Streit um Honorarkräfte - Freien Musikschullehrern in Berlin droht Arbeitslosigkeit

Mo 27.05.24 | 14:52 Uhr | Von Lukas Haas
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Symbolbild:Eine Violine liegt auf einem Stuhl.(Quelle:picture alliance/dpa-Zentralbild/J.Büttner)
Audio: radio3 | 24.05.2024 | Nachrichten | Bild: picture alliance/dpa-Zentralbild/J.Büttner

Freie Musikschullehrer in Berlin fürchten Arbeitslosigkeit und Unterrichtsausfall, weil ihre Honorarverträge größtenteils rechtswidrig sind. Jetzt stellt der Senat zwar eine grundlegende Änderung in Aussicht. Doch die Zeit drängt. Von Lukas Haas

  • Viele der rund 2.000 freie Honorarkräfte an Berliner Musikschulen wissen nicht, ob ihre Verträge ab August verlängert werden
  • Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts ist ihre Beschäftigung wohl größtenteils rechtswidrig
  • Die Senatsverwaltung für Kultur prüft die Möglichkeit der Festanstellung - und sucht nach einer Übergangslösung

Elisabeth Fischer-Sgard fürchtet um ihre Existenz. Die 58-jährige Musikschullehrerin sorgt sich um ihren Job und ihr finanzielles Auskommen – und das, obwohl die Nachfrage nach Musikunterricht weiter hoch ist. Seit über 20 Jahren unterrichtet sie an zwei Berliner Musikschulen. Dort ist sie aber nicht festangestellt, sondern selbstständig tätig. Laut einem wegweisenden Urteil des Bundessozialgerichts von 2022 ist das wohl nicht rechtskonform.

Wenn der Senat keine Lösung für freie Honorarkräfte wie sie findet, könnte ihr und vielen anderen Honorarkräften ab ersten August die Arbeitslosigkeit drohen.

Die Zeit drängt: An den Berliner Musikschulen werden die Honorarverträge, also die Unterrichtsbeauftragungen für freie Musikschullehrer:innen, normalerweise am 31. Juli verlängert. Doch das könnte in diesem Jahr in einigen Berliner Bezirken anders laufen. Der Grund: Die Bezirke als Träger der Musikschulen müssen nach neuer Rechtsprechung fürchten, dass Honorarkräfte größtenteils scheinselbstständig - und damit rechtswidrig beschäftigt sind.

Eine Abfrage des rbb zeigte zum Stand Mittwoch, 22. Mai: Mindestens einer von zwölf Berliner Bezirken – Treptow-Köpenick – wollte nach dem 31. Juli keine Honorarverträge verlängern. Neukölln und Steglitz-Zehlendorf zeigten sich bis dahin noch unsicher.

Am Donnerstag, 23. Mai, ließ der Bezirksstadtrat für Weiterbildung und Kultur in Treptow-Köpenick, Herr Marco Brauchmann, zwar verlauten: "Volkshochschule, Musikschule und Jugendkunstschule bleiben in Betrieb." Viele Lehrkräfte fürchten dennoch um ihre Beschäftigung, denn noch könnten die Bezirke umschwenken. Denn aktuell ist die rechtliche Lage unklar; die Bezirke müssten unter Umständen für scheinselbstständige Musikschullehrer:innen haften.

Rechtliche Unsicherheit von Honorarverträgen

Sollte es tatsächlich zur Nicht-Verlängerung kommen, drohen massive Unterrichtausfälle an Musikschulen in den entsprechenden Bezirken. Denn in Berlin besteht die Lehrerschaft an öffentlichen Musikschulen größtenteils aus Honorarkräften: Laut Senat sind nur etwa 25 Prozent festangestellt. "Das System Musikschule könnte jetzt komplett an die Wand fahren", sagt Elisabeth Fischer-Sgard, die auch Lehrervertreterin an der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg ist.

Grund für die verfahrene Situation ist die rechtliche Unsicherheit von Honorarverträgen: Im sogenannten "Herrenberg-Urteil" hatte das Bundessozialgericht im Jahr 2022 geurteilt, unter welchen Umständen Musikschullehrer:innen tatsächlich selbstständig arbeiten können und wann es sich dabei um eine Scheinselbstständigkeit handelt.

Der heikle Punkt: Sobald Lehrer:innen in die Strukturen der Schulen eingebunden sind oder Weisungen folgen müssen, können sie nicht als selbstständig gelten, sondern sind sozialversicherungspflichtig. Dafür genügt es laut Urteil etwa schon, wenn sie Unterrichtsräume der Musikschule nutzen oder sich Unterrichtszeiten anpassen müssen. Zwar handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Dennoch hat das Urteil nach der Auffassung von Jurist:innen weit über den Einzelfall hinaus Auswirkungen auf die Arbeit fast aller öffentlichen Musikschulen, die in der Regel die freien Lehrkräfte stark in ihre Abläufe einbinden.

Lehrervertreter fordern Festanstellungen

Um Rechtssicherheit zu schaffen und die Arbeit der Musikschulen aufrechtzuerhalten, fordert die Landes-Lehrervertretung der Berliner Musikschullehrer:innen nun, die etwa 2.000 Honorarkräfte festanzustellen. Sie hat am 15. Mai eine Petition gestartet, die bereits bis Freitag rund 6.000 Unterschriften für die Umwandlung in feste Arbeitsverhältnisse gesammelt hat. Das würde die Lehrkräfte absichern, wäre aber wohl mit erheblichen Mehrkosten für die Bezirke verbunden: 16 Millionen Euro jährlich schätzt die Landes-Lehrervertretung.

In einigen Brandenburger Landkreisen ist man schon weiter, wie eine Abfrage des rbb zeigt: Potsdam-Mittelmark und Ostprignitz-Ruppin haben bereits damit begonnen, an ihren Musikschulen die Arbeitsverhältnisse von Honorarkräften in Festanstellungen umzuwandeln.

Noch immer keine politische Lösung in Berlin

In Berlin dagegen prüft die Senatsverwaltung für Kultur federführend seit August 2023, wie die Musikschulen der Bezirke auf das Urteil reagieren können. Doch noch immer gibt es keine abschließende Entscheidung. Die Bezirke stehen deshalb vor einer schwierigen Abwägung: Wenn sie weiter Verträge nach dem 31. Juli schließen wie bisher, drohen ihnen größere Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für den Fall, dass die Deutsche Rentenversicherung die Arbeitsverhältnisse der Musikschulen überprüft. Unter Umständen machen sich die Verantwortlichen an den Musikschulen und in den Bezirken sogar strafbar. Laut Strafgesetzbuch kann mit bis zu fünf Jahren Freiheits- oder Geldstrafe belangt werden, wer die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers vorenthält. Wenn die Bezirke allerdings die Honorarverträge nicht verlängern, drohen weitreichende Unterrichtsausfälle und die Arbeitslosigkeit der Honorarkräfte.

“Wir müssen jetzt erst einmal kurzfristig überlegen, wie wir weiterarbeiten”, sagt Stefan Bruns. Er ist Leiter des Amts für Weiterbildung und Kultur im Bezirk Tempelhof-Schöneberg und damit für die Musikschulen verantwortlich. Im Moment handle man wegen der möglichen rechtlichen Folgen in absoluter Unsicherheit. “Das halte ich für eine unzumutbare Situation, und ich erwarte deshalb vom Senat, dass er Rechtssicherheit schafft.” Das Problem könne nicht auf Bezirksebene gelöst werden. Auch der Bezirk Reinickendorf forderte in einer Pressemitteilung am Mittwoch den Senat auf, zeitnah Klarheit zu schaffen.

Politisches Umdenken: Senat tendiert zu Festanstellungen

Die Senatsverwaltung für Kultur teilte dem rbb auf Anfrage mit, dass die Prüfung noch andauere. Es zeichne sich jedoch ab, "dass für die bezirklichen Musikschulen die festangestellten Lehrkräfte den ganz überwiegenden Teil ausmachen werden." Das wäre eine echte Veränderung der bisherigen Praxis, die auch Auswirkungen auf andere Beschäftigungsfelder wie die Volkshochschulen haben könnte. Allerdings sei die Finanzierung der Mehrkosten ebenfalls Teil der Prüfung, so die Senatsverwaltung weiter.

Um die rechtliche Unsicherheit kurzfristig zu lösen, sei man in Gesprächen mit der Deutschen Rentenversicherung. Der rbb konnte ein gemeinsames Schreiben der Senatsverwaltung Kultur und der Senatsverwaltung für Bildung an die Bezirke vom 8. Mai einsehen. Daraus geht hervor, dass die Senatsverwaltung ein Moratorium mit der Deutschen Rentenversicherung verhandeln möchte. Die Rentenversicherung soll dazu bewegt werden, übergangsweise auf die Prüfung von Beschäftigungsverhältnissen an Berliner Musikschulen verzichten, bis der Senat eine politische Lösung findet.

Fraglich ist allerdings, ob sich die Rentenversicherung auf ein solches Moratorium einlässt.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst am 24. Mai 2024. In diese Fassung waren neue Erkenntnisse aus Treptow-Köpenick vom Abend des 23. Mai noch nicht eingeflossen. Inzwischen wurde der Beitrag aktualisiert.

Sendung: radio3, 24.05.2024, 6:30 Uhr

Beitrag von Lukas Haas

58 Kommentare

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  1. 58.

    Wenn hier im Artikel aufdrängend das offizielle falsche Deutsch verwendet wird, Beschwerden darüber aber gelöscht werden, dann sagt das über denjenigen der damit angefangen/verwendet haben aus, dass andere das „gefälligst“ zu akzeptieren haben... Das Falsche. So geht das aber nicht in einer Demokratie. Da muss man aushalten was man bewusst, gegen die Regeln und Lehrmeinung, macht! Und: Die Kunden (Leser) zahlen das alles.

  2. 57.

    Also ich möchte nicht angestellt werden. Es sollte vielmehr das Land Berlin die Möglichkeit schaffen, dass ich mich richtig Selbständig machen kann. Der aktuelle Zustand als Honorarkraft in der Scheinselbständigkeit wird glücklicherweise beende.

  3. 56.

    Die sollen einfach richtige Selbständige sein. Können sich die Räume in der Musikschule buchen und direkt mit den Schülern abrechnen. Ich verstehe nicht, warum die Musikschulen es nicht bundesweit so handhaben. Diese arbeitenden Unternehmer nicht weiter mit Aufträgen zu versorgen wäre ein mieser move, schließlich sind Nachfrage und Zahlungsbereitschaft für das Angebot vorhanden.

  4. 55.

    Alles nur wegen einer Klägerin aus Leipzig die vor vielen vielen Jahren an der VHS gelehrt hat…

    Jetzt müssen tausende Selbstständige unter ihr Leiden.

  5. 54.

    Der Artikel bringt die Thematik gut auf den Punkt. Nur leider erschwert die gegenderte Schreibweise das Lesen und ärgert den Leser.

  6. 53.

    Lesen Sie sich mal Ihre Kommentare durch, unterirdisch und verworren, echt gruslig.

  7. 51.

    Oder an der falschen Bezahlung, wie der schrieb, worauf Sie antworten !

  8. 50.

    Dasselbe gilt für Fußball, Vereine generell, Alte und auf dem Land leben ...... muß man nur zuzahlen, Bauern sowieso .....

  9. 49.

    Darum geht es doch hier gar nicht, sondern darum, dass die Musiklehrer an Musikschulen die Anforderung an eine Selbstverständlichkeit nicht erfüllen, denn sie sind zeitlich und örtlich in die Organisation der Schule eingebunden. Sie suchen sich auch die Schüler nicht selbst aus, sondern es kommen diejenigen, die sich in der Musikschule anmelden. Daher wird eine Scheinselbständigkeit angenommen, die Musikschulen drücken sich aber vor der Festanstellung. Wenn aber die Musiklehrer unabhängig von der Musikschule arbeiten wollen, müssen sie selbst Räume bezahlen,sich um Werbung usw kümmern. Die Preise sind dann nicht zu halten und der Musikschüler aus einer ärmeren Familie ist damit raus. Das kann ja wohl nicht die Lösung sein. Wer jetzt meint, Musik wäre nicht so wichtig, sollte sich mal überlegen, wie oft er selbst täglich Musik konsumiert und das nicht nur direkt, sondern auch in Filmen und Werbung.

  10. 48.

    Also muss hier nun wirkliche Freiheit für die Musiklehrer zukünftig herrschen. Gut so. Der Arbeitsminister sollte hier Selbständige mit bis zu 10 Mitarbeitern stärker entlasten. Aber nein, der denkt ja leider immer nur an ArbeitnehmerInnen, Unternehmer sind für ihn eine Blackbox. Echt schade, weil diese Gruppe der Selbständigen wie z.B. in Asien viele unserer Probleme lösen würden, z.B. könnte auch familiäre Arbeitsteilung dadurch entstehen... Wann erkennt man in Deutschland endlich, dass hier Entlastung und Entbürokratisierung erforderlich sind, um nicht wirtschaftlich Deutschland komplettt an die Wand zu fahren.

  11. 47.

    Dann ist es doch gut, weil durch diese Maßnahme der faire Preis für die Leistung bezahlt wird. Schluss mit versteckten Subventionen. Die Leistung der Musikschulen müssen kostendeckend und fair dur h die Auftraggeber (Eltern oder Schüler) bezahlt werden.

  12. 46.

    Das Modell muss hier grundsätzlich verändert werden. MusiklehrerInnen mieten Räume und gehen Verträge direkt Mut den Musikschülern ein, dann gibt es hier auch kein Problem mit nicht wirklich Selbständigen.

  13. 45.

    Selbständige mit bis zu 10 Mitarbeitern müssen dringend finanziell und bürokratisch entlastet werden. Zu hohe Steuern und Abgaben und viel zu viel Bürokratie. Dann hätten nicht nur die Musiklehrer Angst vor der Aufnahme einer Tätigkeit als Selbständige.

  14. 44.

    Hier sollte es zukünftig wirkliche Selbständige geben, die als Musiklehrer arbeiten. Weder angestellt noch scheheinselbständige Musiklererinnen sind dauerhaft eine würdige Lösung für Kunstschaffende!

  15. 43.

    Vielleicht sollten Sie nicht nur von sich ausgehen?
    Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene interessieren sich sehr für Musik und das Erlernen eines Instrumentes. Sie tun das aus Freude am Musizieren, nicht, weil sie Stars sein wollen.
    Ist das für Sie ein wenig nachvollziehbar?

    Übrigens können die meisten Lehrkräfte ein abgeschlossenes Musikstudium vorweisen. Sie leisten eine hochqualifizierte, wertvolle Arbeit. Das sollte das Land Berlin endlich wertschätzen und durch Festanstellungen aus dem prekären Bereich herausholen!

  16. 42.

    Musiklehre ist nicht wirklich gebraucht.

    Lehrer sind regelmäßig „arme Schlucker“, weil privat wenige Geld dafür ausgeben.

    Und die wenigsten Schüler werden Stars mit gutem Einkommen.

  17. 41.

    Das Problem der Scheinselbständigkeit der Lehrkräfte an Berliner Musikschulen ist seit Jahrzehnten bekannt. Man hätte beim Land Berlin vorsorgen können und müssen, falls es einmal eine Entscheidung eines Arbeitsgerichts gibt, die hier Scheinselbständigkeit feststellt. Nach vielen juristischen Anläufen zur Klärung ist das nun geschehen.
    Jetzt gibt man sich beim Senat "überrascht".
    Als Betroffene bin ich nicht damit einverstanden, wie das Land mit seinen Musikschullehrkräften umgeht.
    Lehrern, die zum Teil seit über 30 Jahren eine qualifizierte Arbeit auf Honorarbasis abliefern, wird nun zugemutet, dass sie um ihre Weiterbeschäftigung bangen müsse. Und das nur, weil die Berliner Landesregierungen in Vergangenheit und Gegenwart ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Man wollte unbedingt die Sozialabgaben einsparen, koste es, was es wolle sozusagen..
    Ich finde das unsäglich und enttäuschend!

  18. 40.

    Wieso Deckmantel der Teilhabe?
    Die Teilhabe ist eine zentrale Frage. Was soll denn angeblich verdeckt werden?

  19. 39.

    Gerade weil sie zur allgemeinen Bildung da sind, sollte die „Subventionierung“ von Kindern aus reichen Haushalten/Familien gestoppt werden und lieber nach Leistung gefördert werden. Kinder aus sozial schwachen Familien sollten dagegen den vergünstigten Unterricht über die Musikschulen erhalten! Wenn die Eltern zsm 10.000 ,-€ im Monat verdienen können Sie sich auch 300,-€ für den Musikunterricht und die Bildung ihres Kindes ausgeben. Meinen sie nicht?

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