Luftverschmutzung in Berlin - Stickstoffdioxid-Grenzwert an sechs Messorten überschritten
Die NO2-Belastung lag 2018 an sechs Berliner Messstellen über dem gesetzlichen Grenzwert. An der Leipziger Straße steht jetzt der Sinn der Tempo-30-Zone in Frage. Mit dem neuen rbb|24-Stickstoffdioxid-Monitor kann jetzt jeder jederzeit seine Luftqualität checken. Von Dominik Wurnig
Berlin bekommt sein Luftproblem nicht in den Griff: An sechs Messstellen im Stadtgebiet wurde im vergangenen Jahr der Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm überschritten. Das zeigt eine Auswertung der vorläufigen stündlichen Messdaten der Berliner Umweltsenatsverwaltung, die das Umweltbundesamt veröffentlicht hat.
Einmal mehr gibt es die schlechteste Luft an der Neuköllner Silbersteinstraße: 49 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wurden dort im Jahresmittel 2018 gemessen. "Die Messstellen weisen vorläufige Daten aus – insofern lassen sich die Ergebnisse noch nicht valide kommentieren", sagt Jan Thomsen, der Sprecher der Umweltsenatorin. Seit der Einführung des gesetzlichen Stickstoffdioxid-Grenzwerts im Jahr 2010 wurde dieser noch jedes Jahr in Berlin überschritten. Die viel befahrene Neuköllner Silbersteinstraße gehörte bislang nicht zu den mehr als 100 Straßenabschnitten, an denen ein Fahrverbot geprüft wird. "Wir haben die Situation an der Silbersteinstraße im Blick. Sie wird noch einmal gesondert analysiert, was die hohen Stickoxidwerte betrifft", sagt Thomsen nun.
Der zweitschlechteste Wert wurde in der Leipziger Straße mit 48 Mikrogramm gemessen. Dort hatte die Umweltsenatsverwaltung bereits im April 2018 Tempo 30 angeordnet. Doch trotz der gedrosselten Geschwindigkeit ist die Luftverschmutzung auf der mehrspurigen Trasse immer noch zu hoch.
Bisher zeigt Tempo 30 keine Wirkung
Wir erinnern uns: "Tempo 30" war eine der Maßnahmen der Senatsverwaltung, um die Luftqualität zu verbessern. Vor dem Verwaltungsgericht hatte die Behörde mit einer Reduktion um fünf bis sieben Mikrogramm für die Geschwindigkeitsbeschränkung argumentiert. Bisher ist dieser Effekt allerdings nicht erkennbar.
Von Jahresanfang bis zum 8. April 2018 - am Tag danach wurde Tempo 30 auf der Leipziger Straße eingeführt - lag die Belastung dort bei 53 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im Rest des Jahres sank die Belastung und lag im Mittel bei 47 Mikrogramm. Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob die Maßnahme Tempo 30 ein durchschlagender Erfolg wäre. Doch vergleicht man die Leipziger Straße mit den anderen verkehrsnahen Messstellen in der Stadt zeigt sich ein anderes Bild.
An allen 17 Berliner Messstellen hat sich nämlich die Luftqualität nach dem 8. April verbessert - obwohl nicht überall Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt wurden. Das deutet klar daraufhin, dass bislang durch Tempo 30 keine Auswirkung auf die Luftqualität erkennbar wird. rbb|24 hat zur Einordnung drei Experten befragt:
Auf der einen Seite steht Axel Friedrich, Mitaufdecker des Dieselskandals und heute unter anderem als Luftschadstoffexperte für die Deutsche Umwelthilfe tätig: "Nach den Angaben der Senatsverwaltung hätte man eine Minderung von 5 Mikrogramm finden müssen, doch die ist nicht zu erkennen. Das was ich jetzt sehe, habe ich erwartet. Es gibt eine leichte Minderung aber die ist innerhalb der Schwankungsbreite."
Auch Umweltchemiker Wolfgang Frenzel von TU Berlin ist skeptisch: "Die Auswertung zeigt doch ziemlich eindeutig, dass die Tempo-30-Einrichtung in der Leipziger Straße nicht zu einer signifikanten - wenn überhaupt - Minderung der NO2-Belastung geführt hat. Ich hatte das wegen der besonderen Verkehrssituation dort von Anfang an vermutet bzw. befürchtet. Es könnte an den anderen neu eingerichteten Tempo-30-Bereichen anders aussehen, da dort der Verkehr insgesamt flüssiger ist. Das ist aber vermutlich erst in drei bis sechs Monaten zu beurteilen."
Die dritte befragte Expertin, Ute Dauert vom Umweltbundesamt, hält sich noch zurück: "Ein belastbares Resümee, lässt sich erst dann ziehen, wenn die Daten für ein volles Jahr vorliegen."
Auch die Umweltsenatsverwaltung will die Ergebnisse noch nicht bewerten. "Der Pilotversuch in der Leipziger läuft noch bis Ende März", sagt Pressesprecher Thomsen. "Er ist auf ein Jahr angelegt, weil erst nach einem Jahr Daten validiert werden können."
Neu: Stickstoffdioxid-Monitor des rbb
Auch 2019 wird Berliner und Brandenburger das Thema Stickstoffdioxid nicht los lassen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts in Berlin muss der Senat Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge anordnen. An mindesten acht Straßen muss der Verkehr beschränkt werden, an 60 weiteren Straßen prüft die Verwaltung noch. Spätestens Ende März soll die Liste feststehen, ab Mitte des Jahres die Fahrverbote gelten. Auch weitere Maßnahmen wie Tempo-30-Beschränkungen und technische Nachrüstungen sind wahrscheinlich.
Deshalb startet der rbb ab heute den Stickstoffdioxid-Monitor. Mit dieser Mini-Anwendungen können sich alle schnell, unkompliziert und einfach über die aktuelle Stickstoffdioxid-Belastung informieren. Stündlich aktualisiert sich der Stickstoffdioxid-Monitor mit den Live-Daten aller Messstellen in Berlin und Brandenburg.
Sollte der Stickstoffdioxid-Monitor in der App nicht angezeigt werden, finden Sie ihn auch hier. Außerdem finden Sie den Stickstoffdioxid-Monitor ab heute auch auf unserer Startseite
www.rbb24.de/ bei den Verkehrs- und Wetterinformationen.
Leichte Verbesserung
Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die NO2-Belastung in Berlin trotz Grenzwertüberschreitung abermals leicht verbessert. Die Messstelle in der Friedrichshainer Frankfurter Allee kann erstmals mit 37 Mikrogramm den Grenzwert einhalten. Am Hardenbergplatz, wo besonders viele BVG-Busse passieren, zeigen Nachrüstungen Wirkung.
Obwohl der Trend positiv ist, sind Fahrverbote in Berlin ausweichlich: Die Verbesserung geht zu langsam, schon zu lange wird der seit 2010 geltende Grenzwert überschritten. Das haben auch die Richter am Verwaltungsgericht so bestätigt. Bis Ende März muss die Umweltverwaltung die genauen Straßen nennen, die gesperrt werden sollen. Vermutlich ab Jahresmitte 2019 treten die Fahrverbote für Dieselautos mit Abgasklasse Euro 5 und niedriger in Kraft.
Brandenburg: Alle Messstellen unter dem Grenzwert
So wie 2017 wurde auch im Jahr 2018 in Brandenburg an jeder Messstelle des Umweltministeriums der Jahresgrenzwert (40 µg/m³) eingehalten. Die höchste Belastung gab es an der Potsdamer Zeppelinstraße mit 36,2 Mikrogramm im Jahresmittel. Beunruhigend ist, dass - gegen den Trend der immer sauber werdenden Fahrzeuge - die Belastung in der Zepplinstraße 2018 um 2 Mikrogramm höher lag als im Vorjahr.
In der Neuendorfer Straße in Brandenburg an der Havel wurde 2018 auch eine überdurchschnittliche Feinstaubbelastung festgestellt. An insgesamt 22 Tagen lag dort die Tagesbelastung durch Feinstaub über 50 Mikrogramm. Damit gehört die Messstelle zu den zehn am stärksten Feinstaub-belasteten Orten Deutschlands.
Feinstaub-Grenzwert doch eingehalten
Anders als rbb|24 ursprünglich berichtete, wurde der Feinstaub-Grenzwert im Jahr 2018 doch an allen Berliner Messstellen eingehalten. Das ergab eine routinemäßige Validierung der Messdaten durch die Umweltsenatsverwaltung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Laut den ursprünglichen, vorläufigen Messdaten wurde an der Neuköllner Silbersteinstraße an 36 Tagen der Feinstaub-Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm überschritten. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätssicherung liegt die Zahl der Überschreitungstage nur noch bei 27. Damit wurde der Grenzwert von höchstens 35 Überschreitungstagen eingehalten.
Die Umweltsenatsverwaltung hat bereits das zuständige Umweltbundesamt informiert, so dass die Überschreitungstabelle des Umweltbundesamtes [externer Link] - auf die sich rbb|24 ursprünglich berufen hat - korrigiert wurde.