Verschwundene Vereine | Spandauer SV - Laufend verloren, aber glücklich

Mo 02.01.23 | 16:26 Uhr | Von Dennis Wiese
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DFB-Pokal 1978: Der Spandauer SV zu Gast beim VfB Stuttgart (Quelle:imago/Sportfoto Rudel)
Video: Archiv | rbb24 Abendschau | 27.09.1975 | Bild: imago/Sportfoto Rudel

Mitte der 1970er Jahre war der Spandauer SV zu Gast auf der großen Bühne: Die Hobbykicker spielten in der 2. Liga Nord, empfingen am Askanierring auch Borussia Dortmund. 2014 wurde der Klub aufgelöst. Mittlerweile ist der Name zurück.

Teil 1 von 5 in der rbb|24-Serie "Verschwundene Vereine"

Berlins Fußballvereine haben (Negativ-)Rekorde aufgestellt, unzählige Profis hervorgebracht, für unvergessene Spiele gesorgt. Einige dieser Berliner Klubs existieren heute nicht mehr. rbb|24 stellt sie vor: die verschwundenen Vereine.

Jürgen Suchanek gerät ins Schwärmen. Der heute 67-Jährige berichtet rbb|24 im Telefoninterview begeistert von der Sternstunde seines Jugendvereins: Mit dem Spandauer SV kickte der Außenverteidiger 1975/76 in der 2. Bundesliga Nord: "Wir haben zwar laufend verloren, aber die Stimmung in der Mannschaft war richtig gut", so Suchanek.

Mannschaftsfoto des Fußball-Zweitligisten Spandauer SV 1975 (Quelle: privat)
Der Spandauer SV 1975. Obere Reihe, Dritter von links: Youngster Jürgen Suchanek | Bild: privat

Nur dreimal Training pro Woche

Der SSV hatte sich im Jahr zuvor als Meister der Berliner Oberliga überraschend für die Aufstiegsrunde qualifiziert und war danach in die 2. Bundesliga Nord aufgestiegen. Plötzlich warteten Gegner wie Borussia Dortmund. "Wir Spieler wurden damals gefragt, ob wir dieses Abenteuer 2. Liga für ein Jahr in Kauf nehmen wollen. Wir haben zugestimmt, aber gesagt: sportlich darf sich nichts ändern. Es wurde weiterhin nur dreimal pro Woche trainiert."

1.000 Mark bekamen die Spieler für dieses Abenteuer pro Monat. In der Mannschaft spielten Spandauer Eigengewächse wie Suchanek, andere Berliner Kicker mit Oberligaerfahrung und ein ganz bekannter Name: Lothar Groß. Der war im Trikot von Hertha BSC in der Bundesliga aufgelaufen.

Luxus für die Amateure: Mit dem Flugzeug zu den Auswärtsspielen

Neben den Amateuren aus Spandau spielten in der 2. Liga damals auch zwei weitere Berliner Vereine: Wacker 04 aus Reinickendorf, laut Suchanek damals etwas professioneller aufgestellt, und Tennis Borussia. Bei TeBe wurde damals zweimal täglich trainiert, die Lila-Weißen waren zu Höherem berufen: Als Tabellenführer stieg Tennis Borussia am Saisonende in die Bundesliga auf.

Und doch war es nicht Tennis Borussia, die in einen besonderen Genuss kamen, sondern die kleinen Spandauer, erzählt Jürgen Suchanek: "Wir durften damals zu unseren Auswärtsspielen immer mit dem Flugzeug anreisen. TeBe und Wacker mussten mit dem Bus fahren. Irgendwie hatten wir gute Verbindungen zum Berliner Senat, der hat uns da unterstützt."

DFB-Pokal 1978: Stuttgarts Hoeneß trifft gegen den Spandauer SV (Quelle:imago/Sportfoto Rudel)
Stuttgarts Dieter Hoeneß beim 12:0 gegen Spandau | Bild: imago/Sportfoto Rudel

6.000 Zuschauer gegen Tennis Borussia

Die Heimspiele trug der Spandauer SV im Stadion am Askanierring aus. Nicht in der eigentlichen Heimat, dem Platz an der Neuendorfer Straße. Der Platz gehörte der Schultheissbrauerei, war Kategorie: Hexenkessel. Das Stadion am Askanierring war wegen seiner Laufbahn nicht gerade beliebt bei den Spielern wie Jürgen Suchanek: "Wir hätten gerne weiter in der Neuendorfer Straße gespielt, da haben wir auch trainiert, die Zuschauer waren nah dran. Das macht einfach mehr Spaß."

Und doch erlebte Suchanek mit seinem Spandauer SV so manches Fußballfest: Zweitausend, dreitausend Zuschauer kamen zu den ersten Spielen. Im Stadtduell mit Tennis Borussia im April 1976 waren es sogar mehr als 6.000 Zuschauer. Spandau verlor mit 0:5.

Mit 8:68 Punkten endete das Abenteuer 2. Liga für die Spandauer. Bis heute sind sie Letzter in der ewigen Tabelle der 2. Liga. Kein Problem, meint der damals 20-jährige Jürgen Suchanek: "Klar gewinnt man lieber, aber es war trotzdem eine tolle Saison. Wir wurden auch immer besser, haben uns dem Niveau nach und nach angepasst".

Zweikampf zwischen Spandaus Kusche und Union Bergner (Quelle:imago/Höhne)
Regionalliga Nordost 1998: Spandau zu Gast bei Union | Bild: imago/Höhne

Spandau machte Handballer Kosmehl zum Kurzzeit-Fußballer

Die zwischenzeitliche Verpflichtung von Helmut Kosmehl würde man heute wohl einen PR-Gag nennen. Kosmehl war als Handballer einst Weltklasse. In Spandau sollte er nun im Fußballtrikot für Aufmerksamkeit sorgen und Zuschauer anlocken. Das Projekt misslang. Nach nur zwei Spielen und wenigen Wochen war für Kosmehl Schluss in Spandau.

Jürgen Suchanek wechselte nach dem Abstieg zum MSV Duisburg, wurde dort Profi, kickte auch in der Bundesliga. Für den Spandauer SV hingegen waren die großen Zeiten vorbei.

Finanzielle Probleme führen 2014 zum Aus

Mitte der 90er Jahre spielte der SSV immerhin noch in der Regionalliga Nordost, traf dort auch auf den 1. FC Union. Allerdings fehlte das Geld. Kurz vor der Jahrtausendwende musste Spandau deshalb runter in die fünftklassige Verbandsliga. 2014 kam auch Jürgen Suchanek zurück zum Spandauer SV.

Als Trainer sollte er die taumelnde Männermannschaft retten. "Die Sponsoren waren weg. Und kurz vor Ultimo sind auch diverse Spieler aus dem Verein ausgetreten. Auch aus dem Umfeld war leider keiner bereit, mal ein bisschen Geld in den Verein zu investieren." Der Spandauer SV meldete Insolvenz an, zog sich komplett vom Spielbetrieb zurück.

Der "Spandauer SV" kehrt zurück

Im Jahr 2022 kehrte der Spandauer SV dann zurück auf den Fußballplatz. Der Club Türkspor Futbol Kulübü übernahm den Namen des einst aufgelösten Vereins. Vier Kindermannschaften trainieren in den roten Vereinsfarben und mit dem traditionellen Namen. Jugendleiter Ümit Gündüz merkte sofort die Anziehungskraft: "SSV ist eine Marke in Berlin. Es war einfacher, den Verein wiederzubeleben, als einen neuen zu gründen. Es war, wie einen Dinosaurier zu wecken. Die Resonanz ist riesig", so Gündüz gegenüber dem rbb.

Anders als in den Jahren vor der Insolvenz wollen die neuen Macher des Spandauer SV nun vermehrt auf den Nachwuchs setzen. Dem Verein zunächst einen Unterbau verpassen. Eine Männermannschaft soll es irgendwann wieder geben, der Weg dahin sei aber noch weit, so Gündüz. Immerhin könnte der eigentlich schon verschwundene SSV doch noch eine Zukunft haben.

Beitrag von Dennis Wiese

3 Kommentare

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  1. 2.

    @rbb24 Bitte berichtigen:
    Der Handballer heisst Helmut Kosmehl,nicht Kosemehl.
    Mal so, mal so geht garnicht.

  2. 1.

    Sehr interessanter Artikel, war damals dabei in Spandau. Gute Zeit.

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