"Konzert für Berlin" am 12. November 1989 - "Das war für Musikfans ein einziger Traum"

Di 12.11.24 | 08:32 Uhr
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Beim "Konzert für Berlin" singen am 12.11.1989 in der Deutschlandhalle u.a. Joe Cocker, Wolf Maahn, Heinz-Rudolf Kunze, Udo Lindenberg, Ulla Meinecke, Pannach & Kunert, Uwe Schneider (Quelle: imago images/BRIGANI-ART)
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Audio: Radioeins | 08.11.2024 | Interview mit Andreas Ulrich | Bild: imago images/BRIGANI-ART

Drei Tage nach dem Mauerfall findet am 12. November 1989 in der Deutschlandhalle das "Konzert für Berlin" statt. Mit dabei sind Nina Hagen, BAP, Silly und Joe Cocker, der extra seine Tournee unterbricht. Im Publikum ist rbb-Moderator Andreas Ulrich.

rbb: Andreas Ulrich, Sie waren vor 35 Jahren beim "Konzert für Berlin" in der Deutschlandhalle im Westteil der Stadt. Welche Bedeutung hatte das?

Andreas Ulrich: Drei Tage nach dem Mauerfall bin ich über den damals frisch eröffneten Grenzübergang Potsdamer Platz mit dem Trabi und zwei Kollegen getuckert. Wir drei wollten zum "Konzert für Berlin". Das war ein Mammutkonzert. Die Deutschlandhalle war damals West-Berlins wichtigste Konzerthalle. Es startete um 13 Uhr ging bis Mitternacht.

Wer ist alles aufgetreten?

Es waren alle da, die damals in Deutschland, Ost und West, etwas zu sagen hatten in der Musik: BAP mit Wolfgang Niedecken, Die Toten Hosen, Udo Lindenberg, Ulla Meinecke, Nina Hagen, Joe Cocker ist extra eingeflogen von seiner Europatournee aus Dänemark.

Aus dem Osten waren Tamara Danz und Silly dabei und Pankow. Das war für Musikfans wie mich ein einziger Traum.

Wie konnte das Konzert so schnell organisiert werden?

Das haben unsere Vorgänger gemacht von "S-F-Beat", der Jugendsendung vom Sender Freies Berlin, SFB 2. Innerhalb von zwei Tagen wurden all diese Musikerinnen und Musiker zusammengeholt, die Halle wurde klar gemacht. Das Konzert wurde live im Radio übertragen. Dummerweise hat das Fernsehen vom SFB damals seine Kameras schon verplant gehabt. Die standen nämlich am Potsdamer Platz in der Philharmonie, weil dort ein Konzert gefilmt wurde. Deswegen gibt es leider keinen Fernsehmitschnitt von damals.

Hinter der Bühne in der Deutschlandhalle sitzen am 12.11.1989 Tamara Danz, Udo Lindenberg und Joe Cocker (v.l.n.r.) am Tisch (Quelle: imago images/BRIGANI-ART)Drei Tage nach dem Fall der Mauer sitzen Tamara Danz, Sängerin der Ost-Band Silly, Udo Lindenberg und Joe Cocker an einem Tisch.

Was ist Ihnen von diesem "Konzert für Berlin" in Erinnerung geblieben als junger Reporter von DT64, dem Jugendprogramm des DDR-Rundfunks?

Das war die große Freude, das war das große Glück. Da haben 10.000 Leute, insgesamt waren den Tag über wohl 50.000 Leute da, mitgesungen. Ich habe hinter der Bühne zum Beispiel Nina Hagen getroffen. Ich habe sie gefragt, was sie dazu sagt, dass ihre Landsleute im Osten in den letzten Wochen eine friedliche Revolution auf die Beine gestellt haben.

"Die Ostdeutschen haben gezeigt, dass wir zusammen stark sind. Wenn wir vereint sind, sind wir stark", antwortete sie mir auf englisch, weil auch eine englische Reporterin dazu kam.

Udo Lindenberg erzählte mir, bevor er auf die Bühne ging, dass er sein Lied "Sonderzug nach Pankow" an dem Tag schnell noch umgetextet hatte:

Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug aus Pankow?
Wir müssen mal eben nach West-Berlin.
Man glaubt es ja kaum, es ist ja alles wie ein schöner Traum.
Wir haben eine Flasche Cognac mit und das schmeckt sehr lecker.
Das trinken wir jetzt alleine und zwar ohne Honecker
Wir gehen demonstrieren und prosten uns zu.
Wer ist denn hier der Ochs? Wer ist denn hier der Esel? Wer die blinde Kuh?

Konzert für Berlin

"Konzert für Berlin" am 12.11.1989 in der Deutschlandhalle mit u.a. mit Joe Cocker, Wolf Maahn, Heinz-Rudolf Kunze, Udo Lindenberg, Ulla Meinecke, Pannach & Kunert, Uwe Schneider (Quelle: imago images/BRIGANI-ART)
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- innerhalb von zwei Tagen von Redakteuren der Radiosendung "S-F-Beat" organisiert

- ursprünglich sollte das Konzert vor dem Reichstag stattfinden. Wegen Sicherheitsbedenken wurde es in die Deutschlandhalle (Berlin-Westend) verlegt

- das Konzert mit freiem Eintritt dauerte insgesamt elf Stunden; über den Tag verteilt wurden etwa 50.000 Besucher gezählt

- Musiker:innen wie Nina Hagen, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg, Silly, Pankow, Puhdys, Nena, Heinz-Rudolf Kunze, Melissa Etheridge oder Ulla Meinecke traten auf

- Die Toten Hosen und Joe Cocker unterbrachen ihre Tourneen

- am 31. Oktober 2014 - zum 25-jährigen Jubiläum - erschien unter dem Titel "Mauerfall - Das Legendäre 'Konzert Für Berlin' '89" ein Auszug des Konzertmitschnitts auf CD

- Holger Senft drehte mit dem Titel "Set me free. Konzert für Berlin 12. November 1989" mit seinem Kameramann Dieter Hoffmann eine Filmdokumentation des Konzerts, die Uraufführung fand im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin am 16. Februar 1990 statt

Wurde auch schon von der deutschen Einheit gesprochen oder war alles nur pure Euphorie?

Es war ein Thema. Es gab am Vortag am Schöneberger Rathaus diese Kundgebung, wo der damalige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl extra aus Bonn eingeflogen war, um auch noch ein bisschen was vom Mantel der Geschichte abzukriegen. Es hat irgendjemand plötzlich das Deutschlandlied angestimmt, also die westdeutsche Nationalhymne, wo krumm und schief gesungen wurde. Das hat sich furchtbar angehört. Im Hintergrund haben, glaube ich, noch ein paar hundert Autonome aus Kreuzberg gepfiffen.

Aber mit Kohls Auftritt war das plötzlich Thema: 'Hey, wir machen aus der friedlichen Revolution jetzt die deutsche Einheit'. Darüber waren viele Musiker stinksauer, wie zum Beispiel Udo Lindenberg oder Wolfgang Niedecken. Richtig sauer war auch Ulla Meinecke bei dem Thema:

"Ich finde es ziemlich widerlich, dass diese Ereignisse, die von der DDR-Bevölkerung erkämpft worden sind, dass das sofort benutzt wird für irgendwelche großdeutschen Töne. Das finde ich widerwärtig. Die DDR-Leute brauchen nicht irgendwelche arroganten Westler, die ihnen jetzt vorschlagen, was sie nun machen sollen."

So lief das damals beim "Konzert für Berlin" in der Deutschlandhalle.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Andreas Ulrich führte Julia Menger für Radioeins.

Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

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Sendung: Radioeins, 08.11.2024, 08:40 Uhr

Kommentar

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15 Kommentare

  1. 15.

    Ich war etwas danach zum POQUES-Konzert, 1980 oder 91! War schön jewesen!

  2. 12.

    Sie haben es sich nicht "aufdrücken" lassen. Sie sind in weiten Teilen den Worten (Mantra) gefolgt, dass es nur jetzt die einmalige historische Chance gäbe, dass Deutschland wieder ein Land werden könne; nur jetzt ein kurzes Zeitfenster bestünde, bevor sich dieses wieder schließen würde. Dafür MÜSSE man aber bei der Volkskammerwahl im Frühjahr 1990 das Kreuz bei xy setzen. Wenn die meisten Bürger - mit wenigen Ausnahmen - die Folgen einer schnellen Einheit nicht absehen konnten, lag dies ganz simpel darin begründet, dass man in einem ANDEREN GESELLSCHAFTS- UND WIRTSCHAFTSSYSTEM aufgewachsen war. Per se von den Ossis zu erwarten, dass ihnen der schnelle Niedergang der ostdeutschen Industrie hätte ja klar sein müssen, ist insofern eine Fehlannahme. Und völlig verkennt, dass man dabei durch die "westdeutsche Brille" urteilt über etwas (Folgenabschätzung), dass man eher zu beurteilen in der Lage gewesen wäre.

  3. 10.

    Es wurde damals ein Film darüber produziert, Titel "Set me free". Es wurde auch ein vollständiger Audio-Mitschnitt gemacht. Leider ist nicht alles davon im Archiv. Was ist aus Holger Senft geworden? Hat der noch das Filmmaterial?

  4. 9.

    Liebes RadioEins-Team,
    die Aussage von Andreas Ulrich zum Fernsehmitschnitt stimmt so nicht. Es existiert ein sehr guter Zusammenschnitt des Konzertes im rbb Archiv. Länge: 43 Minuten.

  5. 8.

    Videorekorder? der hätte eine TV-Übertragung vorausgesetzt. Sie meinen wohl eher Videokamera. Die waren damals noch groß, sperrig teuer und wenig geeignet, um „unauffällig“ ein Konzert mitzuschneiden. Ist also sehr unwahrscheinlich.

  6. 7.

    Sorry!

  7. 6.

    Joe Cocker?

  8. 4.

    ´Lieber auf neuen Wegen stolpern als in alten Bahnen auf der Stelle treten.´ Das könnte ggf. eine Ermutigung sein.

    All zu Viele wollen "ihr eingefahrenes Gleis" nicht verlassen und all zu schnell - v. a. im Internet - wird einfach über etwas rübergehuscht. Bevor ein Argument überhaupt einsickern konnte, sind schon die ersten Worte der Gegenrede formuliert.

    90 % - 95 % ist so verstanden Pingpong; die Frage ist, ob 5 - 10 % ausreichen, eine Gesellschaft an Erkenntnissen und neuen Handlungsweisen weiterzubringen.

  9. 3.

    Im Grunde genommen sind die Probleme von heute überall gleich.
    Es hat auch viel mit den sozialen Medien zu tun.
    Die Menschen bekommen durch die Algorithmen Bestätigung in ihren festgefahrenen Meinungen.

    Da hilft nur Bildung :)

  10. 2.

    Danke für diese Einblicke. Schade, dass dem SFB2-Team damals der Weitblick fehlte und es keine Aufzeichnung gibt. Oder waren evtl. Videorekorder am Start (illegal?) Könnte man ja mal nachforschen...

  11. 1.

    Wie wahr, was die Ulla Meinecke damals gesagt hat, Wir hätten den 17 Mio Deutschen (Ost) nicht einfach unsere Idee von Gesellschaft und Leben aufdrücken sollen. Entschuldigend könnte man sagen, Gott, sie haben es sich auch bereitwillig aufdrücken lassen. Jetzt haben wir den Salat. Politik und Gesellschaftsverdrossenheit und Liebäugelei mit der Diktatur. Die Stimmung von damals, nix mehr übrig davon.

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