Streit um Honorarkräfte - Freien Musikschullehrern in Berlin droht Arbeitslosigkeit
Freie Musikschullehrer in Berlin fürchten Arbeitslosigkeit und Unterrichtsausfall, weil ihre Honorarverträge größtenteils rechtswidrig sind. Jetzt stellt der Senat zwar eine grundlegende Änderung in Aussicht. Doch die Zeit drängt. Von Lukas Haas
- Viele der rund 2.000 freie Honorarkräfte an Berliner Musikschulen wissen nicht, ob ihre Verträge ab August verlängert werden
- Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts ist ihre Beschäftigung wohl größtenteils rechtswidrig
- Die Senatsverwaltung für Kultur prüft die Möglichkeit der Festanstellung - und sucht nach einer Übergangslösung
Elisabeth Fischer-Sgard fürchtet um ihre Existenz. Die 58-jährige Musikschullehrerin sorgt sich um ihren Job und ihr finanzielles Auskommen – und das, obwohl die Nachfrage nach Musikunterricht weiter hoch ist. Seit über 20 Jahren unterrichtet sie an zwei Berliner Musikschulen. Dort ist sie aber nicht festangestellt, sondern selbstständig tätig. Laut einem wegweisenden Urteil des Bundessozialgerichts von 2022 ist das wohl nicht rechtskonform.
Wenn der Senat keine Lösung für freie Honorarkräfte wie sie findet, könnte ihr und vielen anderen Honorarkräften ab ersten August die Arbeitslosigkeit drohen.
Die Zeit drängt: An den Berliner Musikschulen werden die Honorarverträge, also die Unterrichtsbeauftragungen für freie Musikschullehrer:innen, normalerweise am 31. Juli verlängert. Doch das könnte in diesem Jahr in einigen Berliner Bezirken anders laufen. Der Grund: Die Bezirke als Träger der Musikschulen müssen nach neuer Rechtsprechung fürchten, dass Honorarkräfte größtenteils scheinselbstständig - und damit rechtswidrig beschäftigt sind.
Eine Abfrage des rbb zeigte zum Stand Mittwoch, 22. Mai: Mindestens einer von zwölf Berliner Bezirken – Treptow-Köpenick – wollte nach dem 31. Juli keine Honorarverträge verlängern. Neukölln und Steglitz-Zehlendorf zeigten sich bis dahin noch unsicher.
Am Donnerstag, 23. Mai, ließ der Bezirksstadtrat für Weiterbildung und Kultur in Treptow-Köpenick, Herr Marco Brauchmann, zwar verlauten: "Volkshochschule, Musikschule und Jugendkunstschule bleiben in Betrieb." Viele Lehrkräfte fürchten dennoch um ihre Beschäftigung, denn noch könnten die Bezirke umschwenken. Denn aktuell ist die rechtliche Lage unklar; die Bezirke müssten unter Umständen für scheinselbstständige Musikschullehrer:innen haften.
Rechtliche Unsicherheit von Honorarverträgen
Sollte es tatsächlich zur Nicht-Verlängerung kommen, drohen massive Unterrichtausfälle an Musikschulen in den entsprechenden Bezirken. Denn in Berlin besteht die Lehrerschaft an öffentlichen Musikschulen größtenteils aus Honorarkräften: Laut Senat sind nur etwa 25 Prozent festangestellt. "Das System Musikschule könnte jetzt komplett an die Wand fahren", sagt Elisabeth Fischer-Sgard, die auch Lehrervertreterin an der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg ist.
Grund für die verfahrene Situation ist die rechtliche Unsicherheit von Honorarverträgen: Im sogenannten "Herrenberg-Urteil" hatte das Bundessozialgericht im Jahr 2022 geurteilt, unter welchen Umständen Musikschullehrer:innen tatsächlich selbstständig arbeiten können und wann es sich dabei um eine Scheinselbstständigkeit handelt.
Der heikle Punkt: Sobald Lehrer:innen in die Strukturen der Schulen eingebunden sind oder Weisungen folgen müssen, können sie nicht als selbstständig gelten, sondern sind sozialversicherungspflichtig. Dafür genügt es laut Urteil etwa schon, wenn sie Unterrichtsräume der Musikschule nutzen oder sich Unterrichtszeiten anpassen müssen. Zwar handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Dennoch hat das Urteil nach der Auffassung von Jurist:innen weit über den Einzelfall hinaus Auswirkungen auf die Arbeit fast aller öffentlichen Musikschulen, die in der Regel die freien Lehrkräfte stark in ihre Abläufe einbinden.
Lehrervertreter fordern Festanstellungen
Um Rechtssicherheit zu schaffen und die Arbeit der Musikschulen aufrechtzuerhalten, fordert die Landes-Lehrervertretung der Berliner Musikschullehrer:innen nun, die etwa 2.000 Honorarkräfte festanzustellen. Sie hat am 15. Mai eine Petition gestartet, die bereits bis Freitag rund 6.000 Unterschriften für die Umwandlung in feste Arbeitsverhältnisse gesammelt hat. Das würde die Lehrkräfte absichern, wäre aber wohl mit erheblichen Mehrkosten für die Bezirke verbunden: 16 Millionen Euro jährlich schätzt die Landes-Lehrervertretung.
In einigen Brandenburger Landkreisen ist man schon weiter, wie eine Abfrage des rbb zeigt: Potsdam-Mittelmark und Ostprignitz-Ruppin haben bereits damit begonnen, an ihren Musikschulen die Arbeitsverhältnisse von Honorarkräften in Festanstellungen umzuwandeln.
Noch immer keine politische Lösung in Berlin
In Berlin dagegen prüft die Senatsverwaltung für Kultur federführend seit August 2023, wie die Musikschulen der Bezirke auf das Urteil reagieren können. Doch noch immer gibt es keine abschließende Entscheidung. Die Bezirke stehen deshalb vor einer schwierigen Abwägung: Wenn sie weiter Verträge nach dem 31. Juli schließen wie bisher, drohen ihnen größere Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für den Fall, dass die Deutsche Rentenversicherung die Arbeitsverhältnisse der Musikschulen überprüft. Unter Umständen machen sich die Verantwortlichen an den Musikschulen und in den Bezirken sogar strafbar. Laut Strafgesetzbuch kann mit bis zu fünf Jahren Freiheits- oder Geldstrafe belangt werden, wer die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers vorenthält. Wenn die Bezirke allerdings die Honorarverträge nicht verlängern, drohen weitreichende Unterrichtsausfälle und die Arbeitslosigkeit der Honorarkräfte.
“Wir müssen jetzt erst einmal kurzfristig überlegen, wie wir weiterarbeiten”, sagt Stefan Bruns. Er ist Leiter des Amts für Weiterbildung und Kultur im Bezirk Tempelhof-Schöneberg und damit für die Musikschulen verantwortlich. Im Moment handle man wegen der möglichen rechtlichen Folgen in absoluter Unsicherheit. “Das halte ich für eine unzumutbare Situation, und ich erwarte deshalb vom Senat, dass er Rechtssicherheit schafft.” Das Problem könne nicht auf Bezirksebene gelöst werden. Auch der Bezirk Reinickendorf forderte in einer Pressemitteilung am Mittwoch den Senat auf, zeitnah Klarheit zu schaffen.
Politisches Umdenken: Senat tendiert zu Festanstellungen
Die Senatsverwaltung für Kultur teilte dem rbb auf Anfrage mit, dass die Prüfung noch andauere. Es zeichne sich jedoch ab, "dass für die bezirklichen Musikschulen die festangestellten Lehrkräfte den ganz überwiegenden Teil ausmachen werden." Das wäre eine echte Veränderung der bisherigen Praxis, die auch Auswirkungen auf andere Beschäftigungsfelder wie die Volkshochschulen haben könnte. Allerdings sei die Finanzierung der Mehrkosten ebenfalls Teil der Prüfung, so die Senatsverwaltung weiter.
Um die rechtliche Unsicherheit kurzfristig zu lösen, sei man in Gesprächen mit der Deutschen Rentenversicherung. Der rbb konnte ein gemeinsames Schreiben der Senatsverwaltung Kultur und der Senatsverwaltung für Bildung an die Bezirke vom 8. Mai einsehen. Daraus geht hervor, dass die Senatsverwaltung ein Moratorium mit der Deutschen Rentenversicherung verhandeln möchte. Die Rentenversicherung soll dazu bewegt werden, übergangsweise auf die Prüfung von Beschäftigungsverhältnissen an Berliner Musikschulen verzichten, bis der Senat eine politische Lösung findet.
Fraglich ist allerdings, ob sich die Rentenversicherung auf ein solches Moratorium einlässt.
Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst am 24. Mai 2024. In diese Fassung waren neue Erkenntnisse aus Treptow-Köpenick vom Abend des 23. Mai noch nicht eingeflossen. Inzwischen wurde der Beitrag aktualisiert.
Sendung: radio3, 24.05.2024, 6:30 Uhr