Festanstellung von Honorarkräften - Musikschule in Märkisch-Oderland befürchtet das Aus

Do 07.11.24 | 18:25 Uhr
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Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 07.11.2024 | Michel Nowak | Bild: rbb

Ein Gerichtsurteil führt dazu, dass Musikschulen ihre Dozenten nicht mehr dauerhaft als Honorarkräfte engagieren können, sondern fest anstellen müssen. Eine Musikschule in Brandenburg fürchtet um ihre Zukunft.

Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts sind zahlreiche Honorarkräfte an Musikschulen mittlerweile als scheinselbständig eingestuft. Die betroffenen Musikschulen müssten die Zusammenarbeit beenden oder die Lehrkräfte festanstellen. Dafür fehlen den meisten Schulen jedoch die finanziellen Mittel. Wie die Umsetzung des Urteils genau aussehen soll, wird derzeit noch verhandelt.

Welche Herausforderungen die Rechtsprechung mit sich bringen könnte, zeigt das Beispiel der Musikschule Hugo Distler in Petershagen/Eggersdorf (Märkisch-Oderland). Dort sind mehr als 90 Prozent der Dozenten betroffen, sagt Leiter Alexander Braun.

Zusätzliche Kosten durch Anstellungen

Würden die Musikschulen verpflichtet werden, alle Honorarlehrer einzustellen, dann gebe es zwei Probleme: "Das eine ist, dass die Schule mit erheblichen Mehrkosten rechnen muss. Diese Mehrkosten sind so exorbitant, dass sich viele Träger das nicht leisten können." Braun rechnet mit rund 200.000 Euro, die man zusätzlich aufbringen müsste. Die Konsequenz wäre, dass die Schule pleite wäre und geschlossen werden müsste.

Der zweite Punkt beträfe die Lehrer selbst, die nicht in Festanstellung arbeiten möchten, so Braun: "Ich habe hier in der Musikschule eine Umfrage gemacht und die allerwenigsten von circa 50 Honorarkräften wollen in eine Festanstellung."

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Musiklehrer Ralf Ehrlich mit Schülerin | Bild: rbb

Existenzsorgen nehmen zu

Die Ablehnung einer Festanstellung erklärt Braun mit dem Lebensmodell, das sich viele Musiklehrende so aufgebaut hätten: "Sie haben Musik studiert, sie beschäftigen sich mit Kunst und Kunst ist kreativ und sie ist frei."

An der Musikschule Hugo Distler wäre auch Ralf Ehrlich betroffen, der Kindern und Jugendlichen dort seit acht Jahren Klavierunterrichtg gibt und sich für den Ernstfall vorbereitet: "Ich bin es gewohnt, in der Selbstständigkeit zu wissen, dass man ab und zu seine Kunden verliert. Ich muss mir zumindest Gedanken machen und einen Plan B zu überlegen, ist auf jeden Fall was ich lernen musste, weil es häufig schon der Fall gewesen ist."

Bei Musikschullehrerin Janina Press verursacht das Gerichtsurteil zusätzliche Existenzsorgen: "Als Honorarkraft hat man immer Angst. Es ist schwierig, eine Arbeit zu finden. Und dann ist es schwierig, eine Arbeit zu behalten."

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Schulleiter Alexander Braun | Bild: rbb

Höhere Kosten für Musikschüler

Noch wird die Tätigkeit als Honorarkraft toleriert. Wird das Urteil umgesetzt, könnten deutlich höhere Schulentgelte bei gleichzeitig weniger Angeboten die Folge sein.

Damit der Musikunterricht auch langfristig aufrechterhalten werden kann, fordert Schulleiter Alexander Braun, dass der Gesetzgeber reagiert und die bisher geltenden Regeln weiter gelten.

"Wir müssen den Status beibehalten, den wir haben. Wir brauchen unsere Honorarlehrkräfte. Und wir müssen in die Situation versetzt werden, dass wir weiter qualitativ hochwertigen Unterricht für die Kinder und Jugendlichen durchführen können."

Das "Herrenberg-Urteil"

Im "Herrenberg-Urteil" stellte das Bundessozialgericht 2022 fest, dass eine Klavierpädagogin, die 15 Jahre auf Honorarbasis in einer Musikschule in Herrenberg (Baden-Württemberg) gearbeitet hatte, in einem abhängigem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und damit Recht auf eine gesetzliche Sozialversicherung gehabt hätte.

Das Urteil führte dazu, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ihre Prüfkriterien für Honorarkräfte in Musikschulen verschärfte. Im Juni 2024 präsentierte die DRV einen Kriterienkatalog für Selbstständige, nach dem zahlreiche Honorarkräfte an Musikschulen zukünftig als scheinselbstständig eingestuft werden müssten.

Arbeitsgruppe fordert längere Übergangszeit für Umwandlung

Laut der Gewerkschaft Verdi werde die Umwandlung an Musikschulen hin zu flächendeckenden, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen unterschiedlich gut umgesetzt. So seien die Festanstellungen in einigen Kommunen bereits Usus gewesen, andere hätten ihre Lehrkräfte zum neuen Schuljahr 2024 angestellt. Wie im Fall der Musikschule Hugo Distler würden es manche Schulen auch weiterhin mit Honorarkräften versuchen. Dies würde sowohl öffentliche als auch private Musikschulen betreffen.

Die "Arbeitsgruppe Musikschulen", in der neben Verdi auch der Verband deutscher Musikschulen (VdM), der Bundesverband Freier Musikschulen (bdfm), der Deutsche Tonkünstler Verband (DTKV) und der deutsche Landkreistag vertreten sind, hat in einer Stellungnahme im September eine längere Karenzzeit gefordert, um "ein geordnetes Umwandlungsverfahren für Beschäftigungsverhältnisse und/oder von Organisationsmodellen" zu ermöglichen. Die Übergangszeit soll maximal bis zum 31.12.2026 laufen.

Weitere Verhandlungen zwischen der AG Musikschulen, der DRV und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Bmas) sollen im Dezember stattfinden und sich mit Lösungen befassen, wie Honorartätigkeiten an privaten Musikinstituten in Zukunft rechtskonform möglich sein können. Das Abschlussgespräch mit allen betroffenen Verbänden ist für Januar 2025 im Bmas geplant.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 07.11.2024, 19:30 Uhr

Mit Material von Michel Nowak

9 Kommentare

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  1. 9.

    Jeder, der einer entlohnten Arbeit/Beschäftigung nachgeht, sollte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und zwar unabhängig davon, ob er Angestellten/Arbeiter/Honorakraft/Selbständig oder Beamter ist. Jeder hat für sein Alter oder im Fall einer Erkrankung bzw. Erwerbsminderung eigenverantwortlich vorzusorgen. Das entlastet auch die Sozialkassen. Versicherungsfremde Leistungen (Leistungen, die erbracht werden, obwohl keine Beiträge gezahlt wurden) sind von Alles aus dem Steuertopf zu finanzieren oder diese Leistungen werden abgeschafft. Unterstützung ur für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründe nicht in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten.

  2. 8.

    Die Folge aus der zu niedrigen Bezahlung in der Scheinselbständigkeit ist dann leider auch, dass diese Lehrkräfte sich nicht ausreichend abgesichert haben, weder mit Kranken-, noch mit Renten- oder Verdienstausfallversicherung. Auch Urlaube ohne Einkommen müssen ja irgendwie überbrückt werden. Diese Kosten mit eingepreist, kann eine Honorarkraft nicht billiger sein, als eine Festangestellte. Im Zweifel fallen diese Personen dann irgendwann den Sozialkassen zur Last und damit werden die Kosten auf uns alle abgewälzt.
    Wenn Honorarkräfte das alles tatsächlich nicht wollen, dann ist der Weg dafür aber auch sehr einfach: Sie müssen bei mehreren Schulen tätig sein, so dass kein arbeitgebermäßiges Beschäftigungsverhältnis entsteht.

  3. 7.

    Festangestellte Musikschullehrkräfte in Berlin erhalten meines Wissens nach bereits jetzt die Möglichkeit nebenberuflich künstlerisch tätig zu sein. Musikschulleiter, die darin keinen Vorteil für die Qualität und Außenwirkung der Schule sehen, sollten noch einmal die Schulbank drücken. Und ja, etwas Freiheit muss die Lehrkraft vielleicht aufgeben, hat dafür aber auch die Freiheit mit 70 die Geige an den Nagel zu hängen!

  4. 6.

    Ich finde es erschreckend, wie sich hier 50 % der Lehrkräfte defacto gegen ihre eigene bessere Bezahlung und soziale Absicherung aussprechen und damit nicht nur sich selbst in den Abgrund ziehen: Sie sorg(t)en dafür, dass auch die übrigen 50% über Jahrzehnte bereits in schlechten Verhältnissen lebten und künftig, spätestens im Rentenalter, damit leben müssen.

  5. 5.

    Es erstaunt mich wirklich, zu lesen, daß Musikschullehrkräfte den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Und das schon seit vielen Jahren. Nur weil etwas schon immer so gemacht wurde, bedeutet nicht, daß es gut ist. Wie hier schon ausgesagt wurde, begleitet uns als Honorarlehrkräfte ständige, krank machende Existenzangst, schlechte Bezahlung und Geringschätzung. Die meisten von uns sind außerdem von Altersarmut betroffen. Das muss sich dringend ändern! Es gibt außerdem noch eine Menge mehr Instrumente an Musikschulen, die nicht so stark frequentiert sind wie Klavier und Gitarre. Davon kann man dann nicht leben. Ausserdem gibt es keinerlei Schutz für die Berufsausübung, die Qualität betreffend. Auch Unstudierte werden häufig eingestellt. Lehrkräfte, die keine Festanstellung wollen, weil sie hauptberuflich in Orchestern oder anderen Ensembles arbeiten, haben nichts an einer Musikschule verloren. Sie verdienen schon genug Geld mit einer Festanstellung und erschweren das Leben für die anderen!

  6. 4.

    Wenn man seine Angestellten nicht bezahlen kann, dann stimmt halt das Geschäftsmodell der Firma, hier der Musikschule, halt nicht und der Betrieb kann nicht mehr weitergeführt werden. Die Alternative wären dann rein kommunale Musikschulen, welche nicht wirtschaftlich wie ein privater Betrieb arbeiten müssen. Wäre also eine politische Entscheidung zu Prioritäten im Bildungsangebot.

  7. 3.

    Die Regeln können nicht weiter bleiben, wie sie waren, denn sie sind asozial. 1. Warum soll ein freier Mitarbeiter weniger Brutto haben als ein Angestellter, obwohl er das volle Risiko allein trägt ohne soziale Netze. 2. Wenn mir Ort, Zeit, Schüler und ggf. Inhalt regelmäßig vorgegeben werden, bin ich nicht selbstständig tätig. Viele Musiker sind Diplom-Absolventen. Zeit, dass ihre Bezahlung dem auch entspricht.

  8. 2.

    Die Kosten werden jetzt steigen, weil viele Lehrkräfte über Jahre hinweg in einer Scheinselbständigkeit gearbeitet & dadurch zu wenig Geld bekommen haben. Da ist es doch gut, dass sie endlich mehr Geld & Sicherheit in einer Festanstellung bekommen.
    Wenn die Musikschule findet, dass die Preise zu teuer werden, sollen sie sich lieber auf politischer Ebene dafür einsetzen, dass Musikschulen mehr gefördert werden, statt Arbeitskräfte über Jahre schlecht zu bezahlen & dann medial darüber zu jammern.

  9. 1.

    Zum Artikel ist richtigzustellen, dass die Klägerin beim Rechtsstreit, welcher mit dem sogenannten Herrenberg-Urteil beigelegt wurde, das Land Baden-Württemberg war. Die Musiklehrerin aus Baden-Württemberg war demnach nicht die Klägerin, sondern lediglich die betroffene Beigeladene. Das Bundesland Baden-Württemberg hatte hier gegen einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund geklagt.

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