Raserei und Autorennen - Verkehrsforscher fordert: kein Führerschein für junge Männer unter 26

Fr 08.11.24 | 17:06 Uhr
Symbolbild: Straßenverkehr in Berlin. (Quelle: dpa/Shotshop)
Bild: dpa/Shotshop

Ob auf dem Ku'damm, der Hermannstraße oder auf der Stadtautobahn: Immer wieder wird in Berlin mit Autos gerast. Immer wieder gibt es Verletzte oder gar Tote. Verkehrsforscher Andreas Knie macht einen radikalen Vorschlag.

Sportmodus rein, linke Spur und dann Vollgas. So in etwa könnten die Gedanken eines jungen Mannes ausgesehen haben, der am Mittwoch mit knapp 200 Stundenkilometern über Berlins Stadtautobahn gerast ist. Erlaubt sind dort 80 Kilometer pro Stunde. Der junge Mann verliert seinen Führerschein und bekommt eine Geldstrafe. Verletzt wurde niemand.

Fast zwei Rennen pro Tag

Die Polizei Berlin erklärt auf rbb|24 Nachfrage, dass es in Berlin keine feste "Raser- beziehungsweise Rennszene" gebe. Dennoch stellten die Einsatzkräfte im vergangenen Jahr 593 verbotene Kraftfahrzeugrennen in der Stadt fest. Fast zwei am Tag. Diese hätten sich an insgesamt "308 unterschiedlichen Örtlichkeiten im gesamten Stadtgebiet" ereignet, teilt Polizeisprecherin Anja Dierschke rbb|24 schriftlich mit. Es ist allerdings zu betrachten, dass in diese Statistik auch Fluchten vor der Polizei Eingang finden. Wenn jemand also vor der Polizei wegrast, um nicht gestellt zu werden, wird das als Rennen gewertet.

Dass Rasen in der Stadt gefährlich ist, zeigt ein Vorfall aus der nahen Vergangenheit. Am vergangenen Samstag fegte ein Mann in seinem Auto mit hoher Geschwindigkeit durch Schöneberg. Nach Zeugenangaben soll er an der Kreuzung zur Pallasstraße über Rot gerast sein. Er knallte in ein anderes Auto. Die Wucht des Aufpralls war so hoch, dass sich sein Auto überschlug und noch zwei weitere Autos traf. Vier Personen wurden verletzt, darunter ein Zehnjähriger. Und eines hatte der Unfall in Schöneberg mit dem Raser-Vorfall von Mittwoch gemeinsam: In beiden Fällen saßen junge Männer am Steuer.

Verkehrsforscher: Führerschein erst mit 26

"Das sind alles Männer", erklärt der Verkehrsforscher Andreas Knie. Die meisten seien zwischen 20 und 26 Jahre alt. "Da stecken alte archaische Strukturen dahinter und ein längst veralteter Männlichkeitswahn, der da seine Auslebung findet", so Knie. Vor allem dieser Reiz des Verbotenen mache es für die jungen Männer so attraktiv.

Knie hat einen radikalen Vorschlag, um das Problem in den Griff zu bekommen: "Wenn die Unfälle durch Raserei nicht abnehmen, muss darüber gesprochen werden, ob Männer erst mit der Vollendung des 26. Lebensjahres einen Führerschein bekommen sollten." Als Alternative nennt er ein System, wie es bereits beim Motorradführerschein angewendet wird.

Erwirbt man als Jugendlicher oder junger Erwachsener einen Motorradführerschein, heißt das noch lange nicht, dass man eine Rennmaschine wie die von Ex-Weltmeister Valentino Rossi fahren darf. Ein Motorrad ohne Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit darf man erst ab 24 Jahren fahren oder mit 20 Jahren, wenn man bereits einen Führerschein seit zwei Jahren hat.

38 stationäre Blitzer in Berlin

Um Menschen vom zu schnellen Fahren abzuhalten, gibt es sogenannte Blitzer. Oder wie es im Beamtendeutsch heißt: Stationäre Messanlagen. Von denen gebe es im Berliner Stadtgebiet 38 Stück, teilt die Polizei rbb|24 auf Nachfrage mit. Stationäre Blitzer würden das Problem aber nicht lösen können, heißt es weiter. "Ferner führt die Installation einer ortsfesten Radaranlage häufig dazu, dass Kraftfahrzeugführende, auch unter Nutzung unzulässiger Applikationen, die Geschwindigkeit in der Nähe bekannter Anlagen reduzieren." Blitzerapps und ähnliches nutzen viele. Und wer viel im Stadtgebiet Auto fährt, weiß, wo Blitzer stehen und bremst kurz ab.

Anders sieht das bei mobilen Blitzeranlagen aus. "“Die Polizei Berlin setzt auf die Durchführung von mobilen Geschwindigkeitskontrollen, um flexibel auf die deliktsbezogene Verkehrsunfalllage reagieren zu können. Auf diese Weise kann der Kontrolldruck anhaltend hochgehalten werden", erklärt Polizeisprecherin Dierschke. Das Ziel sei es, "das subjektive Entdeckungsrisiko durch Gewährleisten eines permanenten Überwachungsdruckes möglichst hoch zu halten, dass eine polizeiliche Kontrolle zu jeder Zeit und an jeder Örtlichkeit im Straßenverkehr als durchaus realistisch empfunden wird bzw. nicht ausgeschlossen werden kann." Doch bei knapp 600 Autorennen in Berlin im vergangenen Jahr scheinen sich viele noch recht unentdeckt zu fühlen.

Höhere Strafen gefordert

Der junge Mann, der am Mittwoch mit fast 200 Stundenkilometern über die Stadtautobahn gerast ist, wurde erwischt. Er war noch in der Probezeit. Nach Angaben der Polizei muss er nun eine Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPU) machen, mindestens 1.600 Euro Strafe zahlen und er verliert seinen Führerschein für drei Monate. "Viel zu wenig", meint der Verkehrsforscher Andreas Knie.

"Das reicht offensichtlich noch nicht. Der erste Impuls wäre, die Strafen deutlich zu erhöhen", so Knie. Im deutschen Verständnis werde Geschwindigkeitsüberschreitung als Kavaliersdelikt angesehen. "Zu schnell fahren zieht noch keine gesellschaftliche Ächtung nach sich. Die fehlt noch. Dann könnte sich etwas ändern."

Nächster Artikel