rbb|24-Datenauswertung - Neukölln ist neuer Feinstaub-Hotspot Deutschlands
Die Silbersteinstraße in Neukölln hat deutschlandweit die höchste Belastung mit Feinstaub. Damit löst Berlin im Jahr 2018 wohl Stuttgart als Feinstaub-Hotspot ab. Das zeigt eine exklusive rbb-Auswertung der Messungen seit Jahresbeginn. Von Dominik Wurnig
Während sich in Berlin zuletzt alles auf Diesel, Stickoxide und Fahrverbote konzentrierte, kehrt still und heimlich ein altes Problem zurück: Feinstaub. Nach drei Jahren Pause droht Berlin 2018 wieder den Feinstaub-Grenzwert zu überschreiten.
An der Neuköllner Silbersteinstraße wurde seit Jahresanfang bereits an 32 Tagen eine Feinstaubkonzentration von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Diese Menge Feinstaub in der Luft gilt als Tagesgrenzwert zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Pro Jahr darf der Grenzwert nicht öfter als 35 Mal überschritten werden. Zuletzt gab es in Berlin vor drei Jahren 36 Überschreitungstage an der Messstation Frankfurter Allee.
Berlin löst Stuttgart ab
Deutschlandweit galt bisher die Messstelle Am Neckartor in Stuttgart als größter Feinstaub-Moloch. Stuttgart liegt in einem Talkessel und verzeichnet sehr viele einpendelnde Autofahrer. Bei sogenannten Inversionswetterlagen im Winter, wenn obere Luftschichten wärmer sind als untere, gibt es kaum eine Durchmischung der Luft. Dann ruft die Stadt regelmäßig Feinstaubalarm aus. [stuttgart.de/feinstaubalarm]. Die Tickets für Bus und Bahn sind dann günstiger und wer über eine andere Art der Heizung verfügt, darf keinen Kamin beheizen.
Aber 2018 hat Berlin die Nase vorne. Die drei Messstellen mit den schlechtesten Feinstaub-Werten liegen alle in Berlin (siehe Grafik oberhalb). Aber auch Brandenburg taucht in der Statistik negativ auf: In der Neuendorfer Straße in Brandenburg an der Havel wurde 2018 bereits an 21 Tagen eine Feinstaubbelastung über 50 Mikrogramm gemessen, in Cottbus an elf Tagen.
Es kommt aufs Wetter an
Die Schuldigen der Feinstaubmisere sind schnell ausgemacht: das Wetter und die östlichen Nachbarländer. "Die ausgeprägten Hochdruckwetterlagen im Februar/März und Oktober 2018 haben dazu geführt, dass die Verdünnung der Berliner Emissionen weit schwächer ausfiel als in anderen Jahren", sagt Dorothee Winden, Sprecherin der Berliner Umweltsenatsverwaltung.
Dazu kämen häufig Ostwinde, mit denen vorbelastete kontinentale Luft nach Berlin einströme. "Feinstaub (PM10) kann über hunderte Kilometer getragen werden, sodass auswärtige Quellen zu der erhöhten Feinstaub-Konzentration in Berlin wesentlich beitragen." Im Klartext heißt das: Schlechte Luft aus Polen und Tschechien wird nach Berlin geweht.
"Bei Inversionswetterlagen ist der Luftaustausch stark eingeschränkt", sagt Ute Dauert, beim Umweltbundesamt verantwortlich für die Beurteilung der Luftqualität. "Das funktioniert dann wie unter einer Glocke, wo unten immer mehr Schadstoffe reinkommen, die nicht weggeweht werden können." Wenn es an grauen Berliner November Tagen ständig bewölkt ist, steht die Berliner Luft und reichert sich immer mehr mit Feinstaub aus dem Verkehr und Heizung an.
Auch Axel Friedrich, der Luftschadstoffexperte und Berater der Organisation Deutsche Umwelthilfe, pflichtet bei: "Das war ein meteorologischer Zufall. Wir hatten 2018 wenig Wind und viele Inversionswetterlagen."
Ob in Berlin - allen voran an der Silbersteinstraße - der Feinstaubgrenzwert 2018 überschritten wird, hängt nun von der weiteren Wetterentwicklung bis Jahresende ab. "Hohe Feinstaubwerte im Herbst und Winter sind in Deutschland nicht untypisch", sagt Dauert.
Wie die obenstehende Grafik zeigt, gab es in den warmen Monaten Mai, Juni und Juli an den drei Messstellen in Berlin keinen einzigen Tag mit einer Feinstaubbelastung über dem Grenzwert. Nun, da es häufiger zu Inversionswetter kommt und gleichzeitig mehr geheizt wird, steigt die Belastung an.
Gegen den Trend
Die hohe Belastung mit Feinstaub in Berlin läuft klar gegen den Trend. In den vergangenen Jahren lagen in ganz Deutschland kontinuierlich immer weniger Messstellen über dem Grenzwert, wie die untenstehende Grafik des Umweltbundesamtes zeigt. Im Jahr 2017 eben nur eine einzige Messstelle: Stuttgart Neckartor.
Es dauert aber noch ein wenig, um abzusehen, ob 2018 ein besonders schlechtes Jahr sein wird, oder ob die Vorjahre besonders gut waren. "In den letzten Jahren hatten wir eher günstige Wetterlagen mit viel Wind und wenig Transporten von außen, zum Beispiel aus Osteuropa, sodass die Feinstaubbelastung geringer ausfiel", sagt Dauert vom Umweltbundesamt.
Auch die Senatsverwaltung beschreibt die Wetterbedingungen auf der eigenen Website für das vergangene Jahr als günstig: "Aufgrund günstiger meteorologischer Bedingungen wird dieser Grenzwert in 2017 an allen Messstationen eingehalten."
Keine Konsequenzen
Unmittelbare Konsequenzen hat das Überschreiten des Feinstaub-Grenzwertes nicht. Berlin muss dann - was das Land sowieso auf Grund des Stickoxid-Problems tut - seinen Luftreinhalteplan überarbeiten und die Europäische Kommission könnte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten.
Bis dahin hat die Pressesprecherin der Umweltsenatsverwaltung nur eine Empfehlung für Bewohner der Silbersteinstraße und anderer Hotspots: Wer nicht mit dem Ofen heizen muss, sollte der sauberen Luft zuliebe auf das Kaminfeuer verzichten.
Sendung: radioBerlin 88,8, 08:30 Uhr