Zwei Jahre Bürgergeld - Der lange Weg aus der Arbeitslosigkeit in den neuen Job
Dirk Fellwock hat es geschafft – nach langer Arbeitslosigkeit ist er heute fest angestellt. Doch er ist eher die Ausnahme. Zwei Jahre nach Einführung des Bürgergelds zeigt sich: Nur ein Bruchteil der Erwerbsfähigen findet den Weg zurück in Arbeit. Von C. Rubarth und W. Siebert
"Der bin ich", sagt Dirk Fellwock. "Da war ich ungefähr 20 Jahre alt." Vor dem 47-jährigen Berliner steht ein Foto mit sechs Männern in grauer Marineuniform, Sonne im Gesicht auf einem Kriegsschiff. Fellwock war als junger Mann im Team der elektronischen Kampfführung bei der Marine. Danach holte er seinen Schulabschluss nach und begann eine Ausbildung als Chemielaborant.
"Ich wollte heimisch werden, eine Familie gründen”, sagt er. Ein bis dahin geradliniges Leben - doch ein Neurodermitis-Schub warf ihn aus der Bahn. Er kratzte sich den Körper wund, musste seine Ausbildung abbrechen, begann eine neue zum Automatisierungselektroniker. Hinzu kam, dass er plötzlich alleinerziehend war, sich um seine zweijährige Tochter kümmern musste und wollte. Das alles wurde zu viel - Fellwock fiel in ein Tief, das für mehrere Jahre eine dauerhafte Beschäftigung unmöglich machte: "Da stand plötzlich eine große Mauer vor mir, ich habe versucht rüberzuklettern und das Beste draus zu machen.” Was er wusste: Er wollte seiner Tochter einen guten Start ins Leben ermöglichen. Ein großer Ansporn.

Dirk Fellwocks Jobcenter-Reise
Er kam 2013 ins Jobcenter in Berlin-Spandau. Der wichtigste Schritt, sagt er, sei gewesen, dass die Vermittlerin erkannte: Ein kranker Mensch muss erst gesund werden. "Niemand hat mich zu etwas gedrängt", sagt Dirk Fellwock. Eine Reha brachte den Durchbruch. Nach drei, vier Jahren am Boden, ging es ihm besser – und seine mehrjährige Jobcenter-Reise begann. Sie passt heute in zwei volle graue Aktenordner. "Das sind alles Papiere, die sich in der langen Zeit angesammelt haben: Bescheide, Vermittlungsvorschläge, Änderungsbescheide, Bewilligung von Leistung für Bildung und Teilhabe, Aufforderung zur Mitwirkung, Zuweisung in einer Arbeitsgelegenheit."
Schon 2018 konnte er für zwei Euro pro Stunde bei der Caritas in Spandau anfangen. Aus der Arbeitsgelegenheit kam er in die sogenannte 16 i-Förderung. Das bedeutet, Dirk Fellwock arbeitete bei der Caritas, das Jobcenter aber bezuschusste den Lohn.
Fördern und Fordern - das Prinzip des Bürgergelds
Am 1. Januar 2023, vor zwei Jahren, wurde das “Bürgergeld” eingeführt, das Hartz IV ablöste und mehr Menschen aus Leistungsbezug in Arbeit bringen sollte. Die vorliegenden Zahlen sind ernüchternd: Zwischen November 2023 und Oktober 2024 konnten die Jobcenter in Berlin 69.018 Menschen "integrieren". Das bedeutet: Sie haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, eine berufliche Ausbildung begonnen oder sich selbständig gemacht. Also nur rund jeder fünfte Erwerbsfähige hatte eine neue Perspektive gefunden - für mindestens sechs Monate. Im November 2024, so die Berliner Jobcenter, gab es 446.208 leistungsberechtigte Bürgergeldempfänger in Berlin, davon waren 327.212 erwerbsfähig.
Kritik: Leitprinzip des Bürgergelds nicht eingelöst
In einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung kritisieren die Experten, dass das positive Leitprinzip des Bürgergelds "Fördern und Fordern" nicht eingelöst wird. Schon nach der ersten Bürgergeldzahlung sollten die Menschen deshalb in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gebracht werden. Mehr individuelle Unterstützung und weniger "Verwaltung" fordert die Studie: Qualifizierung, Unterstützung, Vermittlung.
Die Macherinnnen und Macher der Studie sagen aber auch ganz deutlich, dass die Gruppe der Menschen, die Bürgergeld beziehen, sehr heterogen ist, mit Stärken und Schwächen und Problemen. Deshalb fordern sie einerseits eine effektivere Verwendung der finanziellen Ressourcen der Jobcenter, andererseits aber auch eine Unterstützung, die am Bedarf orientiert ist: "Letztlich bedeutet dies auch die Anerkennung, dass eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration von Menschen mit komplexen Problemlagen nur mit zusätzlichen Ressourcen erfolgreich gelingen kann", so ein Fazit der Studie.
Mehr Chancen geben statt Dümpeln im Niedriglohnsektor
Kai Lindemann, Geschäftsführer vom Berliner Arbeitslosenzentrum sieht in der 16 i-Förderung ein gutes Instrument, das aber noch verstärkt werden sollte. Und er zieht einen Vergleich mit anderen europäischen Ländern. "Schweden und die Schweiz haben unterschiedliche, aber von der Stoßrichtung ähnliche Regelungen. Unternehmen werden dazu verpflichtet, bei Neueinstellungen oder grundsätzlich in der Belegschaft einen gewissen Anteil an Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben." Ähnlich wie es in Deutschland die Quoten für Menschen mit Behinderungen seien.
Aber, so Lindemann, deutsche Arbeitgeber gäben ihnen keine Chance. Er sieht in seinen Beratungen vielmehr Bürgergeldbeziehende, die von einer Niedriglohnschleife in die nächste vermittelt würden. "Häufig Männer über 55, ein paar Monate auf dieser Baustelle, ein paar Monate auf der nächsten Baustelle, dazwischen immer wieder Phasen der Arbeitslosigkeit." Ein Dümpeln in der Niedriglohnfalle.
Fellwock ist wie viele Menschen vom Jobcenter an die "Stromspar-Checker" vermittelt worden. Die Gruppe führt im Auftrag der Caritas kostenfreie Beratungen für Haushalte mit geringem Einkommen durch - rund um Strom, Wasser, Heizungen. Als der Leiter in Rente ging, konnte Dirk Fellwock die Leitung für Spandau, teilweise auch für Charlottenburg und Reinickendorf, übernehmen.

Mehr Menschen könnten auf den ersten Arbeitsmarkt
Thomas von Schmude-Trzebiatkowski ist Fallmanager im Jobcenter Berlin-Spandau, in dem auch Dirk Fellwock gelistet war. Fellwocks Weg aus der Arbeitslosigkeit heraus sei kein Einzelfall, sagt von Schmude-Trzebiatkowski. "Aber es könnte viel mehr positive Fälle geben."
Das liege auch an den Arbeitgebern. Unternehmen aus dem Mittelstand müssten ebenfalls bereit sein, jemanden zu nehmen, nicht nur Verbände wie die Caritas. "Einen finanziellen Ausgleich gibt es ja weiterhin", sagt der Fallmanager. Die Arbeitsvermittler hätten aber nicht die Zeit, aktiv Firmen zu suchen, die einen langzeitarbeitslosen Menschen dauerhaft einstellen wollen: "Man muss dranbleiben, dass man jemanden findet, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass es geht. Vielleicht muss man es einfach mehr publik machen, einfach mehr direkt offensiv anbieten."
Bürgergeldempfänger sind sehr unterschiedlich
Gleichzeitig gäbe es auch nach Einführung des Bürgergelds weiterhin viele Menschen, die nicht in Arbeit vermittelbar seien. Von Schmude hat Klienten mit Suchtproblemen, psychischen Erkrankungen und familiären Problemen. Andere müssten nach zwanzig Jahren Arbeitslosigkeit erst einmal trainiert werden, wieder eine Tagesstruktur aufzubauen.
Von Sanktionen wie Leistungskürzungen hält der erfahrene Berater nichts. Die Androhung einer Leistungsminderung sei oft "kein Allheilmittel". Zu unterschiedlich seien die Klienten. "Man muss immer gucken: Was steckt dahinter? Wenn sie Mütter haben, die von ihren erwachsenen Söhnen erzählen, die die Wohnung nicht verlassen, die psychisch krank sind, dann ist die Androhung oder die Umsetzung einer Leistungsminderung fehl am Platze."
Seit Oktober letzten Jahres ist Dirk Fellwock nicht mehr beim Jobcenter gelistet. Er ist jetzt Angestellter bei der Caritas und steht nach über zehn Jahren wieder komplett auf eigenen Beinen. "Wir helfen den Menschen", sagt Dirk Fellwock, "wir kriegen sehr viel positives Feedback".
Sein Leben habe Höhen und Tiefen gehabt, “aber jetzt befinde ich mich wieder Richtung Sonne".
Sendung: rbb24 Abendschau, 26.03.2025, 19:30 Uhr