rbb exklusiv | Abgasalarm - Diesel-Fahrverbote laut Innenverwaltung kaum kontrollierbar
An mindestens acht Straßen muss Berlin ein Diesel-Fahrverbot einführen. Doch laut Unterlagen der Innenverwaltung könnte die Polizei nur eine Straße pro Woche kontrollieren. Ein SPD-Politiker fordert deshalb eine kameragestützte Kontrolle. Von Robin Avram und Dominik Wurnig
Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom Dienstag ist klar: Der Berliner Senat muss ab Sommer 2019 mindestens acht Straßen für mindestens 220.000 Berliner Diesel-Fahrer absperren. Doch ein interner Schriftwechsel zwischen Umwelt- und Innenverwaltung, der dem rbb exklusiv vorliegt, zeigt: Die Innenverwaltung hält diese Fahrverbote offenbar nur für sehr begrenzt kontrollierbar.
Kontrollen? "Wöchentlich wechselnd für eine Stunde täglich"
Wörtlich heißt es in dem Schreiben vom 13. März 2018 an die Verkehrsverwaltung: "Die Polizei Berlin könnte für den Fall, dass es zu Verkehrsverboten in Berlin kommen sollte, für einen begrenzten Zeitraum und voraussichtlich wöchentlich wechselnd für eine Stunde täglich an einer der Straßen entsprechende Kontrollen vornehmen."
Die Verkehrsverwaltung hatte gehofft, dass solche Kontrollen wenigstens an fünf Straßen pro Woche möglich sind. Das geht aus dem Anschreiben an die Innenverwaltung aus dem Februar hervor. In einem internen Strategiepapier räumen die Verkehrs-Fachleute zum Thema streckenbezogene Fahrverbote deshalb selbst ein: "Fraglich sind (...) die Möglichkeiten effektiver Kontrollen."
Innenverwaltung kann noch keine Angaben zu Kontrolldichte machen
Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport erklärte auf Anfrage von rbb|24: Der "mögliche Personalbedarf und die Kontrolldichte können zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beziffert werden, weil die konkreten Rahmenbedingungen noch nicht feststehen". Dafür werde man jetzt im Senat die notwendigen Gespräche führen, hieß es in der Stellungnahme weiter.
Danach gefragt, ob der Verkehrsverwaltung denn die Kontrolle einer Straße pro Woche ausreiche, sagte deren Sprecher Matthias Tang dem rbb: "Das müssen wir jetzt im Senat verhandeln, das haben wir natürlich noch nicht zu Ende abgestimmt." Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts gebe es aber eine neue Situation. "Wir werden das jetzt neu bewerten und mit dem Senat diskutieren, wie wir diese Fahrverbote umsetzen können."
Polizeibeamter hält effektive Kontrolle zwei mal pro Monat für realistisch
Der Grund für die Skepsis der Fachleute bei der Kontrolle von Dieselfahrverboten: Weil es keine blaue Plakette gibt, die "gute Benziner" von "schlechten Dieseln" trennt, können die Polizisten Fahrverbotssünder nicht erkennen.
Wie aufwändig Kontrollen unter diesen Voraussetzungen wären, weiß ein erfahrener Verkehrspolizist, der selbst Einsätze plant. Aus Angst vor Repressalien will er anonym bleiben und sich ausdrücklich in seiner Funktion als GdP-Mitglied äußern. Dem rbb sagte er: "In der Leipziger Straße wären 20 Polizisten pro Fahrbahn notwendig für die Kontrolle. Das größte Problem wäre, dass man jedes Fahrzeug anhalten und im Fahrzeugschein kontrollieren müsste, welche Abgasnorm das Fahrzeug erfüllt."
In Berlin seien rund 250 Polizeibeamte in der Verkehrsüberwachung tätig, sagt der Polizist. Jahrelang sei Personal eingespart worden, die Aufgaben hätten aber noch zugenommen. Die Beamten müssten Lastwagen kontrollieren und Schwertransporte sichern. Bei wichtigen Staatsbesuchen wie dem des türkischen Präsidenten Erdogan würden fast alle verfügbaren Kräfte angefordert. In solchen Fälle seien Verkehrskontrollen gar nicht mehr möglich. Deshalb kommt der Verkehrspolizist sogar zu einer pessimistischeren Einschätzung als die Innenverwaltung:
"Effektive Kontrollen von Fahrverboten wären in ganz Berlin maximal zweimal pro Monat möglich. Für mehr sehe ich wenig Spielraum", sagt er.
Der Bundesverkehrsminister blockiert die blaue Plakette
Eine verpflichtend eingeführte blaue Plakette würde die Kontrollen erheblich vereinfachen. Dann könnten auch Streifenwagen stichprobenartig alle jene Diesel-Fahrer herauswinken, die kein Anrecht auf die Einfahrt in eine vom Fahrverbot betroffene Straße haben.
"Wir bräuchten dringend eine blaue Plakette, da hat die Bundesregierung bisher nicht gehandelt", bekräftigte auch Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos für Die Grüne/Bündnis 90) im Inforadio. Sie weiß Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) an ihrer Seite. Doch beim Diesel-Kompromiss der Bundesregierung konnte sich Schulze in diesem Punkt nicht gegen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) durchsetzen. Der blockiert die blaue Plakette weiter hartnäckig.
34.000 Diesel täglich kontrollieren?
Starten die Fahrverbote im nächsten Sommer ohne blaue Plakette, kommt auf die Berliner Polizei eine schier nicht zu bewältigende Aufgabe zu. Nach einer Analyse des rbb durchqueren täglich 193.000 Fahrzeuge die acht Straßen, an den das Verwaltungsgericht zwingend Fahrverbote angeordnet hat. Sollten Dieselautos bis zur Euronorm 5, LKWs und Reisebusse ausgesperrt werden, macht das fast 34.000 Fahrzeuge täglich, deren Besitzer sich einen anderen Weg suchen müssen.
Tun sie das nicht, ist ihr Risiko, erwischt zu werden, nicht gerade groß - das zeigen auch die Erfahrungen aus Hamburg. Dort gibt es bereits Diesel-Fahrverbote an zwei Strecken. Bei Schwerpunktaktionen Ende Juni kontrollierten die Beamten rund 600 Fahrzeuge. Jeder vierte Fahrer erhielt ein Knöllchen, weil er unerlaubt durch die Straßen fuhr. Laut Welt wurden dabei insgesamt 165 eingesetzten Polizisten eingesetzt - die trotzdem nur einen Bruchteil der 27.000 Fahrzeuge kontrollieren konnten, die dort täglich unterwegs sind.
"Alle andere würde auf der Strecke bleiben"
Aufstocken könnte man das Personal für Fahrverbots-Kontrollen auch nicht über Nacht, sagt der Berliner Polizist dem rbb. "Neues Personal muss jetzt erstmal ausgebildet werden. Die Ausbildung zum Verkehrspolizisten dauert aber drei Jahre. Einfach mal in kurzer Zeit um 50 oder 100 Polizisten aufzustocken ist völlig illusorisch."
Eine effektivere Kontrolle der Fahrverbote wäre wohl nur möglich, wenn Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Anweisung erteilt, dass sich die Verkehrspolizisten darauf konzentrieren sollen. Das hält der Verkehrspolizist aber für wenig sinnvoll. "Wir haben Lenk und -Ruhezeiten im Straßenverkehr zu überwachen. Profilierungsfahrten von Rasern waren ein großes Thema nach dem tödlichen Unfall am Tauentzien. Auch die Überwachung von Schulwegen. Das alles würde auf der Strecke bleiben, wenn man die Fahrverbotsüberwachung größer konzipiert."
SPD-Umweltpolitiker Daniel Buchholz fordert Kamera-Überwachung
Kommt keine effizientere Form der Überwachung, könnten sie streckenbezogenen Fahrverbote also wirkungslose Papiertiger werden. Doch wenn die Stickoxid-Werte auf den Hot-Spots nicht unter den Grenzwert sinken, könnte das nicht nur peinlich werden für die Verwaltung – sondern auch erneute Klagen der Deutschen Umwelthilfe nach sich ziehen. Während die Innenverwaltung Fahrverbote kontrollieren muss, ist die Umwelt- und Verkehrsverwaltung für das Sinken der Belastung rechtlich verantwortlich.
Weit mehr Autos mit weit weniger Personaleinsatz könnten mittels Kameras kontrolliert werden. Technisch wäre das möglich, wie das Beispiel London zeigt. Dort werden im Gebiet der City-Maut alle Autokennzeichen mit Kameras erfasst und Mautpreller automatisch bestraft. Auch die Kontrolle der Lkw-Maut in Deutschland funktioniertmittels einer Kameraüberwachung.
Der SPD-Umweltpolitiker Daniel Buchholz hält das für eine gute Idee - er gehört immerhin der Regierungsfraktion an: "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir die Polizei automatisiert mit Kameraunterstützung Kennzeichen erfassen lassen, dabei ist natürlich der Datenschutz zu beachten. Aber es ist ein übliches Verfahren, wenn man zum Beispiel die Maut kontrolliert wird"," sagt Buchholz dem rbb auf Anfrage.
Dem Berliner Senat dürfte also bald eine neue Debatte über Videoüberwachung ins Haus stehen.