das.
    Oder hat jemand ein anderes Urteil erwartet?

  9. 109.

    Und von den 50% mit Schulden, sind daran vermutlich 80% Prozent selber schuld, weil sie nicht mit Geld umgehen können und jeden Mist im Internet bestellen müssen. Aber ist dann immer leichter auf das böse System zu schimpfen.
    Was das eigentliche Thema angeht: Hätten sie mal das Angebot angenommen. Ansonsten kann man das Urteil schon verstehen.

  10. 108.

    Und was ist da nun übertrieben?
    Dass die ursprünglichen Eigentümerinnen ermordet wurden? Man Sie daran erinnert, dass sie ermordet wurden?
    Das es kein Glück bringt zu glauben, man könne rechtmässiges Eigentum an Vertriebenen, Enteigneten erwerben?
    Das diese Idee durchaus auch nach vielen Jahrzehnten noch schief laufen kann?

    Die wollten halt mit dem Holzhammer eine Arisierung nachträglich legalisieren.
    Gut das auch Hartleibige am ende erfahren müssen: Läuft nicht.

  11. 107.

    Gibt es denn noch so etwas wie Gnade oder ist das auch schon ein Relikt von gestern ?

  12. 106.

    Ja, die Familie kann den gezahlten Betrag vom damaligen Verkäufer (Makler) oder dessen Rechtsnachfolgern zurückverlangen (§ 812 Abs. 1 BGB), da der Vertrag rückwirkend nichtig ist. Das wird jedoch kaum möglich sein. Besser wäre es gewesen, wenn der Großvater (Käufer) sich damals gesagt hätte, ich will keinen billigen Nutzen aus der Ungerechtigkeit ziehen, die anderen gerade widerfährt.

  13. 105.

    War die Angst der Lieskes so groß, dass auf einmal Fremde über ihr Zuhause bestimmen können oder warum wurde das Angebot abgelehnt? Na ja, ich kann irgendwo schon verstehen, dass man befürchtet, auf einmal kommt irgendwer und baut was um oder weiß ich was, wo man vorher "eigener Herr" war. Vielleicht haben sie deswegen abgesagt. (Dass sich enteigneten jüdischen Frauen sich das alles natürlich so auch nicht ausgesucht haben etc., ist klar, ich versuche jetzt nur mal zu überlegen, warum man eine wohlklingende Offerte zurückweisen könnte...) So oder so, dieses Klagen der Lieskes bis sonstewo (rechtsschutzversichert?!?). DAS find ich eigentlich daran am krassesten. Ham wa nich, wolln wa nich, kriegn wa nich, war schon imma so! Typische Brandenburger Dorfdenke. Daher auch von mir: KEIN MITLEID.

  14. 104.

    So leid es mir für die bewohnen Familie tut
    So ist das Urteil und Ergebnis zweifelsohne gerechtfertigt
    Millionen Deutsche die abzuleicht bereit wären den arm zu heben haben von der Ermordung jüdischer Mitbürger provit geschlagen( ich erinnere an einschlägige Literatur nicht nur Götz ali).

  15. 103.

    Ich halte das Urteil für schlüssig und gerecht, sollten der Familie Lieske unbillige Härten entstehen sehe ich die BRD als Rechtsnachfolger in der Pflicht.

  16. 102.

    Schon der Anzahl der Kommentare ist zu entnehmen, dass allein der Vorgang antisemitisches Potenzial hat. Vor allem sekundärer Antisemitismus, Jüd*innen würden sich an Reparationen etc. für das Unrecht unter den Nazis bereichern, schwimmt auch hier, wie auch zuvor in Groß-Gaglow, einem Vorort von Cottbus mit einem identischen Fall, mal unter der Oberfläche, mal sehr deutlich mit.

    Wer jahrzehntelang Nießbrauch betreibt, vom Unrecht profitiert und in fremdem Eigentum lebt, kann sich nicht als Opfer und hilflos darstellen. Wie in allen solchen Fällen hat die JCC einen Mietkauf angeboten. Zudem haben die Nießbrauchenden gegen die bloße Zurückgabe Klage erhoben. Das ist Renitenz, die ihnen nicht zusteht - und unrechtens ist, wie auch das Gericht belegt.

  17. 100.

    Hallo "Infantiler Vergleich", kennen Sie die Lorenzkurve für Deutschland und den Gini-Koeffizienten? 10% Reiche haben 60% des gesamten Vermögens. 50% der Menschen in Deutschland haben kein Vermögen, sondern Schulden.

  18. 99.

    @92, diesen Artikel finde ich schon wieder etwas sehr übertrieben, liebe Martina! MFG ihr Leser

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