Restitutions-Prozess - Bundesverwaltungsgericht verhandelt über Grundstücksrückgabe in Wandlitz

Mi 27.11.24 | 14:03 Uhr
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Das Haus der Familie Lieske in Wandlitz.(Quelle:rbb)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.11.2024 | Russew, Georg-Stefan | Bild: rbb

Eine Familie droht ihr Haus in Wandlitz zu verlieren. Der Grund: Die jüdischen Eigentümer wurden in der NS-Zeit zum Verkauf gezwungen. Ein jahrelanger Rechtsstreit um die Rückgabe könnte nun ein Ende finden.

Mehr als 34 Jahre nach der Wiedervereinigung sind fast alle Fälle von Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüchen in Brandenburg abgearbeitet, die im Zusammenhang mit der Wiedergutmachung von verfolgungsbedingten Vermögensverlusten zur NS-Zeit stehen.

Einer der letzten offenen Fälle ist der der Familie Lieske aus Wandlitz (Barnim). Sie soll aus ihrem Haus ausziehen, weil die Nationalsozialisten das Anwesen der jüdischen Besitzerinnen enteignet hatten. Die Vorfahren der Familie Lieske kauften es 1939 von einem Makler. Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wurde am Mittwoch darüber verhandelt. Das Gericht hat die Entscheidung über ein abschließendes Urteil verschoben. Am 11. Dezember solle diese nun erfolgen.

Jüdische Frauen verlieren Haus

Zum Hintergrund: Bereits 1932 hatten Alice Donat und Helene Lindenbaum, beides Frauen jüdischen Glaubens, das Haus gekauft und dort ein Feriendomizil für jüdische Kinder betrieben, bis die Freundinnen von den Nazis zum Verkauf der Immobilie gezwungen worden waren. Der Großvater der Familie Lieske, Felix Moegelin, hatte das Haus dann 1939 von einem Makler erworben und an seine Nachkommen weitervererbt. Seit über 80 Jahren lebt die Familie nun auf dem Grundstück. Aktuell sind das seit 1993/94 die inzwischen 85-jährige Gabriele Lieske und ihr Sohn Thomas.

Jetzt soll das Haus an die Jewish Claims Conference (JCC), einem Zusammenschluss von 23 jüdischen Organisationen, gehen. "Das wäre eine Katastrophe", erklärte Thomas Lieske dem rbb im Mai dieses Jahres. "Man hat sein ganzes Leben hier verbracht, seine Kindheit, Jugend."

Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt über Restitution von Haus der Familie Lieske in Wandlitz nach Enteignung von Juden (Quelle: rbb)Familie Lieske vor dem Haus in Wandlitz

Anspruch auf Rückgabe nach über 50 Jahren

Während in der Bundesrepublik bereits in den 1950er Jahren gesetzliche Regelungen für Rückerstattungen und Widergutmachungen beschlossen wurden, wurden die Besitzverhältnisse in der DDR zunächst kaum in Frage gestellt. Die Bedingungen änderten sich erst mit der deutsch-deutschen Einheit. Damals erlies die Bundesregierung das "Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen", welches unter anderem die Wieder­gutmachung von Vermögens­verlusten im Zweiten Weltkrieg und Rechtsnachfolgen klären soll. In Fällen, in denen die Opfer selbst keine Ansprüche geltend machen konnten, wurde die Jewish Claims Conference als Rechtsnachfolgering eingesetzt.

Da die beiden einstigen jüdischen Besitzerinnen im Konzertrationslager ermordet wurden, ist das bei der Wandlitzer Immobilie zum Tragen gekommen. So hat die JCC eigenen Angaben zufolge bereits Anfang der 90er einen Anspruch auf Rückgabe gestellt.

Kompromiss wird von Familie abgelehnt

Davon hätten die Lieskes aber erst über ein Jahrzehnt später in einem Schreiben vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) erfahren. Die Familie sucht seitdem nach einer Lösung. Aber auch der Gang vor das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) im September 2023 änderte nichts.

Dazu teilte die Jewish Claims Conference dem rbb Mitte des Jahres schriftlich mit: "2017 hat die zuständige Behörde (BADV) entschieden, dass das Haus zu restituieren ist. Dies wurde durch ein Gerichtsurteil vom 28.09.2023 bestätigt. Nach und trotz dieser eindeutigen Gerichtsentscheidung wurde Gabriele Lieske … ein lebenslanges Wohnrecht in dem Haus angeboten. Dieses Angebot wurde von der Familie Lieske abgelehnt."

Anwälte wollen Rückgabe mit Pflegeleistungen aushebeln

Die Lieskes haben unterdessen Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht, weil die Frankfurter Richter eine Ausnahmeregelung aus dem Bundesvermögensgesetz nicht angewandt hätten, erklärte der Rechtsanwalt der Familie Rafael Nath dem rbb. "Unsere Argumentation gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht ist, dass hier dieses Grundstück im Jahre 1993/1994 im Rahmen eines entgeltlichen Geschäfts übertragen wurde - von der Mutter von Frau Lieske an Frau Lieske. Das Ganze erfolgte damals mit einer entsprechenden Grundstücksverkehrsgenehmigung." Teil der Übertragung sei demnach gewesen, dass die Tochter - also die heute 85-jährige Gabriele Lieske - ihre Mutter bis zu ihrem Tod pflegt sowie Kost und Logis erhält. Bis zum Tod der Mutter im Jahr 2012 seien so als Gegenwert für die Immobilie Leistungen in Höhe mehrerer zehntausend Euro erbracht worden.

Wenn sich die Leipziger Richter dieser Argumentation anschließen würden, könnten die Lieskes eventuell auf ihrem Grundstück bleiben. Denn die Ausnahmeregelung des Bundesvermögensgesetzes könnte den Anspruch auf Rückgabe aushebeln, sagt auch der von der Familie mit dem Fall betraute Rechtsanwalt Johannes Wasmuth: "Ich bewerte die Möglichkeit, dass das gewonnen wird, als sehr groß." Allerdings müsste die Familie der Jewish Claims Conference dann rund 100.000 Euro als Ausgleich zahlen.

Sendung: Inforadio, 27.11.2024, 06:31 Uhr

 

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69 Kommentare

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  1. 69.

    "Wenn es Archive gibt, dann sollte man sie auch nutzen, quasi als letzten Strohhalm." Da kommen Sie als Kaufinteressent aber eben nicht ran und im Grundbuchamt ist dies im Ablauf auch nicht vorgesehen. Sonst würden Grundstücksverkäufe sich ja ewig in die Länge ziehen. Als Käufer hat man daher keine Chance, in solchen ungeklärten Fällen eine Immobilie rechtssicher zu erwerben und muss quasi immer mit einer Enteignung rechnen. Für den Rechtsfrieden ist das kein akzeptabler Zustand und hier wäre eine Gesetzesanpassung mehr als notwendig. Die jüdischen Organisationen sollen gerne aus staatlichen Mitteln entschädigt werden, in Fällen wo der damalige Käufer unmittelbar von der Enteignung der jüdischen Eigentümer profitiert hat und dies wusste, auch gerne von den Nachfahren, sofern die noch Eigentümer sind. Aber einer unschuldigen Familie das Heim zu nehmen, ist heute inakzeptabel. Irgendwann muss der Anspruch auf Rückgabe auch mal verfallen, zumal diese das damalige Unrecht nicht heilt.

  2. 68.

    Wie kann man denn das Angebot ablehnen, mit dem lebenslangen Wohnrecht?
    Selber Schuld. Es ist Unrecht und das Haus muss zurückgegeben werden.

  3. 67.

    „ Nur, wenn niemand etwas wusste, wer enteignete dann die Juden, wer entrechtete sie, wer vernichtete sie?“
    Sicherlich nicht eine Familie, die eine Immobilie von einem Makler kauft. Das ist schon sehr weit hergeholt. Das es damals üblich war, die Konfession auf Kaufverträge abzugeben, ist auch nicht überliefert.

  4. 66.

    Ok, kann sein, so gut kenn ich mich nun auch nicht aus mit Immobilienrecht.

    Es scheint aber auch nicht die Antwort auf die Probleme der Lieskes zu sein, denn deren Anwalt wird ja wohl so weit gedacht haben.

    Schönen Abend noch!

  5. 65.

    "Da keine direkten Erben mehr vorhanden sind, kann und darf sich ein JCC nicht einfach als Rechtsnachfolge aufspielen."
    Es scheint Foristen zu geben, die meinen, mit dem Tod der erbenlosen Opfer im KZ hätten sich die materiellen Fragen irgendwie erledigt. Diese Schwamm-Drüber-Haltung erinnert mich irgendwie an die Haltung der Türkei gegenüber den armenischen Völkermordopfern. Das müssen wir uns aber nicht als Vorbild nehmen auch wenn die Geschehnisse hierzulande über 80 Jahre zurückliegen. Insofern: Die JCC "spielt" sich nicht "auf" sondern ist die völkerrechtlich vorgesehene Anspruchsberechtigte für Fälle wie im Artikel beschrieben. Wie die Gerichte letztinstanzlich entscheiden, wird man in zwei Wochen sehen.
    Charakterisierungen der JCC als "gnadenlos", "draufdreschend", nach dem Prinzip "Auge um Auge" handelnd haben für mich übrigens ein äußerst unangenehmen Beigeschmack!

  6. 64.

    Stimmt so nicht, selbst jetzt einen Fall der Grundbuchbereinigung erlebt, in dem ein Besitzer eingetragen war (seit 1950) und als er das Grundstück verkaufen wollte, festgestellt wurde, dass es offensichtlich noch weitere Besitzer gibt, die allerdings nicht im Grundbuch vermerkt waren und die auch wenig davon wussten.

  7. 62.

    Falls JJC das Haus zurückerhält, müsste dann nicht der damalige (1939) Verkaufserlös (jetzt JJC)zurückgezahlt werden? Warum? Geld für etwas erhalten, was man viele Jahre später wieder bekommt! Gleichzeitig scheint JJC aber auch über ein Nutzungsentgeld von € 100.000,-- nachzudenken. Es ist aber leider für uns Laien sehr schwer eine Entscheidung zu treffen. Gesetze gehen vor Gefühl!

  8. 61.

    Im Grundbuch wird nicht gelöscht, nur gerötet. Was gerötet ist, gilt als gelöscht, bleibt jedoch sichtbar. Das ist ein Unterschied.
    Mir ging es nicht um den Erwerb im Jahr 1939, sondern um heute. Wenn es Archive gibt, dann sollte man sie auch nutzen, quasi als letzten Strohhalm. Sicher lassen sich auch noch Geburts- und Sterbedaten der beiden Freundinnen finden, in der Gedenkstätten unterhalb des Holocaustmahnmals gibt es eine Datenbank.
    Es ist ein Puzzle alle Teile zu finden und der Erfolg ist nicht garantiert, einen Versuch ist es jedoch wert.

  9. 60.

    Genau, alle vollkommen unwissend und unschuldig, niemand wusste irgendwas von Nichts. Alle Opfer der Unwissenheit.

    1939 wusste sicherlich niemand, dass Nazis das Eigentum aller Juden sich einverleibten und unter sich aufteilen.
    Nur, wenn niemand etwas wusste, wer enteignete dann die Juden, wer entrechtete sie, wer vernichtete sie? Niemand?

    Mensch sein ist so einfach.




  10. 59.

    Sie gehen immer davon aus, das Familie Lieske alles über das Haus wusste, davon steht überhaupt nichts im Artikel. Im Grundbuch steht immer nur der aktuelle Eigentümer und zum Verkauf ist es bis heute nicht zwingend erforderlich, das sich Käufer und Verkäufer sich persönlich begegnen. Als ich mein Häuschen zwei Orte weiter erworben habe, bin ich auch nicht durch die Straße gerannt und hab die zukünftigen Nachbarn ausgefragt.

  11. 58.

    "Somit ist bei Auffinden der Dokumente nachvollziehbar," Das mag für den Staat gelten, aber eben nicht für die damaligen Käufer. Die haben auf diese Dokumente selbstverständlich keinen Zugriff gehabt und lediglich Einblick ins Grundbuch und in dem steht in der Regel ausschließlich der aktuelle Eigentümer. Voreigentümer werden nach gesetzlich geregelten Fristen gelöscht und selbst wenn die bekannt gewesen wären, ergibt sich daraus nicht der Umstand, wie das vorherige Geschäft zustande kam. Auch Juden durften zumindest in den Anfangszeiten des Regimes durchaus noch ihre Häuser veräußern. Dies wurde dann im Laufe der Jahre immer mehr verschärft.

  12. 57.

    "Im Endeffekt ist das auch nicht so wichtig, etwas in treuem Glauben zu erwerben schützt einen lediglich davor selbst der Strafverfolgung anheim zu fallen." Nö, so banal ist die Angelegenheit eben nicht. Das Grundbuch, in dem die Eigentumsverhältnisse eingetragen sind, genießt öffentlichen Glauben, man darf also darauf vertrauen, dass es stimmt. Ansonsten werden Grundstückskäufe in Zukunft schlicht unmöglich, da praktisch jedes Mal erneut aufwändig geprüft werden müsste, ob irgendwo in der Vergangenheit ein Unrecht begangen wurde. Es gibt hier also gegeneinander gerichtete Rechte und die Justiz hat die nicht einfache Aufgabe, diese gegeneinander abzuwägen, weil der Staat als eigentlicher Nachfolger des Regimes hier den schlanken Fuß macht.

  13. 56.

    ist das nicht schon Eingemeindet? Mir war so, etwas in der Art irgendwo gelesen zu haben. Wenn nicht, sorry für die Falschaussage.

  14. 55.

    Ach, RBB ...

    Widergutmachungen
    erlies
    Rechtsnachfolgering
    Konzertrationslager

    Grüße vom Orthographie-Freak :)

  15. 54.

    Dass RS gerecht ist, der Familie Lieske das Eigentum zu entziehen? Naja, das muss gut begründet sein. Haben Sie es redlich von einem Makler erworben, sieht die Sache anders aus.

  16. 53.

    Die Geschichte des Hauses ergibt sich aus den Eintragungen im Grundbuch, außerdem gibt es auch eine Grundakte, die immer getrennt vom Grundbuch aufbewahrt werden musste. Das ergibt sich dem Sachenrecht im BGB, das auch damals Gültigkeit hatte.
    Somit ist bei Auffinden der Dokumente nachvollziehbar, wer wann was kaufte, von wem, zu welchem Preis und falls mit Kredit, auch zu welchem Zinssatz. Wenn der Staat Eigentümer war, ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau Rechtsnachfolger damaliger Banken, sofern es sich nicht um private Bankhäuser handelte.
    Fehlen Dokumente, lohnt es sich beim Brandenburgischen Hauptarchiv danach zu suchen. Dort finden sich übrigens Hinweise auf Religionszugehörigkeit, denn jüdisch klingende Namen können auch Menschen haben ohne jüdischen Glaubens zu sein. Und bevor das Getröte hier los geht, in unserer Familie gab es auch Ansprüche der JCC, die Verkäuferin des Objekts hatte einen in jüdischen Familien verbreiteten Namen und war evangelisch getauft.

  17. 52.

    Wie kommen Sie jetzt auf Berlin?

    Das Haus steht in Wandlitz. Das liegt im Land Brandenburg, im Landkreis Barnim...

  18. 51.

    Steffen schreibt hier, dass die Käufer gutgläubig gewesen wären.
    Hätten Sie doch richtig gelesen. Die Juden kauften es rechtmäßig der Familie ab und mussten es, kurz vor dem Tod im KZ, dem vorherigen Eigentümer wieder übergeben. Verkauft haben Sie es sicher nicht. Man nahm es gegen eine unter Zwang getätigte Unterschrift zurück. Sie gingen dann in den Tod, nachdem ihnen alles genommen worden ist. Würde, Recht, Besitz und Leben.

    Wer das Haus dann tatsächlich wieder sein Eigen nennen wollte, sei dahingestellt, aber gutgläubig war jener bestimmt nicht. Es fröstelt mich ein wenig, wie manch einer 2024 die Vergangenheit betrachten möchte.

  19. 50.

    Unvorstellbar, heute ist die Welt noch in Ordnung und morgen wird eine Gruppe der Gesellschaft von einer anderen beraubt, entrechtet, ermordet, entmenschlicht. Und sie machten alle mit. In diesem Fall wurde wahrscheinlich der Verkauf des Hauses an Juden ungültig gemacht und der Vorbesitzer holte es sich einfach zurück, wohlwissend, was er da tat. Er machte in dieser Maschinerie mit. Er wusste genau, was er tat.
    Wusste er auch, dass Juden getötet wurden?

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