Brandenburger Linke vor Bundesparteitag - Beziehungs-Status: Frisch getrennt
Noch keinen Monat ist es her, dass Sahra Wagenknecht offiziell die Gründung einer eigenen Partei ankündigte. Mit der Trennung gehen Linken-Mitglieder in Brandenburg unterschiedlich um. Klar ist: Überwunden ist sie noch nicht. Von Stephanie Teistler
Wer wissen will, wo die Trennung von Wagenknecht und der Linken am schmerzhaftesten ist, muss in die Bundestagsfraktion schauen. Der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Christian Görke will zwar den Blick nach vorn richten, aber für die Arbeit der Linken im Bundestag sieht das, was da kommt, erstmal trübe aus: Die Fraktion wird zum 6. Dezember aufgelöst, alle Angestellten der Fraktion werden entlassen. "Ich habe politisch schon viel erlebt, aber das ist besonders einschneidend", so Görke.
Zwar hofft man, einige der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im kommenden Jahr wieder einstellen zu können – aber das geht erst, nachdem man weiß, wieviel Geld der Gruppe im Bundestag dann noch zusteht. Darüber entscheiden wird der Bundestag. "Dass wir jetzt Bittsteller sind und von der Gönnerhaftigkeit von Ampel und Union abhängig – das macht mir Bauchschmerzen", so Görke. Er befürchtet, dass sich die in der Luft hängenden Mitarbeiter bis dahin andere Jobs suchen werden.
Besser ein Ende mit Schrecken …
Davon abgesehen halten sich die Auswirkungen des Wagenknecht-Austritts bisher wohl in Grenzen. Seiner Partei gehe es überraschend gut, sagt der Brandenburger Parteivorsitzende Sebastian Walter. Laut Landesgeschäftsstelle seien im Zuge der Vereinsgründung Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bisher circa 20 Parteimitglieder ausgetreten. Dafür habe man aber um die 40 Neumitglieder gewonnen. Eine von ihnen erzählt rbb|24, dass erst der Weggang von Wagenknecht ihr den Weg in die Linke geebnet habe.
Bei einer Partei von etwa 4.350 Mitgliedern ist das zwar keine Massenbewegung – aber ein Hoffnungsschimmer für viele, die in der Linkspartei geblieben sind. Die befürchtete Spaltung sei nicht eingetreten, Landesparteichef Walter spricht lediglich von einer Abspaltung.
Walter will den Wagenknecht-Weggang deshalb auch als Chance begreifen. Ein Selbstläufer ist das aber nicht: "Für uns als Linke ist es vielleicht die letzte Chance, die wir haben." Viele zeigen sich im Gespräch froh, dass die Trennung nun vollzogen ist - sowohl die Wagenknecht-Befürworter als auch ihre parteilichen Gegner. Letztere erhoffen sich vom Bundesparteitag in Augsburg nun ein Signal der Geschlossenheit.
Sich wieder Zeit für sich nehmen
Ob das so kurz nach der Parteikrise möglich ist, sehen viele aber mit Skepsis. "Das wird ein längerer Prozess werden", sagt Marlen Block, Landtagsabgeordnete und Delegierte für den anstehenden Bundesparteitag. "Wir müssen uns für die nächsten zehn Jahre aufstellen – die Tagesordnung eines Parteitags gibt das nicht her", so Block.
Sie spüre aber auch eine Erleichterung bei den Mitgliedern, besonders bei den Jüngeren, sagt Block weiter. "Bei den jungen Leuten herrscht Aufbruchsstimmung." Nun könne man sich auf Themen wie Klimaschutz und Kapitalismuskritik fokussieren. Es gebe wieder Platz für utopisches Denken.
Doch mit Sahra Wagenknecht und ihren Sympathisanten ist nur ein Teil des Problems der Linkspartei gegangen. Sebastian Walter mahnt seine Partei deshalb zur Konzentration: "Die Debatten der letzten Jahre haben dazu geführt, dass wir für viele Menschen nicht mehr attraktiv waren", sagt Walter. Die Partei müsse wieder klar machen, dass sie für Friedens- und Sozialpolitik stehe.
Neue Liebe BSW?
Viele zeigen sich sicher: Über die kommenden inhaltlichen Auseinandersetzungen wird die Partei in der nächsten Zeit noch weitere Mitglieder verlieren – spätestens aber zur Parteigründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im nächsten Jahr. Wie viele Wechsel- oder Austrittswillige es in Brandenburg gibt, ist schwer zu sagen. Eine Anfrage beim BSW, wie viele Mitglieder oder Spender es aus Brandenburg bereits gebe, blieb unbeantwortet.
Klar ist aber, dass die Entfremdung mancher Linker von der eigenen Partei nach wie vor groß ist. So geht es etwa Rita-Sybille Heinrich, Kreisvorsitzende in Oder-Spree. Auch sie fährt als Delegierte zum Augsburger Parteitag. Ihre Haltung zur Partei bezeichnet sie als schwankend. Friedenspolitische Forderungen kommen ihr in der Linken zu kurz, bei einer von ihr mitorganisierten Anti-Kriegs-Demo Ende November in Berlin habe man die Partei nur mit Mühe von der Teilnahme überzeugen können.
Heinrich steht für die Enttäuschten, die nach wie vor unentschlossen sind, wohin der gemeinsame Weg mit der Linkspartei noch führt. Doch auch in der Wagenknecht-Option findet sie sich noch nicht wieder, wie sie sagt. Das bisher erschienene Manifest sei ihr zu oberflächlich. Heinrich sagt, sie müsse erst das ganze Parteiprogramm kennen, bevor sie wisse, wie es für sie weitergehe.
Andere sind sich da bereits sicherer, so wie Andreas Kutsche. Der Betriebsrat aus Brandenburg an der Havel will Ende November aus der Partei austreten. Wenn die Wagenknecht-Partei erst gegründet ist, möchte er sich dort engagieren. Zwar hält er den Gewerkschaftsteil des BSW-Manifests noch für ausbaufähig. Doch er hofft vor allem auf ein politisches Gegengewicht zur AfD.
Lass uns Freunde bleiben?
Kutsche gehört auch zu denjenigen, die auf eine zukünftige Zusammenarbeit des BSW und der Linkspartei hoffen. Noch sitzt er für die Linke in der Stadtratsfraktion - ab Januar werde das nicht mehr möglich sein, sei ihm gesagt worden. Kutsche sagt, die Linke dürfe die zukünftige Partei um Wagenknecht nicht verteufeln. Er zeigt sich sicher: "Wir werden auch zusammenarbeiten müssen."
Doch weite Teile der Partei sind – nur knapp einen Monat nach der BSW-Verkündung – unversöhnlich. Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke sieht die Wagenknecht-Partei klar als "Konkurrenzpartei". Partei-Chef Walter bemüht die Beziehungs-Analogie und plädiert für den klaren Bruch: "Wenn man sich trennt, dann muss man sich eben auch trennen." Weiter darin "rumzurühren", mache es für beide Seiten nicht schöner.
Sendung: Radioeins, 17.11.2023, 8 Uhr