Tierheim-Chefin im Interview - "Im Prinzip schiebt Berlin den Tierschutz aufs Ehrenamt ab"
Das Tierheim Berlin drücken finanzielle Sorgen. Nachdem der Senat den Rotstift auch beim Tierschutz angesetzt hat, muss das Tierheim vieles davon auffangen, was die Stadt nicht mehr zahlt, sagt Tierheim-Chefin Eva Rönspieß im Interview.
rbb24: Frau Rönspieß, wie viele Tiere haben Sie aktuell in Obhut?
Eva Rönspieß: Aktuell betreuen wir 1.250 Tiere. Das ist knapp unter dem Durchschnitt. Sonst sind es rund 1.300 Tiere. Im Sommer hatten wir mit 1.600 wieder die klassische Peak-Zeit. Die Kapazitäten sind bei uns ausgeschöpft - und das leider mittlerweile auch ganzjährig. Da laufen wir auf dem Zahnfleisch - also nicht nur vom Personal her, sondern auch einfach baulich, weil wir einfach eine Dauerbelastung jedes einzelnen Geheges haben. Das geht es an die Substanz.
Wo drückt der Schuh im Tierschutz in Berlin am meisten?
Das größte Problem ist immer das Finanzielle. Das Land Berlin zahlt einfach zu wenig für die Unterbringung von Fundtieren und sichergestellten Tieren. Wir müssen also einen Großteil der Kosten über Spenden einwerben.
Auch belasten uns die politischen Umstände: Auf Bundesebene haben wir sehnsüchtig auf die Tierschutz-Gesetzesnovelle gewartet, einfach weil dann vorgeschrieben wäre, dass zumindest Hunde gekennzeichnet und registriert werden müssten. Nun hat die Ampel sich zerstritten, und Bundeskanzler Olaf Scholz erachtet die eigentlich ausverhandelte Gesetzesnovelle nicht mehr als wichtig. Diese soll nicht mehr kommen.
Auf Landesebene muss man sehen, dass Berlin im Sommer massiv Gelder beim Tierschutz eingestrichen hat. Auch schon vorher war der Tierschutzhaushalt nicht wirklich groß und eher klein geschrumpft. Da hätte man eigentlich nichts mehr rausholen können.
Zusätzlich belastet uns, dass Berlin zwar eine Katzenschutzverordnung hat, aber nicht alle Freigängerkatzen sind oder werden kastriert - das heißt, wir hatten auch in diesem Jahr wieder eine Katzenbaby-Schwemme.
Und natürlich belastet es uns, dass wir die sogenannten Listenhunde nur schwer vermittelt bekommen. (Anm. d. Red.: Als Listenhunde gelten laut entsprechender Berliner Verordnung die Rassen Pitbull-Terrier, Bullterrier und American Staffordshire-Terrier sowie ihre Kreuzungen.) Unter anderem dürfen diese Tiere nicht an Mieter von kommunalen Wohnungsunternehmen abgegeben werden und somit bleiben wir also auf den Hunden im wahrsten Sinne des Wortes sitzen.
Was sollte sich durch die Novelle des Tierschutzgesetzes ändern?
Das neue Tierschutzgesetz hätte durch Einführung einer Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hunde die Lage in der Weise verbessert, dass man wirklich gewusst hätte, wie viele Hunde und welche Rassen es überhaupt gibt. Fundtiere hätten so beispielsweise besser wieder nach Hause vermittelt werden können.
Zudem hätten wir eine Konkretisierung beispielsweise des Qualzucht-Paragrafen gehabt, was als Qualzucht genau verstanden wird, welche Merkmale diese umfasst.
Qualzucht ist seit jeher im Tierschutzgesetz verboten. Sie kennen das: Möpse, französische Bulldoggen bekommen wegen ihrer angezüchteten flachen Gesichter schlecht Luft. Sie leiden dadurch unter Atemwegserkrankungen und überhitzen schnell. Auch werden immer mehr Nacktkatzen gezüchtet und für Katzen sind Fell und Tasthaare Sinnesorgane. Das wird alles weggezüchtet, damit das Tier dem Menschen gefällt.
Aber das kommt jetzt nicht und das bedeutet, Möpse, französische Bulldoggen, Nacktkatzen und so weiter müssen weiter leiden, weil hier sich der Gesetzgeber vor der Verantwortung drückt.
Weil dem Berliner Senat 560 Millionen Euro im Haushalt fehlen, wurden die Mittel der Landestierschutzbeauftragen zusammengestrichen. Was heißt das für das Tierheim?
Da kann ich nur das wiederholen, was ich schon im Sommer gesagt habe: Diese Einsparungen sind ein finanzieller Genickbruch für den Berliner Tierschutz. Es fehlt jetzt an Geld für die Tiertafel, Katzenschutz und Taubenmanagement. Für das Haushaltschaos und die Fehlplanung der schwarz-roten Koalition müssen jetzt die Schwächsten bezahlen, diejenigen, die keine Stimme haben und sich nicht wehren können.
Doch dem Berliner Tierheim kommt eine Sonderrolle zu, weil wir auch als amtliche Tiersammelstelle fungieren und eine kommunale Pflichtaufgabe vom Land Berlin übernommen haben. Das ist ein laufender Vertrag und wird bezahlt. Hier durften die Gelder nicht gekürzt werden. Pro Jahr sind das für die Inobhutnahme von Tieren drei Millionen Euro. Die anderen sechs bis sieben Millionen Euro, die das Tierheim für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb pro Jahr benötigt, müssen über Spenden eingeworben werden.
Aber natürlich haben uns die Senats-Kürzungen getroffen. So mussten wir unsere Bildungsarbeit eindampfen, weil da einfach das Geld gefehlt hat. Tierschutzorganisationen wie die Eichhörnchen- und Waschbärenhilfe bekommen vom Senat kein Geld mehr. Und so verschiebt das Land Berlin einfach die Geldnot: Den Tierschutzorganisationen nimmt sie die Unterstützung weg. Weil wir als Berliner Tierschutzverein mit unserem Tierheim natürlich helfen wollen und müssen, zahlen wir das jetzt mit Spendengeldern aus unserer eigenen Tasche. Im Prinzip schiebt Berlin den Tierschutz aufs Ehrenamt ab. Man geht immer davon aus, dass der karitative Tierschutz für alles einspringt.
Wie sieht es um die Spendenbereitschaft aus?
Ich bin wirklich dankbar, dass Berlinerinnen und Berliner so tierlieb sind und uns die Treue halten, aber es fehlt an allen Ecken und Enden. Deswegen zählt jeder Euro.
In der Corona-Zeit haben sich viele Menschen Tiere angeschafft, die später ausgesetzt oder abgegeben wurden. Wie arg hat das das Tierheim getroffen?
Das Ausmaß hätte sich keiner vorstellen können. Alle Tierschutzvereine haben gewarnt: Politik, passt auf, so funktioniert das nicht! Aber das war wirklich ein quantitativer Anstieg. Tierheimplätze sind nicht mitgewachsen. Das ist auch nicht die Rolle des karitativen Tierschutzes, für jedes Tier einen Platz vorzuhalten.
Wir haben bei uns beispielsweise einen Golden Retriever. Diese Rasse ist das klassische Vorbild eines Familienhundes. Aber "Logan" ist mittlerweile drei Jahre bei uns. Er wurde nach einem Bissvorfall mit einem Kind in der Familie bei uns abgegeben. Unsere Tierpfleger müssen im Umgang mit Logan auch aufpassen.
Nicht nur bei Logan haben wir gemerkt, dass die Tiere in keiner Hundeschule waren, Halter kein Geld für einen privaten Hundetrainer ausgegeben haben. In der Folge merken wir, die fehlende Sozialisierung und auch eine Überzüchtung der Tiere. Dies führt zu Verhaltensdefiziten bei den Tieren und zur Abgabe der Hunde.
Im Nachgang zu Corona bemerken wir auch, dass immer mehr Social-Media-Trends bei den Menschen verfangen. So hat US-Sängerin Taylor Swift eine Scottish Fold. Das hat zur Folge, dass viele Menschen jetzt auch eine dieser Faltohrkatzen haben wollen und die Scottish Fold ist eine klassische Qualzucht. Das muss man wissen. Von diesen Tieren haben wir auch sehr, sehr viele bei uns.
Zum Weihnachten werden oft Tiere als Weihnachtspräsent ins Auge gefasst. Welche Folgen kann das haben?
Ganz klar - Tiere sind keine Geschenke: Eine Entscheidung für ein Tier muss ganz bewusst getroffen werden. Das bedeutet, dass alle Beteiligten in diese Entscheidung mit einbezogen werden müssen. Wir müssen uns die Frage stellen: Welches Tier passt zu uns? Wie können wir den Bedürfnissen des Tieres gerecht werden? Haben wir für sie eine Urlaubs- oder eine Krankenvertretung. Der Beteiligte ist natürlich auch der Beschenkte und wenn er da im Vorfeld nichts zu sagen kann, kann das nur nach hinten losgehen.
Und Festtage bieten sich auch überhaupt nicht dafür an, ein Tier in die Familie neu aufzunehmen. Deswegen haben wir auch als Tierheim Berlin um Weihnachten rum immer einen Vermittlungsstopp.
Wenn Sie zu Weihnachten einen Wunsch beim Regierenden Bürgermeister Kai Wegner frei hätten, was wäre das?
Das ist nicht leicht, denn die Liste ist lang. Das Wichtigste für mich wäre, dass in Berlin für alle endlich der Hundeführerschein kommt. Halter erlernen im Vorfeld alles Wichtige zur Hundeerziehung und -haltung, so dass dann jeder mit seinem Tier umgehen kann.
Jetzt fehlt so ein Mechanismus. Jeder kann sich ein Tier anschaffen, sei es ein Hund, eine Katze oder ich renne in eine Tierhandlung und gehe mit zwei Kaninchen nach Hause. Nirgendwo wird die Sachkunde des Halters hinterfragt. Und das kann es einfach nicht sein. Menschen schaffen sich Tiere an und wenn es nicht läuft, schmeißen sie sie einfach raus, binden sie an Leitplanken fest. Letzten Endes landen Hunde, Katzen in der Tierrettung und wir müssen für sie aufkommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Eva Rönspieß führte Georg-Stefan Russew für rbb|24.